Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen „Die Rentenkommission ist nur ein Feigenblatt für die Fehler der Vergangenheit“

Keine großen Erwartungen an die Rentenkommission.
Berlin Einmal im Jahr errechnet der Freiburger Finanzwissenschaftler für die Stiftung Marktwirtschaft die verdeckte Staatsverschuldung, die durch die aktuelle Rentenpolitik weiter wächst. Bernd Raffelhüschen lehrt seit 1995 auch im norwegischen Bergen. Daher kennt er das dortige Rentenmodell aus erster Hand.
Herr Raffelhüschen, wie zuversichtlich sind Sie, dass uns die Rentenkommission der Lösung der langfristigen Probleme der Alterssicherung in Deutschland näher bringen wird?
Meine Zuversicht, dass die Kommission oder mindestens die fachlich Versierten klar für die Übertragung des norwegisch/schwedischen Modells auf Deutschland und damit für eine Anbindung des Rentenalters an die Lebenserwartung plädieren werden, ist groß. Ich glaube auch, dass die Kommission sich dafür aussprechen wird, den Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenformel zu belassen. Er sorgt dafür, dass die Renten weniger als die Löhne steigen, wenn die Zahl der Rentner schneller wächst als die der Beitragszahler. Die Zuversicht, dass danach die Politik den Mut aufbringt, diese richtigen, aber unpopulären Weichenstellungen auch zu tätigen, tendiert dagegen gegen null.
Teilen Sie die Kritik, dass die Kommission falsch zusammengesetzt ist, weil kein Mitglied unter 40 ist?
Nein, die eigentliche Qualifikation ist nicht das Alter, sondern die fachliche Kompetenz. Darüber hinaus sollte auch eine gewisse politikferne Positionierung eine Rolle spielen sowie die Frage, ob die Mitglieder in der Lage sind, generationenübergreifend zu agieren. Was die fachliche Kompetenz angeht, sehe ich kein großes Problem, allerdings sind nach meiner Einschätzung zu viele Politiker beziehungsweise dem Politikbetrieb nahestehende Personen und zu wenig Eltern dabei.
Nun hat Minister Heil ja noch Vorschaltgesetze versprochen. Es wird die beiden Haltelinien 48 Prozent Rentenniveau als Untergrenze und 20 Prozent Höchstbeitragssatz bis 2024 geben. Die Mütterrente wird zulasten der Rentenversicherung ausgebaut. Die Erwerbsminderungsrenten werden erhöht. Eine Solidarrente soll es auch noch geben.
Genau hierin liegt das Problem dieser Kommission. Sie muss akzeptieren, dass die Kardinalfehler schon vorab begangen wurden, und darf weder die abschlagsfreie Rente ab 63 noch die beiden gesetzten Haltelinien oder die anderen neuen Koalitionsvereinbarungen infrage stellen. Da aber nur mathematisch Minderbemittelte an beispielsweise eine doppelte Haltelinie mit konstanten Steuerbelastungen und konstantem Renteneintritt glauben können, ist das Dilemma dieser Kommission offenbar: Sie hat vor allem die Funktion, ein Feigenblatt für die beschämenden – weil zulasten zukünftiger Beitragszahler gehenden – rentenpolitischen Fehler der Vergangenheit und Vorabbeschlüsse der neuen Koalition zu sein. Daneben soll sie darüber verhandeln, wie mit ein wenig Kosmetik die fernere Zukunft der Altersversorgung aussehen könnte.
Wie sehr wird das die verdeckte Staatsverschuldung in Deutschland schon vor der langfristigen Reform in die Höhe treiben?
Daran rechnen wir zurzeit – aber eines zeichnet sich schon jetzt ab: Die Rechnung für die zukünftigen Generationen wird wohl noch teurer als die Rechnung, die uns die vorangegangene GroKo bereits mit Rente ab 63 und Mütterrente präsentiert hat.
Wie groß schätzen Sie die Gefahr, dass bei der Kommission am Ende nur ein Konstrukt für eine zusätzliche Steuerfinanzierung der gesetzlichen Rente sowie eine Bestätigung der Heil’schen Haltelinien auch für die lange Frist herauskommt?
Ja, das wird dabei wohl im Gegenzug zur – richtigen – Bindung des gesetzlichen Rentenzugangsalters an die steigende Lebenserwartung als „politischer Kompromiss“ herauskommen. Eines ist klar: Verantwortungsvolle Eltern würden anders handeln.
Und was erwarten Sie für die zweite und dritte Säule, also Betriebsrenten und private Vorsorge?
Ein wenig Garnitur.
Was wäre Ihr Rezept?
Wir sind durch die Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors in der Rentenformel und durch die Rente mit 67 dem Ziel einer nachhaltigen Finanzierung unseres Rentensystems schon sehr nahe gekommen. Ohne die Reformen von Ex-Arbeitsministerin Andrea Nahles wäre die Einführung eines Lebensarbeitszeitfaktors nach skandinavischem Vorbild hinreichend gewesen, um volle fiskalische Tragfähigkeit bei zugleich fast vollständigem Schutz vor Altersarmut zu gewährleisten. Mein Rezept wäre also einfach: Erstens: Korrigiert die Fehler der letzten GroKo. Zweitens: Führt den Lebenserwartungsfaktor so ein, wie ich ihn vor über zehn Jahren vorgeschlagen habe.
Herr Raffelhüschen, vielen Dank für das Gespräch.
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