Enttäuschung des Jahres Der Skandal um Wirecard bringt die gesamte Branche der Wirtschaftsprüfer in Misskredit

Die „Big Four“ der Wirtschaftsprüfer müssen sich fragen, wie sie aus ihrem derzeitigen Dilemma herausfinden.
Man sieht sie selten bis gar nicht in freier Wildbahn. Manchmal, auf Hauptversammlungen sitzen sie in der zweiten oder dritten Reihe, meist dezent am Rand. Dauert die Hauptversammlung länger, sind sie dagegen deutlich einfacher auszumachen. Bleiben sie doch geduldig bis zum Schluss sitzen. Der Grund: Erst am Ende der Hauptversammlung wird verkündet, ob sie für das laufende Jahr gewählt wurden oder eben nicht. Gemeint sind natürlich die Wirtschaftsprüfer.
Dass Wirtschaftsprüfer während der Hauptversammlung irgendwo unter den Eigentümern und damit unter den Aktionären zu finden sind, zeichnet allerdings ein vollkommen falsches Bild. Denn die Aktionäre nehmen den Wirtschaftsprüfer und seine Arbeit eigentlich nur sehr punktuell wahr. Ein echtes, direktes Verhältnis zwischen dem Abschlussprüfer und den Aktionären existiert nicht, auch wenn die Aktionäre den Prüfer wählen. Eigentlich ein Fehler im System.
Das Testat und seit einigen Jahren das erweiterte Testat mit den Key Audit Matters und damit mit den Prüfungsschwerpunkten, die einen wesentlichen Einfluss auf die Rechnungslegung hatten, ist eigentlich das Einzige, was die Eigentümer von dem Wirtschaftsprüfer vernehmen.
Und trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – war das Vertrauen, das die Eigentümer in die Arbeit und damit die Prüfungshandlungen der Wirtschaftsprüfer setzen, bisher – trotz einiger Skandale in der Vergangenheit – enorm. Dieses Vertrauen hat spätestens seit dem 18. Juni 2020 und damit dem Implodieren der Wirecard AG massiv gelitten.
Die für Wirecard zuständige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY trägt – unabhängig von den nahezu täglich neu ans Licht kommenden Tatsachen – durch ihr Verhalten erheblich dazu bei, dass dieses Misstrauen nicht nur in Bezug auf EY wächst, sondern sich auch auf die gesamte Branche ausbreitet.

Marc Tüngler ist Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Der Jurist sitzt zudem in verschiedenen Aufsichtsräten, darunter Freenet und Innogy. Daneben ist er Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex und Vorstand des Arbeitskreises deutscher Aufsichtsrat (AdAR).
Insofern ist es erstaunlich, dass es keinen lauten Aufschrei in der Wirtschaftsprüferszene gibt, obwohl die „Kollegen von EY“ es nahezu perfekt beherrschen, die gesamte Branche in Misskredit zu bringen.
Klar ist: Wirecard ist nicht überall! Alle Marktteilnehmer müssen aufpassen, wie auch der Regulierer genau darauf achten muss, dass nicht im Zuge des Wirecard-Skandals alles und jeder unter Generalverdacht gestellt wird.
Wenn wir aber jetzt im Rahmen der Aufbereitung des Wirecard-Skandals lernen müssen, wie gering der Wert mancher Aussagen der Wirtschaftsprüfer und ihrer Testate tatsächlich sein können, dreht sich allerdings das Spiel.
Und wenn immer wieder darauf hingewiesen wird, welche Prüfungshandlungen von einem gewählten Wirtschaftsprüfer eigentlich gerade nicht vorgenommen werden müssen, dann mag das zwar formell sowie materiell richtig sein, offenbart aber, wie sehr sich die Wirtschaftsprüferbranche durch die Aussagen von EY selbst demontiert beziehungsweise durch die EY-Kollegen demontieren lässt.
Die Wirtschaftsprüfer sollten sich zur Sache äußern
Als Wirecard-Geschädigter und Anleger schüttelt man nur noch mit dem Kopf, wenn man sich insbesondere das Gebaren von EY im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuss vor Augen führt. Dabei geht es nicht nur um den Aspekt der Verschwiegenheitspflicht.
Auch die Tatsache, dass mit Christian Orth und Stefan Heißner zwei ranghohe, aber mit der Wirecard-Prüfung nicht unmittelbar betraute EY-Mitarbeiter im Untersuchungsausschuss aussagen beziehungsweise eben nicht aussagen, spricht eine deutliche Sprache.
Natürlich müssen sich die verantwortlichen Wirecard-Prüfer nicht zu den Vorgängen und Prüfungshandlungen, die sie bei Wirecard erlebt und vorgenommen haben, äußern. Das gilt sicher besonders, wenn ein Ermittlungsverfahren der Wirtschaftsprüferaufsicht APAS gegen sie läuft.
Diese Fragen aber nur auf den juristischen Aspekt zu beschränken geht fehl. Und so entsteht der Eindruck, dass EY etwas zu verschweigen, zu verbergen hat und dass eine Aussage selbstbelastend ausfallen könnte. Denn wenn, wie EY unterstreicht, alles ordnungsgemäß im Rahmen der Prüfungen der letzten Wirecard-Abschlüsse gelaufen ist und man selbst Opfer von Betrug und Schauspielern geworden ist, dann würde eine Aussage auch nicht zu einer Belastung führen. Hier beißt sich die Katze mächtig in den Schwanz.
Der Gesetzgeber hat bereits erste Konsequenzen gezogen und mit dem Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) neue Regeln für Wirtschaftsprüfer vorgeschlagen. Die Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers soll gestärkt werden, indem die Prüfung stärker von der Beratung getrennt wird. Die Haftungssummen werden (moderat) hochgesetzt und die Bestellungsdauer auf maximal zehn Jahre reduziert. Weitere regulatorische Vorgaben werden sicher folgen.
Die Branche muss sich neues Vertrauen erarbeiten
Das wäre genau der richtige Zeitpunkt für die Branche, sich aktiv einzubringen, sich zu erklären. Aber der laute Aufschrei oder ein Aufbäumen bleiben – bisher – aus. Dabei wäre es gerade jetzt besonders wichtig, dass die Wirtschaftsprüfer endlich aus ihrem Schatten treten.
Und das übrigens nicht nur in der aktuellen Diskussion über die Qualität von Wirtschaftsprüfungen und die Verlässlichkeit von Testaten, sondern auch weit darüber hinaus. So sollte der Wirtschaftsprüfer deutlich stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit der Gruppe treten, die das wirtschaftliche Risiko einer Unternehmung trägt. Das sind die Eigentümer beziehungsweise die Aktionäre.
Dies ist möglich durch mehr Transparenz über die Art und Weise, wie ein Wirtschaftsprüfer agiert, und durch die Möglichkeit für die Eigentümer, dem Wirtschaftsprüfer in der Hauptversammlung Fragen zu stellen.
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Dies ist mit der übergeordneten Frage verknüpft, für wen der Wirtschaftsprüfer eigentlich gewählt und aktiv ist. Heute ist der Wirtschaftsprüfer allein der Partner und Erfüllungsgehilfe des Aufsichtsrats. Die Aktionäre bleiben außen vor.
Aber auch die Wirtschaftsprüfer selbst müssen sich fragen, wie sie aus dem derzeitigen Dilemma und dem enormen Reputationsverlust, der eben weit über EY hinausgeht, einen Ausweg finden wollen. Denn ein Mehr an Verantwortung und ein Mehr an Unabhängigkeit werden nur dann wieder Vertrauen wachsen lassen, wenn das alles auch von einem hohen Maß an Transparenz begleitet wird.
Derzeit wird die Frage laut gestellt, was ein Testat eigentlich wert ist. Diese Diskussion kann sich eigentlich kein Wirtschaftsprüfer ernsthaft wünschen und erst recht nicht leisten. Und dennoch bleiben sie weiterhin im Schatten wie in der Hauptversammlung, wodurch sich der Reputationsschaden für die gesamte Branche nochmals deutlich vertieft – ein Teufelskreis.
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...nicht nur der Wirtschaftsprüfer (die sind schon seit dem ASB-Skandal so weit) sondern wieder einmal der Aufsichtsbehörden (siehe Kraftfahrtbundesamt-Abgasbetrug) BAFIN als "Subbehörde" der Bundesfinanzministeriums (daher auch sehr unabhängig) und damit auch unmittelbar eine politische Behörde. Wären die Aufsichtsbehörden tatsächlich unabhängig käme es ja zu keinem Skandatbetrug. Aber das will man (die Politik) ja gerade nicht.
Weshalb wohl - hat das vielleicht mit den nicht detailliert zu benennenden Nebeneinkünften zu tun?