Energiewende Neues Zehn-Punkte-Programm: So stellen sich die Grünen den Kohleausstieg vor

Die Übergangsfrist bis zur Stilllegung soll nach den Vorstellungen der Grünen „ein bis zwei Jahre“ betragen.
Berlin Ein möglichst rasches Ende der Kohleverstromung gehört seit Jahren zum Kernbestand politischer Forderungen der Grünen. Die Partei setzt daher alles daran, dass die von der Kohlekommission erarbeiteten Pläne für den Ausstieg möglichst rasch Realität werden. Mit einem eigenen „Zehn-Punkte-Fahrplan“ für den rechtsverbindlichen Ausstieg prescht die Parteispitze nun voran.
Damit wollen die Grünen den Druck auf die Regierung erhöhen. Die Große Koalition dürfe „jetzt nicht den historischen Fehler begehen“, das Kommissionsergebnis zu verschleppen und zu verwässern, sagte Parteichefin Annalena Baerbock dem Handelsblatt. Fast drei Monate nach der Präsentation des Abschlussberichts der Kohlekommission gebe es „innerhalb der Bundesregierung weiterhin keine klare Position, wann und wie die ersten Kohleblöcke abgeschaltet werden sollen“, sagte sie.
Darum zeigen nun die Grünen auf, wie es gehen könnte: In einem ersten Schritt soll es ihrem Fahrplan zufolge entschädigungsfreie Stilllegungen bis 2022 im Umfang von drei Gigawatt (GW) bei den Braunkohlekraftwerken und im Umfang von vier GW bei den Steinkohlekraftwerken geben. Die Übergangsfrist bis zur Stilllegung soll nach den Vorstellungen der Grünen „ein bis zwei Jahre“ betragen.
Für die entschädigungsfreie Abschaltung von Braunkohlekraftwerken bis 2022 schlagen die Grünen die Blöcke A, B, D, E am RWE-Standort Neurath sowie die Blöcke C, D, G am RWE-Standort Niederaußem vor. Die installierte Leistung der Blöcke beträgt zusammen 3,019 GW.
Bei den Steinkohlekraftwerken schlagen sie für die entschädigungsfreie Abschaltung bis 2022 die Kraftwerke Farge (Engie), Block 1 des Uniper-Kraftwerks in Wilhelmshaven, Block 3 des EPH-Kraftwerks in Mehrum, Block A des RWE-Kraftwerks Bergkamen, Block K2 des RWE-Kraftwerks Gersteinwerk und Block 4 des Uniper-Kraftwerks Heyden vor. Hier summiert sich die installierte Leistung auf 4,003 GW.
Der Wert von raschen Stilllegungen im Umfang von drei GW Braunkohle und vier GW Steinkohle entspricht auch den Vorschlägen der von der Bundesregierung eingesetzten Kohlekommission. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied: Die Kommission empfiehlt, die Stilllegung von Kraftwerken auf vertraglicher Basis mit den Betreibern zu vereinbaren und Entschädigungen zu zahlen.
Wenn es nicht zu einer einvernehmlichen Lösung kommen sollte, rät die Kommission zu einer „ordnungsrechtlichen Lösung mit Entschädigungszahlungen im Rahmen der rechtlichen Erfordernisse“.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat sich diese Empfehlung zu eigen gemacht. Die Beamten haben nach Angaben aus Branchenkreisen bereits mit den Kraftwerksbetreibern RWE und Uniper gesprochen. Gespräche mit Leag und Mibrag stünden kurz bevor.
Ausdruck einer anderen Rechtsauffassung
Noch gehe es allerdings nicht um „harte Verhandlungen“, eher um Vorgespräche. Bis Ende des Jahres soll die Abschaltung der Kraftwerke in einem Gesetz geregelt werden. Der Ausstieg aus der Braunkohle gilt als wesentlich komplexer, weil er untrennbar mit den Braunkohletagebauen verbunden ist.
Nach Überzeugung der Grünen bedarf es keiner Verhandlungen mit den Betreibern. Die Forderung der Grünen, entschädigungsfreie Stilllegungen festzulegen, ist Ausdruck einer grundsätzlich anderen Rechtsauffassung. Die Grünen sind davon überzeugt, dass man ältere Kraftwerke mit einer Übergangsfrist von ein bis zwei Jahren entschädigungsfrei stilllegen kann. Sie berufen sich dabei auf ein Gutachten der Kanzlei Becker Büttner Held aus dem Jahr 2017.
Die Mitglieder der Kohlekommission dagegen waren mehrheitlich anderer Auffassung. Dieser Sichtweise hat sich die Bundesregierung angeschlossen.
Die Grünen denken in ihrem Zehn-Punkte-Plan weit über die Zeit nach 2022 hinaus. Für die zweite Phase des Ausstiegs soll ein verbindlicher Abschaltplan für Kohlekraftwerke entstehen, die älter sind als 25 Jahre. Sie sollen ebenfalls entschädigungsfrei vom Netz gehen.
Zu den weiteren Maßnahmen des Zehn-Punkte-Fahrplans gehört es, den Ausbau erneuerbarer Energien „zügiger und verbindlicher“ voranzubringen. Außerdem sprechen sich die Grünen dafür aus, Versorgungslücken, die durch den Kohleausstieg entstehen, mittels Kapazitätsausschreibungen zu schließen. Außerdem wollen sie einen CO2-Mindestpreis im Emissionshandel durchsetzen, „notfalls auch national“.
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Es ist doch immer wieder erhellend mit welcher Gleichgültigkeit die Grünen mit Ihren Vorschlägen über die existentiellen Bedürfnisse der Mitarbeiter in den Kraftwerken und Braunkohlegruben hinweg gehen. Sie wissen, dass sie von diesen ohnehin nicht gewählt werden und bedienen so lieber die Erwartungen Ihres urbanen, intellektuellen Wählerklientels. Entschädigungsfrei abschalten und das innerhalb von 1-2 Jahren. Wo und wie die Kraftwerksmitarbeiter und Kohlekumpel einen neuen Job finde sollen, ist den Grünen gleichgültig.
Ärgerlich ist an diesem Vorschlag aber vor allem, dass er die Symbolpolitik der Kohlekommission noch einmal deutlich verstärkt. Denn der Kohleaustieg kommt auf Grund der Altersstruktur der Kraftwerke und des Europäischen Emissionshandelssystems in den 2040-er Jahren ohnehin. Und zwar aus einer rein ökonomischen Logik und demzufolge auch ohne weitere Entschädigungen zu Lasten der Steuerzahler, aber mit genügend Zeit für den notwendigen Strukturwandel. Bei einem deutschen Anteil von derzeit 2% an den weltweiten CO2-Emissionen ist es zudem völlig irrelevant, ob die Kohlekraftwerke 2035 (Vorschlag der Kohlekommission) oder noch eher vom Netz gehen, wie es die Grünen gerne möchten. Leider ist Rationalität nicht Sache der Politik, sie lebt von Symbolen, auch wenn sie noch so teuer und ebenso überflüssig sind.