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Energiewende Bundesregierung einigt sich auf Wasserstoffstrategie

Die Große Koalition hat sich mit einer klaren Vision zum Thema Wasserstoff lange schwer getan. Nun jedoch sind die Streitpunkte geklärt. Die Branche ist erleichtert.
08.06.2020 - 10:27 Uhr 1 Kommentar
Die jüngste Fassung der Wasserstoffstrategie enthält all die Punkte, die mit dem Konjunkturprogramm in Aussicht gestellt wurden. Quelle: dpa
Wasserstoff-Tankstelle

Die jüngste Fassung der Wasserstoffstrategie enthält all die Punkte, die mit dem Konjunkturprogramm in Aussicht gestellt wurden.

(Foto: dpa)

Berlin Die Zahl der eckigen Klammern in Gesetzesentwürfen oder Regierungsstrategien ist ein Indikator für ihren Reifegrad: Viele eckige Klammern bedeuten viel Uneinigkeit unter den beteiligten Ressorts, denn was zwischen eckigen Klammern steht, gilt als strittig.

Die jüngste Version der „Nationalen Wasserstoffstrategie“ stellt in dieser Hinsicht einen großen Fortschritt dar: Sie ist frei von eckigen Klammern. Damit steht der – seit Monaten erwarteten – Verabschiedung der Strategie durch das Bundeskabinett am Mittwoch dieser Woche nichts mehr entgegen.

Mit dem Beschluss des Konjunkturpakets am Mittwoch vergangener Woche war neue Dynamik in den Prozess gekommen. Das Konjunkturpaket fasst in den Ziffern 36 und 37 die Ziele der Bundesregierung beim Thema Wasserstoff zusammen. Die Bundesregierung macht dort die Zusage, „kurzfristig“ die längst überfällige Wasserstoffstrategie vorzulegen. Diese Ankündigung wird nun umgesetzt.

Die jüngste Fassung der Wasserstoffstrategie enthält all die Punkte, die mit dem Konjunkturprogramm in Aussicht gestellt wurden. An erster Stelle steht dabei die Zusage, zusätzlich sieben Milliarden Euro für den Markthochlauf von Wasserstofftechnologien in Deutschland und weitere zwei Milliarden Euro für den Aufbau von internationalen Partnerschaften beim Thema Wasserstoff zur Verfügung zu stellen.

Außerdem folgt die Strategie bei der Definition der bis 2030 anzustrebenden Elektrolyseleistung nun den Zahlen des Konjunkturpakets: Bis 2030 soll eine Leistung von fünf Gigawatt (GW) erreicht werden. Bislang war von „drei bis fünf GW“ die Rede. Der Wert von drei bis fünf GW entsprach den Vorstellungen des Bundeswirtschaftsministeriums; das Bundesforschungsministerium dagegen hätte es gern gesehen, wenn zehn GW zum Ziel erklärt worden wären.

Als Entgegenkommen für Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) kann man die neu in die Strategie aufgenommene Formulierung werten, bis 2035 weitere fünf GW Elektrolyseleistung aufzubauen.

Durchgesetzt hat sich Karliczek mit ihrer Forderung, einen „Innovationsbeauftragten Grüner Wasserstoff“ zu ernennen. Er soll ständiger Gast im künftigen Staatssekretärsausschuss und im Nationalen Wasserstoffrat sein.

Die Strategie folgt in ihrer jüngsten Fassung außerdem jenem Punkt des Konjunkturpakets, in dem die Befreiung der Produktion von Wasserstoff mittels Strom aus erneuerbaren Energien von der Umlage nach dem Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) in Aussicht gestellt wird. Damit entspricht die Bundesregierung einem Herzenswunsch vieler Unternehmen – darunter auch solche, die entsprechende Anlagen bereits heute betreiben, aber von Rentabilität weit entfernt sind.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hatte die Befreiung von der EEG-Umlage eher skeptisch gesehen. Denn mit jeder Privilegierung einzelner Abnehmer steigt die Last für die verbliebenen Stromverbraucher.

Im jüngsten Entwurf heißt es daher, man werde sicherstellen, dass die EEG-Umlage durch die Befreiung nicht steige. In der Praxis dürfte das bedeuten, dass ein steigender Teil der EEG-Kosten aus Haushaltsmitteln bestritten wird. Die Bundesregierung hatte sich bereits mit ihrem Konjunkturpaket darauf festgelegt, den Anstieg der EEG-Umlage durch den Einsatz von Haushaltsmitteln zu begrenzen.

Zusagen für die Chemie- und Stahlbranche

Neuerungen hält die Strategie auch für die Chemie- und die Stahlindustrie bereit. Man werde Ausschreibungsmodelle für die Herstellung von grünem Wasserstoff, der zum Beispiel zur Dekarbonisierung der Stahl- und Chemieindustrie dient, prüfen, heißt es nun in der Strategie. „Sofern erforderlich werden dafür die Mittel des Nationalen Dekarbonisierungsprogramms entsprechend aufgestockt.“

Die Idee der Ausschreibung folgt einem Gedanken, den Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) bereits vor Monaten in die Debatte gebracht hatte. Ausschreibungsmodelle könnten so funktionieren: Der Staat schreibt Jahr für Jahr eine steigende Menge von grünem Wasserstoff zur Produktion aus. Der Anbieter, der die Produktion dieser Menge zum günstigsten Preis zusagt, bekommt den Zuschlag.

Auch an anderer Stelle greift der Entwurf der Strategie in seiner jüngsten Fassung die Belange der Stahl- und Chemieindustrie auf. „Im Rahmen der Umstellung auf klimafreundliche Industrieverfahren wird neben Investitionskostenzuschüssen der Betrieb von Elektrolyseanlagen unterstützt. Dafür wird die Bundesregierung ein neues Pilotprogramm für Carbon Contracts for Difference (CfD) aufbauen, das sich in erster Linie auf die Stahl- und Chemieindustrie mit prozessbedingten Emissionen bezieht“, heißt es in der Strategie.

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Dabei garantiert die Bundesregierung, die Differenz zwischen den bei einem neuen, klimafreundlichen Verfahren entstehenden Vermeidungskosten je Tonne CO2 und dem CO2-Preis im Europäischen Emissionshandel zu übernehmen.

„Durch ein solches Programm entstehen Investitionssicherheit und Anreize für ein Vorziehen von Klimaschutzprojekten, welche indirekt Anreize zur Erzeugung von Wasserstoff erzeugen und zu einem Markthochlauf von Wasserstofftechnologien führen“, heißt es zur Begründung in der Strategie.

„Nach erfolgreicher Pilotphase kann ein solches Instrument auf zusätzliche Bereiche der Industrie ausgeweitet werden“, stellen die Autoren der Strategie in Aussicht. Um beihilferechtliche Probleme zu vermeiden, strebe man eine „enge Koordinierung“ mit der EU-Kommission an.

Für energieintensive Branchen wie Stahl oder Chemie sind solche Zusagen enorm wichtig. Gerade die Stahlbranche steht unter massivem Druck. Stahlerzeuger müssen die Effizienz bestehender Anlagen kontinuierlich steigern, um die Klimaschutzauflagen zu erfüllen. Dabei folgen sie den Vorgaben des europäischen Emissionshandelssystems. Die Zahl der zur Verfügung stehenden Emissionszertifikate wird kontinuierlich gekürzt.

Doch die Ertüchtigung bestehender Anlagen ist nur eine Seite der Medaille. Denn mit konventionellen Verfahren werden sich die Klimaschutzauflagen auf Dauer keinesfalls erfüllen lassen. Parallel arbeiten die Hersteller daher an Verfahren, die im Wesentlichen auf dem Einsatz von grünem Wasserstoff basieren. Allein Thyssen-Krupp will nach eigenen Angaben in den kommenden Jahren zehn Milliarden Euro in die neuen Verfahren investieren.

Allerdings sind die Kosten für den Einsatz von grünem Wasserstoff extrem hoch. Klimaneutral produzierter Stahl hätte auf den Weltmärkten derzeit keine Chance.

Auch diesem Problem trägt die Wasserstoffstrategie mit verschiedenen Überlegungen Rechnung. Dazu heißt es jetzt in der Strategie, man wolle die Nachfrage nach Industrieprodukten, die mittels emissionsarmer Prozesse und der Nutzung von Wasserstoff hergestellt wurden, stärken.

„Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, national und auf europäischer Ebene Lösungen zu prüfen, wie Märkte für klimaneutrale und Kreislaufprodukte in energieintensiven Industriesektoren stimuliert werden können. Eine Nachfragequote für klimafreundliche Grundstoffe, zum Beispiel grünen Stahl, wird geprüft“, heißt es.

Voraussetzung für solche Maßnahmen sei „ein aussagekräftiges, ambitioniertes und nachvollziehbares Labeling“ klimafreundlicher Zwischen- und Endprodukte.

Quote für synthetische Kraftstoffe im Flugverkehr

Konkreter als bislang wird die Wasserstoffstrategie auch bei den Formulierungen zum Einsatz von synthetischen Kraftstoffen im Luftverkehr, die auf der Basis von grünem Wasserstoff hergestellt werden („Power to Liquid“, kurz PtL). Es erscheine „grundsätzlich sinnvoll“, die Inverkehrbringer von Flugkraftstoffen zu verpflichten, PtL einzusetzen.

„Es gilt zu prüfen, welche Kerosinmengen technisch und nachhaltig zu welchem Zeitpunkt realisierbar sind. Im Sinne eines ambitionierten Markthochlaufs wird zunächst eine Quote in Höhe von mindestens zwei Prozent in 2030 erörtert“, heißt es in der Strategie.

In der Branche wird die Entwicklung positiv bewertet. „Die Wasserstoffstrategie, die gerade noch rechtzeitig zum Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft fertig geworden ist, wird ein energiepolitischer Meilenstein. Denn nicht nur für das Konjunkturpaket, sondern auch für den Green Deal der EU wird die Wasserstoffstrategie Deutschlands wichtige Impulse liefern“, sagte Timm Kehler, Vorstand von Zukunft Erdgas, einer Initiative der deutschen Gaswirtschaft.

„Aufgrund der guten Gasinfrastruktur in Deutschland hat die Umsetzung der Strategie hierzulande hohe Erfolgschancen. Die deutsche Gaswirtschaft hat bereits in vielen Pilotprojekten die Potenziale von Wasserstoff gezeigt und steht für die nächsten Schritte bereit“, ergänzte er. Kehler hob hervor, dass die jüngste Fassung der Strategie nun auch Perspektiven für den Einsatz von Wasserstoff im Wärmesektor eröffne.

Ein Punkt bleibt aus Kehlers Sicht allerdings kritikwürdig: „Bei der Frage der Wasserstofferzeugung werden durch die fahrlässige Fokussierung ausschließlich auf grünen Wasserstoff große Mengenpotenziale für CO2-neutralen, bezahlbaren Wasserstoff verschenkt. Mit der ausschließlichen Förderung von grünem Wasserstoff bleibt die Strategie Perspektiven zur Weiterentwicklung der bewährten Kooperationen mit unseren internationalen Erdgaspartnern schuldig“, sagte Kehler.

Keine Chance für blauen und türkisen Wasserstoff

Monatelang hatten die Ministerien darüber gestritten, ob auch sogenannter blauer und türkiser Wasserstoff Bestandteil der Strategie werden sollen. Blauer Wasserstoff wird auf der Basis von Erdgas hergestellt. Das bei der Herstellung frei werdende CO2 wird abgespalten und dauerhaft unterirdisch gespeichert (Carbon Capture and Storage, kurz CCS). Insbesondere in Norwegen arbeiten mehrere große Unternehmen daran, die gesamte Prozesskette für blauen Wasserstoff zu etablieren.

Die CCS-Technologie ist jedoch umstritten. Außerdem wenden Kritiker von blauem Wasserstoff ein, dass in der gesamten Prozesskette – von der Erdgasförderung bis zur CO2-Speicherung – durchaus CO2 entstehe, blauer Wasserstoff somit nicht C02-neutral sei.

Türkiser Wasserstoff entsteht auf der Basis von Erdgas mittels Pyrolyse. Dabei entsteht Kohlenstoff als festes Abfallprodukt. Der Kohlenstoff kann leicht gelagert oder weiterverarbeitet werden.

In der Strategie heißt es lediglich, blauer und türkiser Wasserstoff könnten in Deutschland „übergangsweise genutzt werden“. Damit sind sie allenfalls geduldet.

Mehr: Heilsbringer oder Illusion? Mehr über die Potenziale von Wasserstoff lesen Sie hier.

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1 Kommentar zu "Energiewende: Bundesregierung einigt sich auf Wasserstoffstrategie"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Die Bundesregierung kommt... wie immer viel zu spät - und verdient daher auch alles andere als Lob! Vor 7-10 Jahren wäre das innovativ gewesen.
    Wieviel per Wind und Solar produzierte elektrische Energie ist seitdem am Markt verschenkt worden bzw. wurde an der Leipziger Strombörse mit Zuschuss "verkauft"?! Und das wurde von den Stromkunden alles auch noch per Umlage bezahlt, ihnen also weggenommen! Die Regierung hat die Kunden also von Anfang an quasi betrogen, denn der Überschuss hätte ein Produkt erzeugen können, das auch noch Geld bringt. Stattdessen stieg die EEG-Umlage Jahr für Jahr! Die Produktion von grünem Wasserstoff hätte von Anfang an fester Bestandteil der Energiewende sein müssen und nicht erst jetzt nachgeschoben werden - mit mal wieder großen Worten. Ich bin mittlerweile völlig desillusioniert: In der Bundesregierung sitzen Dilettanten, die immer nur so tun als hätten sie Ahnung!

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