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Flüchtlinge in AusbildungDas Experiment
Kaum Deutschkenntnisse, unsicherer Aufenthaltsstatus: Flüchtlinge scheinen keine idealen Bewerber zu sein. Eine Hamburger Firma bildet dennoch seit Kurzem einen jungen Eritreer aus. Ausgang ungewiss.
Arbeit ist das, was viele Flüchtlinge sich in Deutschland erhoffen. Doch an eine Stelle oder einen Ausbildungsplatz zu gelangen ist in der Realität für die meisten Flüchtlinge nicht einfach.
Hamburg Annika Trechter und Robiel Brhane könnten unterschiedlicher kaum sein: Sie, 23, in Hamburg geboren und gerade dabei, für ihre letzte Prüfung zur Bürokauffrau zu lernen. Er, 21, vor einem halben Jahr in Deutschland angekommen, geflüchtet aus Eritrea über Äthiopien, Libyen und Italien, so erzählt er es.
Doch die beiden eint etwas: Sie sind Kollegen. Beide machen ihre Ausbildung im selben Betrieb, der Hamburger Reinigungsfirma Bogdol. Seit November 2015 bilden Hamburger Firmen insgesamt 30 junge Flüchtlinge aus. Es ist ein Pilotprojekt des Hamburger Senats und der Handwerkskammer der Hansestadt. Robiel ist einer der Flüchtlings-Azubis.
Als Annika an einem nasskalten Morgen bei ihm an der Tür klopft, macht Robiel gerade Hausaufgaben. In der Berufsschule ist der Deutsch-Crashkurs gerade zu Ende gegangen, nun muss sich Robiel mit dem ersten Fachstoff auseinandersetzen. Annika ist schon oft in dem kleinen Zimmer gewesen, das sich Robiel seit einigen Wochen mit seinem Mitbewohner teilt. Ein Tisch steht darin, zwei Betten, ein Jesuskreuz an der Wand, für mehr ist hier kein Platz.
Annika ist voll bepackt mit Sachen. „Hier!“, sagt und zeigt auf die mitgebrachte Kiste. „Für dich.“ In der Kiste sind Handtücher, Pfannen, Geschirr und Bettwäsche – die Erstausstattung für Robiels Wohnung. „Als ich das letzte Mal hier war, hat er auf einem Handtuch geschlafen“, erzählt Annika. Total daneben sei das, fand sie, und sammelte daraufhin unter Kollegen Haushaltswaren für Robiel.
Robiel Brhane
Der 21-Jährige ist aus Eritrea nach Deutschland geflohen.
(Foto: Bogdol)
Spenden von Kollegen gehören normalerweise nicht zum Standardprogramm einer Ausbildung. Bei Robiel ist das anders. In den kommenden drei Jahren soll er lernen, wie man Krankenhäuser und Fassaden reinigt, mit Chemikalien umgeht, Schulflure und Büros saubermacht – aber eben auch, was es heißt, in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Zwei Tage die Woche besucht Robiel die Berufsschule, drei Tage arbeitet er im Betrieb.
Ronja Leske, seine Ausbilderin, lobt den jungen Mann. „Er kann gut das umsetzen, was man ihm zeigt“, sagt sie. Vieles funktioniere über Zeigen und Zeichensprache, doch inzwischen könne Robiel auch ein paar Wörter und Sätze verstehen. „Nur die Chemikalien zusammenmischen darf er natürlich noch nicht“, sagt Leske.
Während es am Einsatzort rund läuft, braucht Robiel in seinem Alltag noch viel Hilfe, zum Beispiel bei Behördengängen, bei der Wohnungssuche und sogar beim Kauf von Kleidung. Kollegen unterstützen ihn dabei. „Hier herrschte bis vor Kurzem ein Ausnahmezustand“, erzählt Beate Gäde. Sie betreut die Auszubildenden bei Bogdol und hat auch Robiel ausgewählt. Gleich zwei Vertreter des Jugendbetriebsrates kümmern sich um den Flüchtling, so auch Annika.
Wer in Deutschland arbeiten darf
Flüchtlinge mit einer Aufenthaltserlaubnis und subsidiär Geschützte dürfen in Deutschland genauso arbeiten wie Inländer auch.
Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge, die noch auf den Ausgang ihres Verfahrens warten und Langzeit-Geduldete dürfen nach einer Wartezeit grundsätzlich arbeiten. Voraussetzung dafür ist jedoch die Beschäftigungserlaubnis der Ausländerbehörde. Davon ausgenommen sind Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten. Für sie gilt ein Arbeitsverbot.
Bevor Flüchtlinge einen Arbeitsvertrag unterschreiben dürfen, muss noch die Bundesagentur für Arbeit zustimmen. Voraussetzung für die Bewilligung ist, dass kein Deutscher, EU-Bürger oder Flüchtling mit einer Aufenthaltserlaubnis den Job annehmen könnte. Bei bestimmten Berufen, bei denen in Deutschland zu wenige Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, dürfen die Arbeitsagenturen auf diese sogenannte Vorrangprüfung verzichten. So gibt es zum Beispiel zu wenige Ärzte, Ingenieure oder Metallbauer. Erst wenn ein Flüchtling mindestens 15 Monate in Deutschland gelebt hat, prüft die Arbeitsagentur nicht mehr, ob für diese Stelle ein Deutscher oder ein EU-Bürger passt.
Ob und inwieweit ein Flüchtling arbeiten darf, trägt die Ausländerbehörde in sein Aufenthaltsdokument ein. In den Feldern "Anmerkungen" oder "Nebenbestimmungen" steht, ob dem Flüchtling eine Erwerbstätigkeit, eine Beschäftigung oder eine Beschäftigung nur mit Genehmigung der Ausländerbehörde gestattet ist. Manchen Asylbewerbern ist es sogar verboten, zu arbeiten. Jeder Arbeitgeber ist gesetzlich dazu verpflichtet, zu prüfen, ob der Asylsuchende, den er beschäftigen will, auch tatsächlich in Deutschland arbeiten darf.
Dass ihre Firma bei der Ausbildungsinitiative für Flüchtlinge mitmache, sei nicht uneigennützig, sagt Gäde. Denn für deutsche Auszubildende ist der Beruf des Gebäudereinigers nicht attraktiv. Während sich auf ihrem Tisch für den kaufmännischen Zweig der Firma die Bewerbungen stapeln – bis zu 100 kommen inzwischen auf einen einzigen Platz – findet die Firma für ihr Kerngeschäft nur schwer Azubis. „Vielen ist nicht bewusst, dass zu der Ausbildung mehr als nur ‚Putzen‘ dazugehört“, sagt die Personalerin.
Und diejenigen, die sich für die Ausbildung entscheiden, brechen häufig ab. Mehr als jeder zweite Gebäudereiniger löst seinen Vertrag, schreibt das Bundesministerium für Bildung in seinem Berufsbildungsbericht für das Jahr 2015.
Das ist die höchste Abbrecherquote unter allen Handwerksberufen, noch höher als bei den Hotelfachleuten und Köchen. Flüchtlinge – so die Hoffnung von Firmen wie Bogdol – könnten künftig die Fachkräfte ersetzten, die jetzt fehlen. Auch politisch ist das gewollt. In den kommenden zwei Jahren wollen Bund und Handwerk 10.000 junge Flüchtlinge in eine betriebliche Ausbildung bringen. Ein ehrgeiziges Ziel. Ist die Lösung des Fachkräftemangels wirklich so einfach?