Das Institut hatte mit Herbert Giersch (1969 bis 1989) und Horst Siebert (1989 bis 2003) ausgesprochen einflussreiche Präsidenten, die beide im Wirtschaftssachverständigenrat der Bundesregierung waren. Dann kam das Desaster von 2003, als den Kielern alle drei Kandidaten für Sieberts Nachfolge absprangen. Nun ist man in Kiel vorsichtig, sich zum neuen Chef zu äußern, bis dieser den Ruf tatsächlich verbindlich angenommen hat. Er müsse vorher nur noch ein paar Dinge ordnen, sagt Felbermayr selbst.
Damals, 2003, wurde man in der Nachspielzeit bei dem Amerikaner Dennis Snower fündig. Unter ihm veröffentlichten die Kieler Forscher zwar viel in wissenschaftlichen Zeitschriften, in Sachen Medienpräsenz fiel das Institut jedoch zurück. Heute sind das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und das Ifo-Institut in München die Platzhirsche.
Markenkern von Giersch wie von Siebert war ein stramm angebotsorientierter, unternehmensnaher Kurs. Snower dagegen zeichnete sich seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 dadurch aus, dass er vermeintliche Fehler und Irrwege seiner Zunft hinterfragte und offen für Neues war, zum Beispiel die Verhaltensökonomie.
Felbermayr scheint ebenso angebotsorientiert zu sein wie Snowers Vorgänger. Dem Drängen auf mehr Umverteilung setzte er Berechnungen entgegen, wonach die Ungleichheit rückläufig sei, die Einführung des Mindestlohns in Deutschland lehnte er ab. Freihandelsabkommen sind sein Mittel der Wahl, um mit Problemen fertig zu werden, sei es Brexit oder Trump.
„Die Zeit der Dogmen ist vorbei“
Und dennoch will er eher an Snower anknüpfen als an dessen Vorgänger: „Die Jahre unter Snower waren gute Jahre für das Institut“, sagt Felbermayr. Er habe das IfW für wichtige gesellschaftspolitische Fragen geöffnet.
Zu Giersch und Siebert dagegen fällt ihm vor allem eines ein: „Die Zeit der Dogmen ist vorbei.“ Die Wirtschaftswissenschaft habe sich weiterentwickelt. Heute müsse man Diagnosen und Empfehlungen aus Daten ableiten, nicht aus Grundüberzeugungen.
Dem souverän auftretenden Wissenschaftler merkt man an, dass er an die Kraft der Daten glaubt. Sonst könnte er kaum mit solchem Elan vortragen, dass seine Studie im Auftrag der IHK Frankfurt ergeben hat, dass der Brexit die hessische Wirtschaft in zehn Jahren 0,17 Prozent an Wirtschaftskraft kosten wird, also 0,02 Prozent pro Jahr. Abgeleitet hat er das in einem Modell, in dem immer Vollbeschäftigung herrscht. Für genaue Angaben lässt er in Sachen Realitätsnähe auch mal fünf gerade sein.
Mit Felbermayr bekommt das IfW einen Präsidenten, der das Mediengeschäft beherrscht. Der Außenhandelsexperte mit dem österreichischen Akzent taucht ähnlich oft in den Medien auf wie Ifo-Chef Clemens Fuest.
Als Institutschef will er in das mediale Duopol aus München und Berlin einbrechen, wenigstens beim Thema Außenwirtschaft. Denn dieses soll wieder klar zum Schwerpunkt der künftigen Arbeit des Kieler Instituts werden. Hier möchte er zurück zu der Zeit vor Snower: „Ich will erreichen, dass man zuerst an Kiel denkt, wenn es um internationale Wirtschaft geht.“
Ein überzeugter Europäer
Die Einigung Europas ist Felbermayr ein Anliegen, auch weil sie den Freihandel innerhalb der EU unterfüttert. Den Aufruf der 154 deutschen Ökonomen gegen die europapolitischen Vorschläge des französischen Präsidenten Macron hat er nicht unterzeichnet. „Man kann nicht immer nur Nein sagen“, begründet er das: „Man muss Macron auch positive Angebote machen.“
Felbermayr hat einen ausgesprochen europäischen Lebenslauf. Er promovierte in Florenz, arbeitet in Deutschland und ist mit einer Französin verheiratet.
Seine Medienpräsenz verdankt er auch Donald Trump. Zu dessen protektionistischen Bestrebungen ist Felbermayr ein gefragter Kommentator. Dabei gelingt es ihm oft, auch Unerwartetes zu sagen und zum Nachdenken anzuregen. Denn er schafft es, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen und legitime Anliegen zu identifizieren.
So wies er darauf hin, dass Trump mit gewissem Recht Handelsschranken der EU kritisiert, und hielt den Befürwortern des Austritts Großbritanniens aus der EU zugute, dass das Land tatsächlich weniger von der Handelsfreiheit innerhalb Europas profitiert als andere.
Das erste große Thema, das Felbermayr bekannt machte, war das US-EU-Handelsabkommen TTIP. Dafür setzte er sich mit Verve und mehreren Auftragsstudien ein, in denen er Wachstums- und Arbeitsplatzgewinne voraussagte. Das lieferte eine Weile Argumente für die Befürworter. Allerdings verwendete EU-Kommissar Karel de Gucht die Daten falsch und stellte die Wirkung des Abkommens stark übertrieben dar – was wiederum den TTIP-Gegnern nutzte.
Er selbst habe das nie so optimistisch dargestellt, verteidigte sich Felbermayr damals. Die Politik habe das Kleingedruckte einfach ignoriert. Mit etwas Abstand wurde er selbstkritischer. „Wir haben immer wieder zu viel versprochen und sind damit mitverantwortlich für den Vertrauensverlust in die Eliten“, schalt er sich und seine Zunft.
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