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Drohende Pleitewelle Koalition entschärft neues Sanierungsrecht: Firmen können weiter auf Vertragstreue zählen

Zum Jahreswechsel soll Deutschland ein neues Sanierungsrecht bekommen. Es soll gegen die befürchtete Welle von Corona-Firmenpleiten helfen. Nun wurde das Gesetz noch abgeändert.
15.12.2020 - 11:32 Uhr Kommentieren
In der Coronakrise sind viele Unternehmen in Schieflage geraten. Experten warnen, dass die deutsche Wirtschaft vor einer Pleitewelle steht. Quelle: dpa
Geschäft in Thüringen

In der Coronakrise sind viele Unternehmen in Schieflage geraten. Experten warnen, dass die deutsche Wirtschaft vor einer Pleitewelle steht.

(Foto: dpa)

Berlin Auf den letzten Metern des parlamentarischen Verfahrens haben Union und SPD das geplante neue Sanierungsrecht für Unternehmen noch stark verändert. „Der größte Kritikpunkt am Gesetz, die vorgesehenen Vertragsbeendigungen, wurde gestrichen“, berichtete der kommissarische Vorsitzende des Bundestag-Rechtsausschusses, Heribert Hirte (CDU), dem Handelsblatt. „Es bestand die Sorge, das Vertrauen in die Vertragstreue hierzulande grundlegend zu erschüttern.“

Noch in diesem Jahr soll das neue Sanierungs- und Insolvenzrecht für Unternehmen im Bundestag beschlossen werden, damit es zum 1. Januar 2021 in Kraft treten kann. Teil des Gesetzespakets ist das „Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen“ (StaRUG). Dabei handelt es sich um die nationale Umsetzung der EU-Richtlinie über „Präventive Restrukturierungsrahmen“, die bereits im Juli 2019 in Kraft getreten war.

In der Coronakrise setzt Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) allerdings große Hoffnungen in die neuen Sanierungsinstrumente. Sie könnten eine mögliche Pleitewelle abmildern. Unternehmen sollen bei drohender, aber noch nicht eingetretener Zahlungsunfähigkeit die Möglichkeit bekommen, eine Restrukturierung außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens durchzuführen. Sie müssen also keinen Insolvenzantrag stellen.

In der Coronakrise sind viele Unternehmen in Schieflage geraten. Gleich zu Beginn der Pandemie ereigneten sich Insolvenzen oder Schutzschirmverfahren von bekannten Unternehmen wie Escada, Esprit, Hallhuber, Vapiano, Maredo und Galeria Karstadt Kaufhof. Experten warnen, dass die deutsche Wirtschaft vor einer weiteren Welle der Insolvenzen steht. Bislang verhindern staatliche Hilfsprogramme und Änderungen im Insolvenzrecht noch viele Firmenpleiten. Doch sobald sie wieder der Insolvenzantragspflicht unterliegen, könnte sich das schnell ändern.

Was ändert sich beim Sanierungs- und Insolvenzrecht?

Dort soll das neue Sanierungsrecht seine Wirkung entfalten. Denn bislang gibt es nur die freie Sanierung von Unternehmen, für die ein Konsens aller Beteiligten nötig ist, und die streng geregelte Sanierung im Insolvenzverfahren.

Künftig kann nun ein Restrukturierungsplan beschlossen werden, auch wenn nur ein Teil der Gläubiger zustimmt. „Akkordstörer“, die Abstimmungen blockieren und damit Sanierungspläne torpedieren, wären so außen vor. Vor allem finanzielle Restrukturierungen würden gelingen.

Insgesamt gilt das neue Sanierungsrecht als nützliches Instrument, das aber so komplex ist, dass es für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) kaum infrage kommt. In der Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Bundestags hatte sich auch gezeigt, dass die geladenen Sachverständigen vor allem einen Punkt des Gesetzes harsch kritisierten: die Vertragsbeendigung.

Vorgesehen war, dass das Unternehmen mit Restrukturierungsplan bei Gericht beantragen kann, dass laufende Verträge beendet werden, wenn der Vertragspartner „einem Anpassungs- oder Beendigungsverlangen des Schuldners“ nicht nachkommt. Solch schwerwiegenden Eingriffe – etwa Mietverhältnisse zu beenden – sieht bislang nur das Insolvenzrecht vor.

So forderte Christoph Niering, Vorsitzender des Verbands Insolvenzverwalter Deutschlands (VID), die ersatzlose Streichung der Vertragsbeendigung. Er argumentierte, ein solcher Eingriff sei „verfassungsrechtlich bedenklich und untergräbt nachdrücklich das wechselseitige Vertrauen in die Vertragstreue, das seinerseits einen wesentlichen Pfeiler des deutschen Rechts darstellt“.

Zudem würde die Wirtschaft das Risiko im Verhältnis von Leistung zu Gegenleistung „einpreisen“ mit der Folge, dass der Wirtschaftsverkehr hierdurch insgesamt betroffen sei.

Kritiker warnen: Eingriff in Dauerschuldverhältnisse führt zu Konflikten

Mechthild Greve von der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) plädierte ebenfalls für eine Streichung oder Zurückstellung. Sie warnte vor einem Dominoeffekt für betroffene Vertragsparteien, die selbst in Schieflage geraten könnten. Sie würden ohne Vorwarnung und ohne eigenes Verschulden getroffen.

Petra Heidenfelder, Fachanwältin für Insolvenzrecht in der Kanzlei SGP Schneider Geiwitz, warnte, die Regelung werde zu Konflikten führen. „Der Eingriff in Dauerschuldverhältnisse sollte den Parteien, dem Schuldner und seinen Gläubigern überlassen werden“, sagte Heidenfelder. „Dies entspricht dem Grundsatz der Privatautonomie.“ Allenfalls Finanzierungsverträge könnten berücksichtigt werden.

Nun ist die Vertragsbeendigung also vom Tisch. Vertragspartner können auch künftig auf die Vertragstreue zählen und müssen nicht fürchten, dass im Zuge einer Sanierung Miet- oder Lieferverträge einfach aufgekündigt werden können.

Allein Stephan Madaus von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hatte in der Anhörung gefordert, zu bedenken, „dass gerade für Filialunternehmen die Anpassung von Verbindlichkeiten aus laufenden Dauerschuldverhältnissen eine wesentliche Restrukturierungsmaßnahme ist“.

Auch finde sich im neuen niederländischen Restrukturierungsrecht eine Vertragsbeendigungsoption, die der im Referentenentwurf entspreche, sodass „eine Migration von deutschen Restrukturierungen“ zu erwarten sei, wenn dem neuen deutschen Sanierungsrecht ein solches Tool genommen würde.

Werden Unternehmen in die Niederlande abwandern?

Könnten angeschlagene Firmen künftig also „Forum Shopping“ betreiben und in die Niederlande gehen, um vom dortigen Sanierungsrecht Gebrauch zu machen? Das Nachbarland hat mit dem „Dutch Scheme“ eines der international modernsten Restrukturierungsgesetze geschaffen. Das könnte einem Insolvenztourismus weit die Tür öffnen.

Eigentlich war es eines der Anliegen der EU-Richtlinie, ein solches „Forum Shopping“ zu beenden. Denn vor allem die komfortablen britischen Regelungen zur Restrukturierung lockten bis zum Brexit die Firmen. So flohen größere Unternehmen wie Rodenstock oder die Auto-Werkstattkette ATU in diese Rechtsordnung, indem sie ihren Sitz nach Großbritannien verlagerten und sich dort sanierten.

Der zuständige Berichterstatter der Unionsfraktion, Heribert Hirte, sieht diese Gefahr nicht. Er zeigte sich überzeugt, dass nun im Zusammenspiel zwischen neuer Insolvenzordnung und StaRUG ein attraktives Sanierungsrecht geschaffen werde. „Die Unternehmen in unserem Land übernehmen außerdem große Verantwortung“, sagte Hirte dem Handelsblatt. „Ich glaube nicht, dass mitten in der Coronakrise Unternehmen ihren Standort wechseln.“

Auch die Geschäftsführerhaftung wurde laut Hirte noch modifiziert. So seien die Paragrafen zu Pflichten bei drohender Zahlungsunfähigkeit ebenso gestrichen worden wie die zur Haftung. „Das hätte riesige Unsicherheit bei Geschäftsführern generiert“, erklärte Hirte.

Die Änderungen sollen nun an diesem Dienstag vom Rechtsausschuss beschlossen werden. Am Donnerstag könnte dann der Bundestag das komplette Gesetzespaket beschließen.

Mehr: Private Insolvenzverfahren sollen künftig schon nach drei Jahren abgeschlossen werden.

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