Energieversorgung „Existenzielle Belastung” – Industrie sieht die Politik wegen hoher Energiepreise in der Pflicht

Hohe Energiepreise setzen die deutsche Industrie unter Druck.
Berlin Seit Wochen kämpfen Unternehmen mit dem anhaltend hohen Strom- und Gaspreisniveau. Bei der Suche nach Lösungen setzen sie auf rasche Unterstützung durch die Politik. Der „dramatische Anstieg“ der Preise werde für viele Unternehmen zur „existenziellen Belastung“, sagte Christian Seyfert, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK), dem Handelsblatt.
In einigen Unternehmen werde bereits die Produktion gedrosselt, da sie aufgrund der hohen Kosten nicht mehr rentabel sei. Das betreffe insbesondere die Grundstoffindustrie und habe daher Auswirkungen auf verschiedene Wertschöpfungsketten.
„Die geschäftsführende Bundesregierung muss schnellstmöglich kurzfristige Maßnahmen ergreifen“, forderte er. Dabei könne sie sich an den 2020 im Zuge der Coronapandemie beschlossenen Hilfen und Entlastungen im Energiebereich orientieren. Damals gab es beispielsweise für die Industrie Erleichterungen bei den Netzentgelten.
Neben die kurzfristigen Maßnahmen müssen nach Überzeugung Seyferts mittelfristige Lösungen treten, um die sich die künftige Bundesregierung kümmern sollte. Dabei steht für den VIK eine Reform des Strommarktdesigns im Mittelpunkt.
In Deutschland besteht ein hoher Anteil des Strompreises aus gesetzlich definierten Abgaben und Umlagen. Dazu zählen etwa die Entgelte für die Nutzung der Netze sowie die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Die Strompreise hierzulande gehören aufgrund der hohen Umlagen und Abgaben zu den höchsten in Europa. Das gilt für Privathaushalte und gewerbliche Stromverbraucher gleichermaßen.
Thema bei den Koalitionsverhandlungen
Der VIK fordert unter anderem eine Abschaffung der EEG-Umlage sowie eine Absenkung der Stromsteuer von derzeit 2,05 Cent je Kilowattstunde auf das europäische Mindestniveau von 0,05 Cent. Auch die Kompensation der emissionshandelsbedingten Mehrkosten beim Strom müsse dauerhaft gewährleistet sein.
Das Thema steht auch auf der Tagesordnung der Koalitionsverhandlungen, die am Mittwoch begonnen haben. Eine Abschaffung der EEG-Umlage gilt unter den potenziellen Koalitionspartnern als konsensfähig; ob weitere Entlastungen beschlossen werden, ist derzeit aber nicht absehbar.
Darüber hinaus fordert der VIK, die Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Quellen stärker an den Kosten zu beteiligen. In Zeiten hoher Börsenstrompreise erwirtschafteten Direktvermarkter von Strom aus erneuerbaren Quellen Erlöse, die über den langfristigen Grenzkosten ihrer Anlagen und der garantierten Einspeisevergütung lägen, kritisierte der Verband.
Die im VIK zusammengeschlossenen Unternehmen sind besonders von der derzeitigen Situation betroffen. Sie sind energieintensiv und setzen große Mengen Erdgas und Strom ein. Die etwa 300 Mitgliedsunternehmen des VIK stehen für rund 80 Prozent des industriellen Energieverbrauchs in Deutschland.
Langfristig müsse das Strommarktdesign so weiterentwickelt werden, dass bei einem hohen Anteil von Erneuerbaren der Börsenstrompreis „nicht derart dramatisch wie zurzeit“ von den hohen Brennstoffpreisen abhänge, fordert der VIK.
Deutschland warnt vor Markteingriffen
Mit diesem Thema hatten sich erst am Dienstag auch die EU-Energieminister befasst. Sie verständigten sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Strategie.
Spanien hatte gefordert, den Strom- und auch den Gaspreis zu deckeln: Verbraucher sollten nur den Durchschnittspreis dessen zahlen, was die Stromproduktion mit verschiedenen Energieträgern kostet. Das hohe Gaspreisniveau treibt die Strompreise in die Höhe, weil Gas zur Stromproduktion eingesetzt wird.
Deutschland und acht andere Staaten warnten in einem Brief vor Eingriffen in den Markt. Der Wettbewerb sei gut für Innovationen und die Versorgungssicherheit, heißt es darin. Außerdem liefere er die besten Preise für Verbraucher. „Wir sollten keine überhöhten Erwartungen an kurzfristige Handlungsmöglichkeiten auf EU-Ebene schüren“, sagte der deutsche Staatssekretär Andreas Feicht. „Wir können die Weltmarktpreise von Gas, Öl und Kohle nicht beeinflussen.“
Wenn die EU den Strompreis künstlich senke, würde es sich für die Betreiber von Gaskraftwerken nicht mehr lohnen, ihre Anlagen anzuwerfen, sagte der luxemburgische Energieminister Claude Turmes. Die Schiffe, die verflüssigtes Erdgas nach Europa bringen sollen, würden dann eher abdrehen und ihre Ladung in Asien löschen.

Die steigenden Gaspreise setzen die Verzinkereien unter Druck. Hinzu kommen weitere Kostenbelastungen, etwa durch den CO2-Preis, der zum Jahreswechsel erhöht wird.
Jörg Selbach-Röntgen, Geschäftsführer des Gasgroßhändlers MET Germany, empfiehlt Auffanglösungen für in Not geratene Gasverbraucher aus der Industrie. Wer sich nicht rechtzeitig abgesichert habe, stehe angesichts der Volatilitäten und des anhaltend hohen Gaspreisniveaus vor einem Scherbenhaufen, sagte Selbach-Röntgen dem Handelsblatt.
Und wenn der Lieferant eines Industriekunden ausfalle, „hat der Industriekunde ein massives Problem“. Er müsse erheblich teurer einkaufen. „In diesem Fall könnte der Staat einen Schutzschirm aufspannen, indem er einen Teil des Preisänderungsrisikos übernimmt“, empfiehlt der Chef von MET Germany.
Umfrage zeigt Belastung auf
Wie stark die angespannte Preissituation die wirtschaftliche Lage von energieintensiven Unternehmen belastet, verdeutlicht eine dem Handelsblatt vorliegende Umfrage des Industrieverbands Feuerverzinken. 85 Prozent der befragten Geschäftsführer von Verzinkereien gaben an, dass die gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise eine sehr hohe oder hohe Belastung für ihr Unternehmen darstellten.
„Die derzeitigen kaum kalkulierbaren Preisentwicklungen schaffen hohe Planungsrisiken für die Unternehmen der Feuerverzinkungsindustrie. Wir fordern die Politik dazu auf, alle Schritte zu unternehmen, um die Situation zu entschärfen“, sagte Martin Kopf, Vorsitzender des Industrieverbands Feuerverzinken. Dazu gehöre insbesondere eine industriefreundlichere Energiepolitik.
Stahlarbeiter fordern Unterstützung von der Ampel-Koalition
Laut Umfrage stellen für mehr als 80 Prozent der Verzinkereien insbesondere die Gaspreise eine finanzielle Belastung dar. Zusätzliche Kosten verursacht die steigende CO2-Bepreisung im Rahmen des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG). „Zum 1. Januar 2022 wird der CO2-Preis weiter auf 30 Euro die Tonne steigen. Das wird den Kostendruck zusätzlich erhöhen. Wir fordern von der neuen Bundesregierung eine Überarbeitung des BEHG und eine Entlastung der Feuerverzinkungsindustrie“, sagte Kopf. „Wir brauchen Spielraum für die Transformation, den haben wir bei diesen Preisen nicht.“
Die Branche profitiert nicht von der Carbon-Leakage-Regelung, die bestimmte Branchen von einem Teil der Last des CO2-Preises befreit. Steigende Kosten schafften nicht nur unüberwindbare Hürden für Klimaschutz-Investitionen in den Verzinkereien, kritisiert der Verband. Sie verteuerten auch die gesamte Energiewende, da feuerverzinkter Stahl für den Ausbau der Stromtrassen, im Windanlagenbau oder auch als Unterkonstruktion für Solarmodule verwendet werde.
Mehr: Nord Stream 2 belastet die Ampel – USA warnen vor „lebensgefährlicher“ Energiekrise in Europa
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Der Kampf ist mit der neuen Regierung leider schon verloren. Keine neuen Kraftwerke, keine günstigere Energie. Einfache Rechnung.