Facebook SPD fordert Pflicht zur Transparenz bei Internet-Algorithmen

Soziale Netzwerke wie Facebook sollen zu mehr Transparenz bei der Funktionsweise ihrer Algorithmen verpflichtet werden.
Berlin Soziale Netzwerke lassen sich ungern in die Karten schauen – vor allem, wenn es um die Art und Weise geht, wie die Daten analysiert werden, um Profile der Nutzer zu erstellen. Algorithmen sind bisher die Geschäftsgeheimnisse der Onlineplattformen. Ihre genaue Funktionsweise bleibt für Außenstehende undurchsichtig.
Ein Forschungsprojekt der Berliner Organisation Algorithmwatch wollte sich selbst ein Bild machen und nahm den Empfehlungsalgorithmus von Instagram unter die Lupe. Doch nach einem Streit mit der Konzernmutter Facebook wurde das Projekt eingestellt. Erste Analysen der Forscher hatten gezeigt, dass Nutzer ermutigt würden, Bilder mit viel nackter Haut zu posten, und Politiker eine größere Reichweite bekämen, wenn sie auf Text verzichteten. Facebook bestritt beide Ergebnisse.
Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Frage, inwieweit die großen Digitalkonzerne per Gesetz gezwungen werden sollten, einen Einblick in die Funktionsweise ihrer Algorithmen zu gewähren. Die Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, hält europäische Regelungen zu mehr Transparenz bei Algorithmen im Internet für unabdingbar.
„Die sozialen Netzwerke bilden wichtige Teilöffentlichkeiten für Information und Meinungsbildung“, sagte Esken dem Handelsblatt. Sie hätten daher eine „große Verantwortung“ für Meinungsfreiheit, Pluralität und Ausgewogenheit. „Eine demokratische Gesellschaft braucht deshalb unter anderem Transparenz zur Funktionsweise der Algorithmen, wie sie derzeit auch auf europäischer Ebene für den Digital Services Act verhandelt wird“, betonte die SPD-Chefin.
Mit dem Ende 2020 von der EU-Kommission vorgeschlagenen Gesetz für digitale Dienste (Digital Services Act; DSA) sollen die großen Onlineplattformen stärker reguliert werden. Die Pläne sehen vor, den Schutz der Verbraucher und ihrer Grundrechte im Onlinebereich zu verbessern. Dazu soll es einen einheitlichen Rechtsrahmen für die Haftung von Onlineplattformen für rechtswidrige Inhalte sowie mehr Transparenz für eingesetzte Algorithmen geben.
„Blaupause“ für die Brüsseler Regulierungspläne
Nach Vorstellung der Kommission sollen die sozialen Netzwerke etwa relevante Parameter der Entscheidungsalgorithmen, die zum Anbieten von Inhalten auf der Plattform verwendet werden, offenlegen müssen. Außerdem sollen Wissenschaftler die Möglichkeit erhalten, mithilfe bestimmter von den Unternehmen bereitgestellter Daten „systemische Risiken“ von Plattformen zu erforschen.
Der CDU-Digitalpolitiker Tankred Schipanski unterstützt die EU-Pläne für mehr Transparenz bei Algorithmen. „Eine Offenlegungs-Pflicht führt aber nicht zu mehr Transparenz“, sagte Schipanski dem Handelsblatt. „Besser ist es, wenn wesentliche Komponenten für den Algorithmus klar benannt werden und Forscher einen besseren Zugang erhalten.“
Die schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Marit Hansen hält es auch für „sehr wichtig“, dass die Wirkung von Algorithmen bekannt sei und ihre Ergebnisse nachvollzogen werden können. „Besonders relevant ist dies bei den Internetgiganten, denn fast jeder ist von deren Datenverarbeitung betroffen“, sagte Hansen dem Handelsblatt.
Das bedeute aber nicht zwangsläufig eine Offenlegung des Codes. Auch ein schrittweises Nachvollziehen der Funktionsweise von neuronalen Netzen, etwa bei einer Bilderkennung, wäre für Menschen zu aufwendig und wenig verständlich. „Aber dennoch muss über die Wirkung, die Risiken und die getroffenen Gegenmaßnahmen des algorithmischen Systems geeignet informiert werden.“
Deutschland hat jüngst schon eigene Regeln beschlossen. Danach haben Forscher einen Anspruch auf Zugang zu Daten über die Wirkung von Algorithmen, die die tägliche Nachrichtenzufuhr bei Facebook, Instagram oder Tiktok sortieren. Der CDU-Digitalexperte Schipanski sprach seinerzeit von einer „Blaupause“ für die Brüsseler Regulierungspläne.
„Ich halte diese Forschungsklauseln für den richtigen Weg, um öffentliches Interesse und die berechtigten Interessen von Unternehmen an ihren Algorithmen in einen Einklang zu bringen und begrüße, dass diese Forschungsklauseln auch für den Digital Services Act erwogen werden“, sagte Schipanski.
Bundestagsjuristen liefern Argumente für Algorithmen-Kontrolle
Der IT-Verband Bitkom kritisierte hingegen, dass die Bundesregierung nicht die geplante EU-Gesetzgebung abgewartet habe. Durch ihr Vorpreschen trage die Regierung zur weiteren „Fragmentierung der Regeln im europäischen Binnenmarkt bei“, sagte Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.
Schärfere Regeln für die großen Onlineplattformen werden in der EU schon länger diskutiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits im Oktober 2016 auf den Münchener Medientagen gefordert, dass Algorithmen, die Internetdienste für das Filtern von Informationen nutzen, transparent bleiben müssten.
Die Mediennutzung werde immer stärker durch Algorithmen, Bots und intelligente Empfehlungssysteme beeinflusst. Algorithmen führten dazu, dass etwa Leser verstärkt im Netz nur noch die Themen angeboten bekämen, die ihrem Suchverhalten entsprächen. Das könne ihre Fähigkeit verringern, sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen.
Der frühere Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) brachte vor vier Jahren ein digitales Antidiskriminierungsgesetz für Algorithmen ins Spiel. Und auch seine Nachfolgerin, die heutige Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley (SPD), machte sich dafür stark, „klare Anforderungen“ an die Betreiber sozialer Netzwerke auf europäischer Ebene gesetzlich festzuschreiben. Facebook müsse gegenüber Behörden in der EU auch die Funktionsweise seiner Algorithmen offenlegen.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags gab der Politik in einem im September 2017 veröffentlichten Gutachten Argumente für eine schärfere Kontrolle der von den Internetunternehmen verwendeten Algorithmen an die Hand. Eine Regulierung lasse sich „mit der herausragenden Relevanz derartiger Plattformen begründen“, heißt es in der Expertise.
Suchmaschinen stellten für den Internetnutzer die zentralen Zugangsvermittler von Webinhalten dar, während der Newsfeed sozialer Netzwerke für viele Nutzer eine der wichtigsten Quellen zur kulturellen und politischen Meinungsbildung sei. „Das Beeinflussungs- und Missbrauchspotenzial ist bei den dort verwendeten Algorithmen dementsprechend am größten, woraus sich auch das große Transparenzinteresse der Internetnutzer in diesem Bereich ergibt.“
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