Finanzpolitik Drei Ideen, wie die Ampel Milliarden ausgeben und die Schuldenbremse dennoch in Kraft lassen könnte

Prüfstein Staatsschulden: Der SPD-Kanzlerkandidat muss in den Ampel-Sondierungen Brücken zu den beiden anderen Parteien bauen.
Berlin Am Dienstagnachmittag stieg Olaf Scholz (SPD) in den Flieger nach Washington. Zwischen den Sondierungen nimmt sich der SPD-Kanzlerkandidat zwei Tage Zeit, um zur Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu reisen. Die Agenda ist so proppenvoll, dass Scholz kurzfristig doch entschied, in die USA zu reisen. Es geht um Schuldenerleichterungen für arme Staaten, die aufziehende Inflation oder die Einführung der globalen Mindeststeuer.
Doch in Scholz’ Hinterkopf dürften auch in Washington die Sondierungen herumschwirren. Vor allem um eine Frage dürften seine Gedanken beständig kreisen: Wie kommt die Ampelkoalition, die Scholz als Bundeskanzler anführen möchte, bloß an frisches Geld, um all die Wahlversprechen zu finanzieren?
Ging es in den Sondierungen 2017 noch um die Frage, wie viel eine neue Regierung zu verteilen hat – 30 oder 45 Milliarden Euro –, stehen die Ampel-Verhandler vier Jahre später vor einer gänzlich anderen Haushaltslage. Nach der Coronakrise finden sie leere Kassen und Rekordschulden vor. Dem selbst ernannten „Fortschrittsbündnis“ fehlt das nötige Kleingeld, um auch nur einen Hauch von Fortschritt zu finanzieren.
Steuern und Abgaben zu erhöhen sind keine Option, dagegen sperrt sich die FDP. Bleibt als einziger Ausweg: höhere Schulden. Längst laufen deshalb in der Öffentlichkeit, aber auch hinter verschlossenen Türen lebhafte Diskussionen, wie die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse am elegantesten umschifft werden kann.
Scholz hat sich auf diesen Moment vorbereitet. Über viele Jahre hat der SPD-Politiker selbst Konzepte entwickelt, wie sich trotz Schuldenbremse mehr Mittel mobilisieren lassen, eine Art Scholz’scher Schuldenplan.
Die Ideen reichen von der Gründung einer Bundes-Wohnungsbaugesellschaft über eine stärkere Rolle der staatlichen KfW-Bank und anderer öffentlicher Unternehmen bis hin zur Gründung von öffentlichen Investitions- und Transformationsfonds, die Unternehmen mit staatlichem Eigenkapital ausstatten.
Offiziell soll die Schuldenbremse nicht fallen
Offiziell hält Scholz an der Schuldenbremse fest, strich dies zuletzt in Interviews sogar noch stärker heraus. Die notwendigen staatlichen Investitionen ließen sich im Rahmen der Schuldenregel finanzieren, sagte der Bundesfinanzminister trotzig. Eine Reform der Schuldenbremse sei daher weder mehrheitsfähig noch nötig. Scholz weiß: Vielen Bundesbürgern sind solide Finanzen heilig. Und den potenziellen Koalitionspartner FDP, der die Schuldenbremse eisern verteidigt, will Scholz auch ungern vergrätzen.
Doch als Bundesfinanzminister ließ Scholz unter dem öffentlichen Radar von seinen Beamten entsprechende Schuldenkonzepte entwickeln, als Hamburger Bürgermeister hatte er solche Konzepte sogar umgesetzt. In der Summe ergibt sich dadurch eine Vorstellung, wie der SPD-Kanzlerkandidat trotz knapper Kassen Mittel mobilisieren könnte, um einer Ampelkoalition einen sozialdemokratischen Stempel aufzudrücken.
Den einen großen Wumms, etwa einen Schattenhaushalt für Investitionen von 500 Milliarden Euro, wie ihn etliche namhafte Ökonomen fordern, dürfte es in einer Ampelkoalition unter Scholz nicht geben. Stattdessen setzt sich Scholz’ Plan aus vielen kleineren Mosaiksteinen zusammen.
Einer davon stammt aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister. Scholz trieb damals tatkräftig den sozialen Wohnungsbau in der Hansestadt voran. Er ließ die städtische Baugesellschaft Saga Tausende neue kommunale Wohnungen errichten. Später gründete die Saga noch eine Tochtergesellschaft, die Schulen sanierte. Netter Nebeneffekt: Die Ausgaben fielen nicht unter die Schuldenbremse.
Ähnliche städtische Wohnungsbaugesellschafen gibt es zwar auch woanders, etwa in Berlin. Bis heute kann Scholz aber nicht nachvollziehen, warum nicht mehr Bundesländer und Kommunen seinem Weg folgten und das Hamburger Modell zum Vorbild nahmen, um Wohnungsnot zu bekämpfen.
Schon seit einiger Zeit trägt sich Scholz deshalb mit dem Gedanken, den Bund stärker in den Wohnungsbau einzubeziehen und die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima), die die Grundstücke des Bundes verwaltet und bebaut, zu einer Wohnungsbaugesellschaft auszubauen. Passenderweise hat Scholz vor einiger Zeit einen Vertrauten zum Bima-Chef gemacht: Christoph Krupp, viele Jahre Scholz’ Staatskanzleichef in Hamburg.
Ähnliche Planspiele hegt Scholz für die Staatsbank KfW. Sie will der SPD-Kanzlerkandidat „zu einer modernen Innovations- und Investitionsagentur weiterentwickeln, die zusammen mit den Förderbanken der Länder die Mittel in strategisch wichtige Zukunftsbranchen lenkt“, wie es im SPD-Wahlprogramm heißt. Daneben könnte die Staatsbank auch verbilligte Kredite an Unternehmen etwa für Investitionen in grüne Technologien ausreichen.
Bereits bestehende öffentliche Unternehmen stärker zu nutzen ist ein Weg, um die Schuldenbremse zu umschiffen. „In den Bundesländern gibt es eine Reihe von Vorbildern, wie sich über Wohnungsbaugesellschaften Mittel für Wohnungs- oder Schulbau abseits der Schuldenbremse mobilisieren lassen“, sagt Sebastian Dullien, Chef des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie (IMK).
So wäre etwa auch für den Ausbau des 5G-Netzes oder einer Wasserstoff-Infrastruktur „die Gründung solcher Gesellschaften denkbar“, so Dullien. Dabei erteilt der Bund entweder öffentlichen Unternehmen Kreditermächtigungen. Oder der Bund nimmt selbst Kredite auf und erhöht damit das Eigenkapital dieser Unternehmen, was mit Blick auf die Schuldenbremse finanziell neutral wäre.
Mit solchen Ideen ist Dullien nicht allein. Auch Scholz’ eigener Grundsatzabteilungsleiter im Bundesfinanzministerium, Jakob von Weizsäcker (SPD), tüftelt seit Jahren an Konzepten, wie sich die Schuldenbremse umgehen lässt. Scholz hat sich zwar nie zu dessen Planspielen geäußert, seinen Strategen aber gewähren lassen.
Eine Idee von Weizsäckers: die Gründung staatlicher Investitionsgesellschaften, die abseits der Schuldenbremse Schulden aufnehmen dürfen und über die der Staat dann höhere Investitionen stemmt. Der Vorschlag hat im Laufe der Zeit viele Anhänger gefunden, etwa IW-Chef Michael Hüther oder DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Sie fordern sogar einen staatlichen Fonds von 500 Milliarden Euro.
Für viele Ökonomen sind Investitionsgesellschaften der einzige Weg für den Staat, sich aus den Zwängen der Schuldenbremse zu befreien. „Öffentliche Investitionsgesellschaften werden jetzt nach der Wahl kommen. Ohne sie wird es nicht gehen“, sagt der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum. „Es ist unmöglich, die notwendigen staatlichen Investitionen im Rahmen der Schuldenbremse zu finanzieren.“
Eine große Investitionsgesellschaft von 500 Milliarden Euro kann sich Südekum zwar schwer vorstellen. „Aber mit verschiedenen kleineren Gesellschaften sowie dem Ausschöpfen vorhandener Möglichkeiten wie einer Stärkung der KfW oder öffentlicher Unternehmen lässt sich einiges bewegen“, sagt der Ökonom.
Der Corona-Rettungsschirm könnte umfunktioniert werden
Manche Ideen gehen noch einen Schritt weiter. So soll sich Scholz auch schon mit sogenannten Transformationsfonds auseinandergesetzt haben. So könnte der Corona-Rettungsschirm des Bundes, der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), nach Ende der Pandemie in einem Klima-Transformationsfonds aufgehen, so eine Idee.
Der Bund würde mittels dieses Fonds Unternehmen beim ökologischen Wandel mit staatlichen Geldern unterstützen. Denkbar wären wie heute beim WSF verschiedene abgestufte Beteiligungsformen des Staates an Unternehmen, bin hin zu Eigenkapitalspritzen, also einer echten Teil-Verstaatlichung.
Allerdings sind all diese Vorschläge hochumstritten. Ein Transformationsfonds könnte als Einstieg in eine dauerhafte Staatswirtschaft gewertet werden, gegen den eine FDP eigentlich Sturm laufen müsste.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie attraktiv solche Staatsbeteiligungen für Unternehmen überhaupt sind. Die Lufthansa jedenfalls setzt gerade alles daran, den Staat, der in der Coronakrise bei ihr als Eigentümer eingestiegen ist, möglichst schnell wieder loszuwerden.
„Das ist ein Rezept für Albträume“
Und auch Investitionsfonds bergen erhebliche Risiken, findet der Kölner Finanzwissenschaftler Michael Thöne. „Ich halte Investitionsfonds für hochgefährlich, das ist ein Rezept für Albträume.“ Investitionsfonds müssten laut EU-Schuldenregeln eine gewisse Staatsferne haben, damit sie nicht unter die gängigen Schuldenregeln fallen. Solche Fonds drohen daher „zu einer Entmachtung der Parlamente zu führen“, warnt Thöne.
Der Ökonom findet, Investitionsfonds gingen zudem am Kern der Sache vorbei. So seien mehr als 85 Prozent der Bundesinvestitionen gar keine echten Investitionen, sondern Zuschüsse und Subventionen an Länder, Kommunen, Unternehmen und Haushalte. Thöne plädiert deshalb dafür, die Schuldenbremse zu reformieren, anstatt sie austricksen zu wollen.
Auch Befürworter von Investitionsfonds wie Dullien oder Südekum sehen die Gefahren durchaus. „Investitionsgesellschaften sind immer nur die zweitbeste Lösung“, räumt Südekum ein. „Aber die zweitbeste Lösung ist immer noch besser als gar keine Lösung.“ Nichts gegen den Klimawandel zu unternehmen, sich dafür aber für immer an die Schuldenbremse zu klammern, bringe niemandem etwas.
Auf den nächsten Bundesfinanzminister kommen jedenfalls ungemütliche Jahre zu. Die Zeiten, in denen hereinschwemmende Steuereinnahmen und niedrige Zinsen den Haushalt von allein saniert haben, sind vorbei. Die Wunschlisten der Koalitionäre stammen aber noch aus jenen Zeiten, in denen die Finanzlage rosig war. „Der nächste Bundesfinanzminister“, sagt Thöne, „braucht viel Stehvermögen.“
Mehr: IWF revidiert Wachstumsprognose und warnt vor Inflationsspirale
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.
Buchhaltertricks - dafür ist Herr Scholz ja bekannt. Vielleicht sollte man sich ernsthaft den Bundeshaushalt ansehen und dessen Struktur - Sparen war noch nie Sache der Linken. 400 Mrd. Schulden in 1,5 Jahren aufgebaut - vielen Dank hierfür. Aber die SPD war ja in den letzten Jahren nicht an der Regierung beteiligt.....