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Erwerbs- und Sorgearbeit Frauen in der Coronakrise: Was kann die zunehmende Traditionalisierung aufhalten?

Während der Pandemie wächst die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, zeigen aktuelle Daten. Was die Experten raten, um den Trend aufzuhalten.
26.03.2021 - 03:57 Uhr Kommentieren
Frauen leisten insgesamt mehr unbezahlte Familienarbeit, heißt es in einer aktuellen Studie des Forschungsinstituts Kantar im Auftrag des Bundesfamilienministeriums. Quelle: dpa
Homeoffice mit Kind

Frauen leisten insgesamt mehr unbezahlte Familienarbeit, heißt es in einer aktuellen Studie des Forschungsinstituts Kantar im Auftrag des Bundesfamilienministeriums.

(Foto: dpa)

Berlin Seit nunmehr einem Jahr leben Deutschlands Familien im Ausnahmezustand. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus haben während zweier Lockdowns zur flächendeckenden Schließung von Kitas und Schulen geführt. Eine Rückkehr zum Regelbetrieb gab es bislang nur für sehr kurze Etappen. Angesichts der dritten Welle der Pandemie scheint Normalität in weiter Ferne.

Für berufstätige Eltern bedeutet das seit vielen Monaten: Erwerbstätigkeit bei gleichzeitiger Betreuung und Beschulung der Kinder. Und auch wenn einige Väter in der Pandemie stärker als zuvor bei der Sorgearbeit zupacken und auch Arbeitszeiten reduzierten, so zeigt sich doch immer deutlicher, dass vor allem die Frauen die Lasten der Coronakrise stemmen.

Frauen „leisten insgesamt mehr unbezahlte Familien- und Care-Arbeit, insbesondere dann, wenn Kinder im Haushalt leben“, heißt es in einer aktuellen Studie des Forschungsinstituts Kantar im Auftrag des Bundesfamilienministeriums, die dem Handelsblatt vorliegt. „Dies ist auch in der Corona-Pandemie der Fall – wenngleich auch die Männer ihren Anteil an der Familienarbeit erhöht haben.“

Dieses Ungleichgewicht registriert die Bevölkerung auch deutlich, wie in der repräsentativen Befragung von Kantar klar wird: 60 Prozent der Befragten können keinen positiven Effekt der Pandemie für die Zukunft der Gleichstellung von Männern und Frauen erkennen.

Eine große Mehrheit (84 Prozent) sieht demnach einen deutlichen Handlungsbedarf, um das „gesellschaftliche Ideal“ einer Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen. Ein nennenswerter Anteil von Frauen und Männern befürchtet, dass das Aufbrechen traditioneller Rollenklischees noch viel Zeit und Mühe erfordern wird.

Giffey: Gleichstellung ist „fortbestehender Auftrag“

Immerhin 80 Prozent der Befragten verbinden mit der Gleichstellung von Frauen und Männern etwas Positives. „Das ist eine ermutigende Botschaft und ein fortbestehender Auftrag“, sagte Bundesfamilien- und Frauenministerin Franziska Giffey (SPD) dem Handelsblatt.

„Die Studie zeigt uns, wie wichtig und hochaktuell Gleichstellung als Fortschrittsmotor für eine demokratische und freie Gesellschaft ist, in der Männer und Frauen ihre Lebenschancen ergreifen können.“ Die Coronakrise hat nach Einschätzung der Ministerin bestehende Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern verstärkt.

Tatsächlich belegen immer mehr Daten, dass erwerbstätige Mütter die Hauptlast der Krise schultern. Von einer „Retraditionalisierung der Geschlechterrollen“ ist die Rede. Jüngst warnte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): „Wir müssen darauf achten, dass die Pandemie nicht dazu führt, dass wir in manch schon überwunden geglaubtes Rollenmuster zurückfallen.“ Viele müssten einen Spagat zwischen Homeschooling, Kinderbetreuung und Beruf hinlegen.

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Die EU-Kommission kritisiert ebenfalls Rückschläge in der Gleichberechtigung durch die Coronakrise: „In Europa und darüber hinaus hat die Pandemie die bestehenden Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in fast allen Lebensbereichen verschärft und hart erkämpfte Fortschritte der vergangenen Jahre wieder zunichtegemacht“, heißt es in dem gerade veröffentlichten Brüsseler Bericht. So sei die Arbeitslosigkeit bei Frauen stärker angestiegen als bei Männern. Traditionelle Geschlechterrollen kehrten zurück.

Auch ohne Pandemie kämpfen die Frauen in Deutschland nach wie vor mit Ungleichheiten. In ihrem neuesten Buch „Es geht nur gemeinsam“ fasst die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), Jutta Allmendinger, das prägnant zusammen:

• der Gender Pay Gap, die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen,

• der Gender Care Gap, die Unterschiede in der Zeit, die Frauen und Männer mit unbezahlter Arbeit verbringen,

• der Gender Position Gap, die geschlechtsspezifischen Anteile bei den Führungspositionen,

• der Gender Pension Gap, „eine traurige Statistik, die zeigt, wie gering die Altersrenten von Frauen im Vergleich zu denen von Männern sind“.

Der Effekt der Coronakrise liegt für Allmendinger auf der Hand: Retraditionalisierung.

Anreize für eine gleichberechtigtere Aufteilung der Sorgearbeit

Zu ähnlichen Befunden kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer aktuellen Studie zur „Sorgearbeit während der Corona-Pandemie“. Fazit: Die Paare, die sich bereits vor der Coronakrise Hausarbeit und Kinderbetreuung in etwa gleich aufgeteilt hatten, blieben auch während des ersten Lockdowns bei dieser Aufteilung.

Insgesamt aber erledigen Mütter den größeren Anteil an der Kinderbetreuung und der Hausarbeit. Das gilt vor allem, wenn die Aufteilung der Sorgearbeit schon vor der Krise ungleich war. In Zahlen: Vor der Pandemie, im Jahr 2019, übernahm die Frau in etwa acht Prozent der Familien sämtliche Betreuungsarbeiten. Dieser Anteil hat sich im Frühjahr 2020 auf etwa 16 Prozent verdoppelt.

„In diesem Sinne ist von einer zunehmenden Traditionalisierung zu sprechen, obwohl auch der Anteil der Paare geringfügig gestiegen ist, bei denen überwiegend der Mann die Sorgearbeit leistet“, heißt es im DIW-Bericht. Dieser Anteil sei mit etwa fünf Prozent aber nach wie vor sehr gering.

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Die DIW-Experten raten, unabhängig von der Corona-Pandemie mehr Anreize dafür zu setzen, dass beide Elternteile die Kinder gleichermaßen betreuen. So ließen sich beim Elterngeld bei gleichbleibender Bezugsdauer die Partnermonate von derzeit zwei auf vier Monate ausdehnen.

Schon im vergangenen Jahr forderte das DIW zudem in einem Bericht zum „Wohlbefinden von Familien in Zeiten von Corona“, dass familien- und bildungspolitische Expertinnen und Experten feste Plätze in Krisenstäben erhalten sollten, damit die Belange von Familien von vornherein mitbedacht werden. Auch die Wirtschaft würde darunter leiden, wenn die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus die Entwicklung des Humanpotenzials von heute und morgen einschränkten.

„Ungewünschte Teilzeit“ könnte hängen bleiben

Eine aktuelle Untersuchung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zu Corona und Gleichstellung ergab, dass der Rückstand von Frauen bei der durchschnittlichen Erwerbsarbeitszeit (Gender Time Gap) pandemiebedingt größer wird, auch weil vor allem Mütter ihre Arbeitszeit im Job reduzieren, um bei geschlossenen Schulen und Kitas Kinder zu betreuen.

Vor Ausbruch der Pandemie arbeiteten erwerbstätige Mütter demnach im Schnitt zehn Stunden pro Woche kürzer als erwerbstätige Väter in einem bezahlten Job. Im Frühjahr 2020 betrug die Differenz zwölf Stunden und auch bei den Arbeitszeiten im Oktober noch elf Stunden.

„Es besteht die Gefahr, dass ein Teil dieser Arbeitszeitreduzierungen auch nach Ende der akuten Krise nicht zurückgenommen werden kann, falls Arbeitgeber an einer Aufstockung der Arbeitszeit kein Interesse haben“, heißt es in einer Erklärung der Stiftung. Im schlimmsten Falle könne sich „ungewünschte Teilzeit“ verstetigen.

„In der Gesamtschau spricht vieles dafür, dass die bereits vor der Krise existierenden Ungleichheitsstrukturen sich in der Krise verschärfen und damit auch langfristig zu einer wachsenden Ungleichheit zwischen den Geschlechtern führen könnten, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird“, fasst die wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, Bettina Kohlrausch, den Trend zusammen.

Die Empfehlungen: Verbesserungen bei der Kinderbetreuung, Reformen der Ehegattenbesteuerung, das geringere Arbeitszeitvolumen einer 30-Stunden-Woche, Ausbau der Partnermonate des Elterngelds auf bis zu sechs Monate sowie betriebliche Angebote für orts- und zeitflexible Arbeit.

Hinter der „umgekehrten Traditionalisierung“, bei der sich vor allem der Mann um die Kinder kümmert, vermuten die Forscher der Hans-Böckler-Stiftung eher „eine kurzfristige Anpassung an die Notsituation“.

Verhaltensänderung allein der „Not“ geschuldet?

Auch die Arbeitsmarktforschung nimmt die Frauen in Corona-Zeiten in den Blick. So hatte das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) im Februar eine für das Bundesarbeitsministerium erstellte Studie zur Arbeits- und Belastungssituation in der Corona-Pandemie veröffentlicht. Demnach gaben 36 Prozent der Männer an, sich ständig oder häufig belastet zu fühlen, bei den Frauen lag der Anteil mit 48 Prozent deutlich höher.

Die Aufgabenverteilung in Paarhaushalten hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer Studie beleuchtet. „Wir sehen, dass Väter sich in der Krise stärker bei der Kinderbetreuung engagiert haben, aber Mütter weiter den Löwenanteil übernehmen“, sagt IAB-Vizedirektor Ulrich Walwei.

Gaben vor der Coronakrise gut 61 Prozent der Männer an, dass sich ihre Partnerin fast vollständig oder überwiegend um die Kinderbetreuung kümmere, so waren es während der Pandemie nur noch knapp 53 Prozent. Beide Geschlechter hätten die Arbeitszeit reduziert – die Männer allerdings etwas stärker als die Frauen, was auch an der Kurzarbeit liegen dürfte, sagt Walwei.

Es gebe Paarkonstellationen, in denen es in der Krise zu einer traditionelleren Rollenverteilung gekommen sei, aber auch solche mit einer stärker egalitären Arbeitsaufteilung. Die Frage sei aber, ob die beobachtete Verhaltensänderung allein der „Not“ geschuldet gewesen sei oder auch danach fortwirke. Das werde sich aber erst im Rückblick valide bewerten lassen. „Im Augenblick sind wir vielfach noch im Bereich der Spekulation“, sagt der Arbeitsmarktforscher.

Auch die Frage, ob Frauen am Arbeitsmarkt stärker unter der Krise leiden als Männer, sei nicht leicht zu beantworten. „Wir erleben ja in frauentypischen Berufen wie der Pflege sogar in der Krise einen Aufbau bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung“, sagt Walwei. Auf der anderen Seite seien im Zuge der Pandemie aber ungefähr 500.000 Minijobs verloren gegangen, davon ungefähr die Hälfte Nebenjobs. „Und bei Minijobs dominieren die Frauen.“

Frauen besonders stark vom Jobverlust bedroht

Bei der Arbeitslosigkeit sind beide Geschlechter in Deutschland durch Corona etwa gleichermaßen betroffen. Die Arbeitslosenquote bei Männern lag im Februar nach Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) bei 6,8 Prozent. Ohne die Pandemie wäre sie wohl 1,1 Prozentpunkte niedriger ausgefallen. Bei den Frauen ist die Quote auf 5,8 Prozent gestiegen, wobei der Corona-Effekt mit 1,2 Prozentpunkten geringfügig größer ausfällt als bei den Männern.

Fakt ist aber, dass die aktuell noch vom Lockdown betroffenen Branchen weiblich dominiert sind. Knapp 54 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Gastgewerbe sind Frauen, hinzu kommen viele Minijobberinnen. Im Einzelhandel sind sogar zwei von drei Beschäftigten Frauen. Sie sind also aktuell besonders stark vom Jobverlust bedroht.

IAB-Vizedirektor Walwei weist aber darauf hin, dass die Krise und die angespannte Arbeitsmarktlage gerade für junge Frauen, die frisch ins Berufsleben starten, auch eine Chance sein könnte, weil sie oft bessere Noten hätten als die Männer.

Dennoch treibt die Sorge über eine Retraditionalisierung auch Arbeitsagentur-Chef Detlef Scheele um. „Ich hoffe sehr, dass vier Monate Corona nicht alles zerstören, was in Jahrzehnten an Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt erreicht wurde“, sagte er schon im Juni 2020 in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Man müsse alles daransetzen, dass dies nicht passiere. Dazu gehöre auch, noch mehr für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu tun.

Denn die schrumpfende Bevölkerungszahl und der Arbeitskräftemangel seien ja durch Corona nicht verschwunden. „Es wäre verrückt, das Verhältnis der Geschlechter zurückzudrehen“, warnte Scheele.

Insofern könnte im Trend zum zumindest zeitweisen Homeoffice, der nach Einschätzung vieler Experten auch nach Corona Bestand haben wird, eine Chance stecken, Sorge- und Erwerbsarbeit besser zwischen Männern und Frauen aufzuteilen.

Das, betont Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bei jeder Gelegenheit, funktioniere aber nur, wenn auch die Kinderbetreuungsmöglichkeiten ausgebaut würden. „Aus dem Heimbüro zu arbeiten und kleine Kinder zu betreuen oder zu unterrichten, das ist nicht miteinander vereinbar“, hatte Heil jüngst im Handelsblatt-Interview gesagt. Das wisse er aus eigener leidvoller Erfahrung.

Mehr: Studie offenbart: Jugendliche fühlen sich durch Corona stark belastet

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