Folgen der Coronakrise Student wehrt sich juristisch gegen Videoaufzeichnung von Onlineprüfungen

Wegen der Corona-Pandemie muss auf Präsenzveranstaltungen an Hochschulen in der Regel verzichtet werden.
Berlin Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) geht juristisch gegen die Fernuniversität Hagen wegen der Videoaufzeichnung von Studierenden während Onlineprüfungen vor. Gemeinsam mit einem Studenten der Fernuniversität hat die GFF an diesem Freitag einen Eilantrag beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen eingereicht. Das OVG bestätigte den Eingang des Eilantrags, der dem Handelsblatt vorliegt. Ziel ist es, dass die für den 8. März 2021 geplante Prüfung nicht aufgezeichnet, sondern allenfalls mittels Videoübertragung beobachtet wird.
Hintergrund ist eine spezielle Corona-Ordnung der Fernuniversität. Darin ist vorgesehen, dass bestimmte Klausuren videoüberwacht werden. Die Studierenden sollen nicht nur Kamera und Mikrofon aktivieren und ihren Bildschirm teilen, sondern die Aufnahmen werden auch aufgezeichnet und gespeichert. Die Regelung sieht jedoch keine klare Frist für die Löschung der Daten vor. Die Aufzeichnung mittels sogenannter Proctoring-Software verstößt daher nach Auffassung der GFF gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
„Die Aufzeichnung und Speicherung der Videoaufnahmen geht über das hinaus, was erforderlich ist, um Täuschungsversuche zu verhindern. Die bloße Videoübertragung würde ausreichen“, sagte David Werdermann, Jurist und Verfahrenskoordinator der GFF, dem Handelsblatt. Noch besser seien alternative Prüfungskonzepte wie Open-Book-Klausuren, die oft auch didaktisch wertvoller seien und ganz ohne Überwachung auskämen.
Der Generalsekretär der GFF, Malte Spitz, erhofft sich von der Entscheidung des Gerichts, die für kommende Woche erwartet wird, eine „Signalwirkung“ auch für andere Hochschulen. „Digitale Prüfungen sind gerade in Zeiten der Pandemie eine wichtige Ergänzung, dürfen jedoch nicht dazu führen, dass der Datenschutz oder andere Grundrechte über Bord geworfen werden“, sagte Spitz dem Handelsblatt. „Wir werden daher auch in weiteren Verfahren gegen unverhältnismäßige Maßnahmen gegenüber Studierenden vorgehen.“
Der Kölner Medienrechtsprofessor Rolf Schwartmann sieht videoüberwachte Klausuren ebenfalls kritisch. Die Hochschulen hätten zwar vergleichsweise große Freiheiten, ihre Prüfungen zu gestalten. „In der Pandemie ist deshalb auch viel Flexibilität für neue Prüfungsformen im Digitalen da“, sagte Schwartmann, der auch Sachverständiger des Deutschen Hochschulverbands für IT- und Datenrecht ist, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
„Videomitschnitte sind datenschutzrechtlich völliges Harakiri“
Gleichzeitig gebe es aber bindende Vorgaben der DSGVO hinsichtlich der Verarbeitung von personenbezogenen Daten. Hochschulen dürften diese verarbeiten, wenn das der Erfüllung ihrer Aufgaben bei Lehre und Prüfung diene. Das heiße aber beispielsweise nicht, dass Onlineprüfungen in jedem Fall videoüberwacht werden dürfen. „Videomitschnitte sind datenschutzrechtlich völliges Harakiri“, sagte Schwartmann.
In Hessen und Bayern seien sie laut Verordnung bei Personalmangel erlaubt. „Dieses Argument kann im Zweifel allerdings immer angeführt werden, an den Hochschulen herrscht an allen Ecken und Enden Personalmangel.“ In der Präsenzwelt zähle es aber auch nicht.
In bestimmten Situationen hingegen, etwa einer mündlichen Prüfung, einem Vorturnen oder einem Versuchsaufbau, sei ein Livebild erforderlich, um die Prüfung durchführen zu können, sagte Schwartmann weiter.
Komplizierter sei es bei schriftlichen Klausuren. In Bayern und Hessen gebe es zwar Verordnungen, in Baden-Württemberg sogar ein Gesetz, die eine Fernaufsicht von Klausuren erlaubten. „Die Teilnahme an so einer Fernklausur soll für die Studierenden aber freiwillig sein, das heißt, sie müssen die Option haben, die Prüfung auch in Präsenz abzulegen.“
Im strengen Lockdown gebe es diese Möglichkeit aktuell jedoch nicht. „Videoüberwachte Klausuren scheitern also an der Durchführbarkeit der Alternative und sind deshalb in meinen Augen derzeit in der Regel nicht zulässig“, sagte Schwartmann. Zudem könnten die Hochschulen nicht damit argumentieren, dass sich mit der Videoüberwachung Täuschungsversuche verhindern lassen. „Denken Sie an das Handy unter dem Tisch. Damit kann man auch bei laufender Kamera unerlaubt zusammenarbeiten.“ Die Fernaufsicht sei also ungeeignet, Täuschungen zu unterbinden.
Auch Schwartmann nannte als Alternative Open-Book-Prüfungen. „Sie kommen anders als Fernklausuren ohne Aufsicht aus und sind prüfungsrechtlich Hausarbeiten“, erläuterte er. Sie ersetzten also Klausuren und seien auch ähnlich wie diese ausgestaltet. „Bis auf Zusammenarbeit sind viele Hilfsmittel zugelassen, etwa Suchmaschinen oder Bücher, die der Prüfer genau benennen sollte.“
Studierende müssten im Gegenzug versichern, dass sie die Arbeit selbst angefertigt haben. Man stelle die Aufgaben so, dass „Pfuschen“ schwierig sei, fügte Schwartmann hinzu. „Man wählt etwa Aufgabenstellungen, die zur Schnellrecherche im Netz ungeeignet sind, wählt kurze Bearbeitungszeiten und lässt die Prüfungen handschriftlich schreiben, damit Studierende nicht so leicht Passagen aus anderen Texten kopieren können.“
Täuschungen sollten aus Sicht des Juristen sanktioniert werden. Hier böten die Prüfungsordnungen angemessene und scharfe Maßnahmen bis hin zum Verlust des Prüfungsanspruchs oder der Exmatrikulation.
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