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Angela Merkel und Chimamanda Ngozi Adichie
(Foto: AP)

Doppel-Interview „Wir sollten alle Feministen sein“ – Die Kanzlerin über die Zeit nach ihrem Abgang

Seltene Einblicke in das Denken der Kanzlerin: Angela Merkel bilanziert im Gespräch mit der Autorin Chimamanda Ngozi Adichie ihre Kanzlerzeit – und redet über ihre Zukunft.
09.09.2021 - 17:54 Uhr Kommentieren

Düsseldorf Eine Bundeskanzlerin, die Literatur liest, und eine nigerianische Bestsellerautorin, die sehr politisch denkt – was verbindet, was unterscheidet die beiden? Gibt es eine gemeinsame Erzählung, in der sich beide finden können?

Den Ton für den Verlauf dieser ungewöhnlichen Begegnung auf Einladung der Bildungsplattform ada (an der die Handelsblatt Media Group Anteil hält) setzt Angela Merkel gleich zu Beginn: Sie und die preisgekrönte nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie haben in der ersten Reihe des Düsseldorfer Schauspielhauses Platz genommen für ein von den Publizistinnen Miriam Meckel und Léa Steinacker moderiertes Gespräch zweier Menschen aus zwei Generationen, aus Politik und Kultur, aus Europa und Afrika. Ein Gespräch, das in Deutsch und Englisch geführt wird.

Leider liegen die Übersetzungsgeräte zunächst am falschen Ort. Adichie versteht nicht, was auf Deutsch gesagt wird. Die Kanzlerin beugt sich kurzerhand rüber und beginnt, leise für sie ins Englische zu übersetzen, bevor die 75 minütige Diskussion, aus denen wir diese Auszüge dokumentieren, beginnt.

Die Kanzlerin ist, das Treffen mit der Nigerianieren war ihr ein ausdrücklicher Wunsch seit Jahren, gelöst an diesem Abend. Gewährt ungewöhnliche Einblicke in ihr Denken und ihr Privates. Was hat sie geprägt? „Dass ich als Kind mit geistig Behinderten zusammen aufgewachsen bin und da keine Furcht und Berührungsängste hatte. Dass ich Physik studiert habe.“ Etwa 80 Prozent der Studierenden seien Männer gewesen. Die hätten immer gleich losgelegt, so dass sie oft keinen Experimentiertisch mehr abbekommen habe. Da habe sie dann gelernt, sich in einem männlich dominierten Umfeld ihren Platz zu erkämpfen.

Ihr schwerster Moment? Die Euro-Krise, als sie den Bürgern in Griechenland so viel zugemutet habe. Und schöne Momente? „Wenn man einen Kompromiss gefunden hat.“

Dass ihr berühmtester Satz „Wir schaffen das“ eine Einladung an alle Flüchtlinge gewesen sei, nach Deutschland zu kommen, glaube sie nicht. 2015 hätten doch die Flüchtlinge schon vor der Tür gestanden. „Und jetzt zu sagen: Passt mal auf, zurück übers Mittelmeer, das war für mich kein Weg.“

Auch auf die Frage, ob sie ruhigen Gewissens aus dem Amt scheide, antwortet die Bundeskanzlerin mit einem sehr klaren „Ja“ – und fügt unter dem Applaus des Publikums hinzu: „Ich finde, dass ich meinen Beitrag geleistet habe.“ Jetzt brauche das Land etwas Neues.

Lesen Sie hier die kompletten Auszüge aus dem Gespräch:

Quelle: Getty Images
Angela Merkel und Chimamanda Ngozi Adichie
(Foto: Getty Images)

Frau Bundeskanzlerin, 2017 sind Sie noch ein viertes Mal für Ihr Amt angetreten, auch um ein demokratisches Vakuum im Westen zu vermeiden. Ist Ihnen das gelungen?
Angela Merkel: Ich bin froh, dass ich in einer Demokratie leben und mich für freiheitliche Werte einsetzen kann. Man sollte aber von allen Überhöhungen absehen. Es gibt nicht nur mich, es gibt zum Glück sehr viele Menschen, die sich für Demokratie einsetzen.

Aber können Sie in den kommenden Monaten ruhigen Gewissens Ihr Amt verlassen?
Merkel: Ja.

So klipp und klar?
Merkel: Ich finde, dass ich meinen Beitrag geleistet habe. Wer es bis dahin nicht verstanden hat, wird es auch in den nächsten vier Jahren nicht verstehen.  

Frau Adichie, wir haben den verstörenden Rückzug der USA aus Afghanistan gesehen, wir erleben Chinas Dominanzstreben, Kriegstreiben in Nordafrika – verstehen Sie die Perspektive der Bundeskanzlerin, ihr Amt ruhigen Gewissens abzugeben?
Chimamanda Ngozi Adichie: Ich finde es gut, dass die Bundeskanzlerin ihr Amt ruhigen Gewissens verlässt. Ich habe aber alles andere als ein ruhiges Gewissen, wenn ich an eine Welt ohne diese Kanzlerin denke. Ich sorge mich, was mit Europa passiert, das von ihr zusammengehalten wurde. Und ich sorge mich um eine Welt, der es noch mehr als ohnehin an Führung mangelt.

Frau Merkel, der ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde hat gesagt: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie im Jahre 2021 daraus? 
Merkel: Ich verstehe Böckenförde so, dass wir für den Erhalt der Demokratie mehr als Politik brauchen. Wir brauchen Kultur, die Philosophie, Religion, Geschichte. Wenn das alles verkümmert, lässt sich eine Gesellschaft nur schwer zusammenhalten. Es braucht einen gewissen Gemeinschaftssinn. Wir können ja bestimmte Dinge nicht befehlen. Dass die Menschen sich an Gesetze halten, dass sie Ehrenämter ausüben – das geschieht mit einer gewissen Sicht auf die Welt. Das kann Politik fördern, indem sie Anreize setzt, aber sie kann es nicht erzwingen.

Haben Sie, Frau Adichie, Sorge, dass sich die Freiheit der Demokratie gegen die Demokratie selbst wendet?
Adichie: Ich glaube, dass die Menschen, die illiberalen Politikern hinterherlaufen, ein Ventil für ihre Unzufriedenheit suchen. Ich glaube, dagegen hilft eine ausgebildete und informierte Wählerschaft, sonst wird es immer einfach sein, Menschen zu manipulieren. Wenn wir informierte Menschen sind und wissen, wie wir an die Wahrheit kommen, dann haben wir viel gewonnen. 

Frau Merkel, Frau Adichie hat in einem TED-Talk gesagt: „Macht ist die Fähigkeit, nicht nur die Geschichte einer anderen Person zu erzählen, sondern sie zur endgültigen Geschichte dieser Person zu machen“. Das nennt man bei uns gerade Wahlkampf, oder? 
Merkel: Nein, das würde ich nicht sagen. 

Aber geht es um eine Vielfalt an Themen?
Merkel: Klar geht es um Themen.

Genug?
Merkel: Ob genug, das ist eine andere Geschichte. Das hängt aber auch daran, dass Politiker das beantworten müssen, was sie gefragt werden. Aber es finden ja in diesen Tagen auch wieder die Wahl‧arenen statt, wo Bürger zu Wort kommen und Politiker dazu befragen, was ihnen wichtig ist. Das sind schon Veranstaltungen, wo Themen zur Sprache kommen. Aber die Machtbeschreibung von Frau Adichie ist gar nicht so schlecht, die gefällt mir.

Glauben Sie, dass Soziale Medien einen Effekt darauf haben, ob wir Politik eher über Themen oder eher über einseitige Geschichten erzählen?
Adichie: Soziale Medien, sosehr ich sie als gute Möglichkeit der Artikulation und des Protests schätze, sind Plattformen für Menschen geworden, die laute, provokante Dialoge suchen. Und zwar auf beiden Seiten des politischen Spektrums. Auch im linken politischen Lager, dem ich mich sehr zugehörig fühle. Die Lautstärke, in der da moralisiert wird, ist nicht gut. Wir müssen das Risiko einer kritischen, widerspruchsvollen Diskussion eingehen. Ich muss doch wissen, was andere denken, um zu merken, ob meine Position Sinn ergibt oder nicht. Da helfen mir doch andere Meinungen – und nicht mehr von meiner Meinung. 

Können Sie mit dem Begriff der Cancel Culture etwas anfangen, Frau Merkel?
Merkel: Nicht so richtig. Es geht doch darum, die Breite eines jeden Menschen zu sehen. In unserem Grundgesetz ist die Würde des Menschen im Mittelpunkt und unantastbar. Und die verkümmert manchmal ein bisschen, weil sie so eindimensional definiert wird. Ich muss mit anderen ins Gespräch kommen – und mich in die Schuhe des anderen hineinversetzen und mich fragen, wie kommt er oder sie zu einer Position. Daraus kann dann ein wirkliches Gespräch entstehen. Die Gefahr der Kommunikation durch soziale Medien, die natürlich Realität sind, besteht darin, dass die ganze Sache sehr klickgetrieben ist. Besonders viel Aufmerksamkeit generiert aber meist der, der die schlechte Nachricht verkündet, oder den Hohn, die Häme; nicht das kleine Video vom Einsatz der Feuerwehr oder des THW, der aber zum Gelingen unserer Gesellschaft ganz viel beiträgt. Menschen haben auch den Wunsch, das Gelungene zu sehen. Wenn man nur noch mit der Summe des Ungelungenen konfrontiert wird, mit dem Schlechten, deformiert das die Seele.

Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, Ihre Flüchtlingspolitik, Ihr Satz „Wir schaffen das“ sei für den Aufstieg der AfD, die wachsende Ausländerfeindlichkeit in Deutschland und die zunehmende Spaltung der Gesellschaft verantwortlich. Was antworten Sie ihnen?
Merkel: Dass ich das anders sehe. Dieser Satz ist eigentlich nichts Besonderes. Der war nur in der Situation etwas Besonderes. Ich habe ihn ausgesprochen, weil mir klar war, was für eine große Aufgabe auf uns zukommt. Da fand ich, dass wir mit etwas Optimismus an die Sachen rangehen sollten.  

Frau Adichie, wie haben Sie die Zeit um 2015 und Deutschlands Rolle erlebt?
Adichie: Ich fand das sehr bewundernswert. Als die Bundeskanzlerin sagte, sie möchte nicht an einem Wettbewerb teilnehmen, welches Land die Flüchtlinge am schlechtesten behandelt … Haben Sie das überhaupt so gesagt?
Merkel: Mehr oder weniger.
Adichie: Da war mir klar: Ich mag die Idee der Bundeskanzlerin von Politik. Sich auf Prinzipien zu konzentrieren, zu sagen: Das ist ein humanes Land. Und dann auch so zu handeln. Es ist eben wichtig, dass Europa auch Verantwortung für Teile der Welt übernimmt, in denen es in der Vergangenheit Probleme verursacht hat. Menschen haben einen Anspruch auf Würde, weil sie Menschen sind.

Frau Bundeskanzlerin, von Afrika als Ihrem „Schicksalskontinent“ war in den Medien immer wieder die Rede. Was heißt das für Sie?
Merkel: Afrika fasziniert mich. Es ist so ein junger Kontinent, 54 Länder mit ganz unterschiedlichen Traditionen. Viele Länder in Afrika haben ein Durchschnittsalter von 19 Jahren. Da gibt es einen jungen Spirit. Ich bin manchmal betrübt, dass so wenige afrikanische Länder genügend wirtschaftliches Wachstum haben. Ich glaube aber auch, dass die Länder sehr großes Potenzial haben. Ich habe in der G20 deswegen auch die Initiative „Compact with Africa“ geprägt – also mit Afrika, nicht für Afrika. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht immer wie die kommen, die sagen: Macht nicht den oder den Fehler. Die Länder Afrikas haben auch ein Recht darauf, ihren Weg zu gehen.

Frau Adichie, einer der häufigsten zitierten Sätze von Ihnen ist: Jeder sollte heutzutage ein Feminist sein. Hat sich was geändert in Ihrer Haltung dazu?
Adichie: Das Wort zu benutzen war lange mit vielen negativen Konnotationen belegt, es war politisiert. Für mich ist Feminismus aber ein Glaubenssystem der Fairness, eine Gerechtigkeitsbewegung in dem Sinne, dass Frauen und Männer gleich sind. Wir wissen das eigentlich, und doch gibt es nach wie vor keinen Platz auf der Welt, wo es wirklich Gleichheit gibt.

Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben in einem Gespräch 2017 gesagt, Sie wollten sich nicht als Feministin bezeichnen, weil Sie sich nicht „mit fremden Federn“ schmücken wollten. Gilt das noch?
Merkel: Das Wort Feminismus ist für mich auch verbunden mit einer Bewegung, die sehr gekämpft hat. Deswegen der Verweis auf die fremden Federn. Mir hat bei diesem Gespräch Königin Maxima der Niederlande ja schon das Tor geöffnet, indem sie sagte: Es geht darum, dass Frauen und Männer gleich sind im Sinne der Teilhabe am gesamten gesellschaftlichen Leben. – Das habe ich damals auf der Bühne schon etwas schüchtern vorgebracht. Heute ist das besser durchdacht. In diesem Sinne kann ich sagen: Ja, wir sollten alle Feministen sein.

Frau Adichie, in diesen Tagen erscheint Ihr Buch „Trauer ist das Glück, geliebt zu haben“. Sie haben Ihre Eltern im letzten Jahr, während des Lockdowns, verloren. Wie haben Sie in dieser Isolation die Trauer überstanden? 
Adichie: Mein Vater starb im letzten April, mitten im Lockdown. Ich war in den USA, er in Nigeria. Ich konnte nicht zu ihm. Wenn man dann den Verlust mitbekommt, ist der erste Punkt, dass man es nicht glauben will. Es fühlte sich unwirklich an. Ich wachte am nächsten Morgen auf und fragte mich: Ist das wirklich passiert? Meine Mutter starb dann wenige Monate später. Es war wie ein schlechtes Drehbuch. Bei ihr war die Distanz aber geringer, weil ich in Nigeria war. Da habe ich einfach nur schrecklichen Schmerz gespürt.

Und was haben Sie in Ihrer Trauer über die Liebe gelernt?
Adichie: Wenn Du nicht geliebt hast, kannst Du nicht trauern.

Frau Bundeskanzlerin, Ihre Mutter ist im April 2019 verstorben. Können Sie sich mit diesen Worten von Frau Adichie identifizieren? 
Merkel: Damit kann ich sehr viel anfangen. Nur ein Mensch, den man geliebt hat, kann die Trauer hervorrufen. Das ist ja die Antwort darauf, dass man ihn nicht mehr hat. 

Bleibt im politischen Alltag einer Kanzlerin Raum für Trauer?
Merkel: Natürlich ist es eine schwierige Situation. Das ist etwas sehr Privates. Da muss man sich seinen Raum bauen. Ich habe es immer so gemacht, dass ich in diesen Raum niemanden reingelassen haben, der da nicht hingehört.

Können Sie, Frau Adichie, mit der Vorstellung des Raums etwas anfangen?
Adichie: Ja. Ich fand es manchmal aber eher besser, nicht privat mit meiner Trauer zu sein. Ich habe Social-Media-Posts gelesen, während ich im Bett lag und geweint habe. Mich hat das Maß der Anteilnahme so gerührt und auch gestärkt. Es waren Menschen, die verstanden haben, was ich fühle. Insofern hat mir die Öffentlichkeit da geholfen. Ich fühlte mich leichter.

Merkel: Wenn ich gesagt habe, mir einen Raum zu schaffen, meinte ich ja nicht, dass man mit niemandem darüber spricht. Aber um das zu verarbeiten, braucht man seinen Raum, und der ist dann nicht die aktuelle Politik.

Quelle: Melanie Zanin
Angela Merkel und Chimamanda Ngozi Adichie mit den Moderatorinnen Léa Steinacker (links) und Miriam Meckel (rechts)
(Foto: Melanie Zanin)

Sie werden nach der Wahl die erste Bundeskanzlerin sein (Männer natürlich eingeschlossen), die selbstbestimmt aus dem Amt scheidet. Was bedeutet Ihnen Autonomie?
Merkel: Ich habe ja das Glück gehabt, dass ich vier Mal gewählt wurde und eine Regierung formen konnte. Jetzt war für mich klar, dass der Bogen beendet ist, dass man jetzt etwas anderes, Neues für das Land braucht. Es ist eine spezielle Erfahrung zu wissen, du musst dich heute den ganzen Tag konzentrieren, und dann ist plötzlich ein Tag, an dem ein anderer kommt. Aber jeden Tag, den ich Bundeskanzlerin bin, muss ich voller Aufmerksamkeit sein. Da kommt eine apokalyptische Flut oder der Afghanistanabzug, und da fragt kein Mensch, ob das 100 Tage vor dem Ausscheiden ist. Ich bin meinem Amtseid so verpflichtet wie an meinem ersten Tag 2005.

Gefragt, was Sie nach Übergabe Ihres Amtes an Ihren Nachfolger oder Ihre Nachfolgerin machen würden, haben Sie gesagt: Ich werde versuchen, etwas zu lesen, „dann werden mir die Augen zufallen, weil ich müde bin, dann werde ich ein bisschen schlafen und dann schauen wir mal, wo ich auftauche“. Was wird das Ihr Narrativ danach?
Merkel: Ich habe kein Narrativ. Ich lebe in der Gegenwart, mehr als andere. Ich bin in die Politik gegangen Ende 1989. Seitdem hat sich mein Leben so faszinierend entwickelt, dass ich nie wieder einen normalen Arbeitstag hatte, immer politisch gefordert war. Ich habe damit auch ein Stück weit aufgehört zu fragen: Was würde mich außer Politik am allermeisten interessieren? Ich bin 67, ich habe nicht unendlich viel Zeit. Ich möchte mir schon ganz genau überlegen: Was kommt denn in mir so hoch, was ich jetzt machen möchte? 

Frau Merkel, was möchten Sie Frau Adichie fragen? 
Merkel: Sorgt es Sie, dass die Fähigkeit zu lesen abhandenkommt und die Menschen für alles Videos brauchen?

Adichie: Ja. Aber wir könnten ja in einer Welt leben, in der wir Rezo-Videos schauen und lesen.

Merkel: Rezo?

Adichie: Ja, der macht doch fantastische Videos.

Merkel: Da sind sie aber sehr in die deutsche Parteienlandschaft eingestiegen.

Adichie: Ich liebe Deutschland mit positiven und negativen Seiten. Aber ich sorge mich tatsächlich darum, dass Lesen verloren geht. Lesen ist autonomer, du kannst mehr entscheiden. Dem Video folgst Du einfach.

Und welche Frage möchten Sie, Frau Adichie, gerne Frau Merkel stellen?

Adichie: Mich würde interessieren, wann es sich am schwersten angefühlt hat, die Verantwortung für Europa zu tragen?

Merkel: Am schwersten war es in der Euro-Krise, als ich aus dem Blickwinkel vieler sehr hart war, was die Forderungen an Griechenland anging, damit Griechenland dann auch Hilfe von uns bekommen hat. Weil ich zutiefst davon überzeugt war, dass wir keine gemeinsame Währung haben können, wenn wir nicht auch eine gemeinsame ökonomische Grundstruktur haben.

Adichie: Und wann hat die Verantwortung Freude gebracht?

Merkel: Sehr oft. Wenn man einen Kompromiss gefunden hat. Ich bin Bundeskanzlerin geworden, da war gerade der Verfassungsvertrag Europas gescheitert an zwei Referenden in Frankreich und Irland. Deutschland hatte die Präsidentschaft und wir haben die ganzen Vorarbeiten für den Lissaboner Vertrag gemacht. Das war Freude. Oder als wir als Antwort auf die Pandemie den europäischen Wiederaufbaufonds geschaffen haben, in mehreren Tagen und Nächten, dann ist man glücklich, alles zusammenbekommen zu haben. 

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