Frauen in Führungspositionen Warum auch Gewerkschaften und Betriebsräte durch eine Frauenquote unter Druck geraten

Auch die Gewerkschaften müssen ihren Teil zum Erreichen der Frauenquote beitragen, sagt die IG-Metall-Vizevorsitzende.
Mit einer Ampelkoalition könnte es schon bald neue Vorschriften für mehr Frauen in Führungspositionen geben. SPD und Grüne haben vor der Wahl versprochen, die Frauenquote für Aufsichtsräte und Vorstände bei börsennotierten oder mitbestimmten Unternehmen auszuweiten.
Die FDP plädiert zwar nicht für fixe Quoten, sondern für Selbstverpflichtungen. Doch auch die Liberalen wollen mit „dafür Sorge tragen, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen“, wie es im gemeinsamen Sondierungspapier der drei Parteien heißt.
Nicht nur für die Unternehmenslenker würde das den Druck erhöhen. Neue Vorschriften für den Aufsichtsrat dürften auch Gewerkschaften und Betriebsräten zu schaffen machen.
So legen Daten aus dem „Women on Board Index“ der Initiative Frauen in die Aufsichtsräte (Fidar) nahe, dass in den vergangenen Jahren weitaus mehr Frauen auf der Anteilseignerseite als auf der Arbeitnehmerseite der Aufsichtsräte hinzugekommen sind.
Demnach betrug 2011 im ersten Ranking der größten börsennotierten Unternehmen der Frauenanteil im Gesamtaufsichtsrat nur 3,1 Prozent auf Anteilseignerseite und 6,9 Prozent auf Arbeitnehmerseite.
Frauenanteil in Führungspositionen: „Ziemlich erschreckend“
Heute liege indes die Arbeitnehmerseite mit einem durchschnittlichen Frauenanteil im Gesamtaufsichtsrat von 14,9 Prozent weit hinter der Anteilseignerseite mit 18,8 Prozent. Fidar-Präsidentin Monika Schulz-Strelow hält die Entwicklung für „ziemlich erschreckend“.
Und es handelt sich um kein privatwirtschaftliches Problem. So stuft der „Public Women on Board Index“ von Fidar die Situation auf der Arbeitnehmerbank bei den gemischt öffentlichen Beteiligungen aktuell als „äußerst kritisch“ ein. Der Frauenanteil auf der Arbeitnehmerseite ging hier von 2015 bis zu diesem Jahr um fast 15 Prozentpunkte auf 21,9 Prozent zurück.
Seit Anfang 2016 müssen börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen im Kontrollgremium eine gesetzliche Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent für das unterrepräsentierte Geschlecht – in der Regel Frauen – erfüllen.
Konkret bedeutet das: Frei werdende Aufsichtsratsposten sind mit Frauen neu zu besetzen, bis mindestens ein Frauenanteil von 30 Prozent erreicht ist. Dabei sorgt die Mitbestimmung dafür, dass der Aufsichtsrat hälftig aus Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern besetzt ist.
Laut Fidar muss zwar bedacht werden, dass die Werte nur bedingt vergleichbar sind, da von den untersuchten Unternehmen einige gar keine Arbeitnehmerbank haben – bei der Berechnung zum Gesamtaufsichtsrat fallen daher die Durchschnittswerte niedriger aus. Dennoch halte die Entwicklung auf Arbeitnehmerseite nicht mit der auf der Anteilseignerseite Schritt.
Aktuelle Daten des Bundesjustizministeriums zeichnen ein anderes Bild: In den Arbeitnehmerbänken ist demnach der Anteil von Frauen im Aufsichtsrat mit 26,4 Prozent deutlich höher als in den Anteilseignerbänken mit 19,4 Prozent.
Hierbei sei allerdings zu berücksichtigen, dass die Unternehmen teilweise keine Zuordnung der Aufsichtsräte zu einem Geschlecht und zu einer Bankzugehörigkeit vorgenommen hätten.
Es gibt kaum Frauen, die schon lange im Aufsichtsrat sitzen
Noch immer gibt es nur wenige Vorzeigefrauen wie etwa Manuela Rousseau. Sie sitzt seit 1999 für die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat der Beiersdorf AG. Seit 2019 ist sie stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende. Rousseau selbst spricht von einem „Werdegang voller Brüche“ und von Selbstzweifeln. Erfolgreich ist sie trotzdem – auch weil sie sich im Betriebsrat als Kandidatin für den Aufsichtsrat durchsetzen konnte.
Doch was geschieht im Ernstfall? Im Gesetz zur Frauenquote für Aufsichtsräte findet sich ein einziger Sanktionsmechanismus: der leere Stuhl. Wird bei einer Neubesetzung die Quote nicht erfüllt und für einen frei werdenden Posten keine Frau gefunden, muss der Stuhl unbesetzt bleiben.
Bislang geschah das nur ein einziges Mal, nämlich 2018 beim Bad- und Keramikhersteller Villeroy und Boch. Und hier hatte die Arbeitnehmerseite das Ziel von mindestens zwei Frauen in dem Kontrollgremium verfehlt. „Außer einer Frau bekamen nur Männer die entsprechenden Stimmzahlen“, erklärte das Unternehmen seinerzeit dem Handelsblatt.
Rund drei Monate blieb der Stuhl leer. Dann erfolgte eine Ersatzbestellung durch ein Gericht: Sabine Süpke wurde als Vertreterin der Gewerkschaft bestellt. Die Funktionärin der IG BCE gehörte zuvor bereits für zehn Jahre dem Schering-Aufsichtsrat an – und sitzt nun noch immer bei Villeroy und Boch im Aufsichtsrat.
Aktienrechtsexpertin Katharina Stüber von der Wirtschaftskanzlei Allen & Overy erklärt: „Das Gesetz sieht für die fixe Geschlechterquote als Regelfall den sogenannten Grundsatz der Gesamterfüllung vor.“ Somit seien die gesetzlichen Vorgaben grundsätzlich vom Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit zu erfüllen, also unabhängig von der Zuordnung zur Anteilseigner- oder Arbeitnehmerseite.
Zusammen oder getrennt?
„Sind dann etwa auf der Anteilseignerseite mehr Frauen vorhanden, kann die Arbeitnehmerseite weniger Frauen stellen, solange nur insgesamt 30 Prozent erreicht werden“, sagt Stüber.
Allerdings räumt das Gesetz sowohl der Anteilseigner-, als auch der Arbeitnehmerseite die Möglichkeit ein, dieser Gesamterfüllung vor einer jeden Wahl gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden zu widersprechen.
Ein von einer „Bank“ erklärter Widerspruch führt laut Rechtsexpertin Stüber dazu, dass die fixe Geschlechterquote von jeder Bank gesondert, sprich jeweils von der Anteilseigner- und Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat, zu erfüllen ist. Das wird „Getrennterfüllung“ genannt. Nach einem Widerspruch muss daher jede Bank die 30-prozentige Geschlechterquote für sich betrachtet erfüllen. Angaben hierzu finden sich teilweise in den Lageberichten der einzelnen Gesellschaften.
Die Wirtschaftskanzlei Allen & Overy hat unlängst im Rahmen einer Studie zur „Gender Diversity“ in Dax- und MDax-Gesellschaften festgestellt, dass beispielsweise bei der Adidas AG eine getrennte Erfüllung der fixen Geschlechterquote im Aufsichtsrat erfolgen soll und dass sowohl die Anteilseigner- als auch die Arbeitnehmerseite von der gesetzlichen Möglichkeit des Widerspruchs gegen die Gesamterfüllung Gebrauch gemacht haben.
Von den MDax-Gesellschaften haben laut dieser Studie zehn Gesellschaften mitgeteilt, dass Widerspruch gegen die Gesamterfüllung eingelegt worden ist. „Allerdings finden sich nur in wenigen Fällen Erläuterungen zum Hintergrund der Getrennterfüllung“, erläutert Rechtsanwältin Stüber. Es könnte bedeuten, dass das Thema „mehr Frauen in Führungspositionen“ hier zumindest nicht einvernehmlich angegangen wird.
Wahl von Arbeitnehmervertreterinnen ist kompliziert
Die Politik hofft auf Parität – auch aufseiten der Gewerkschaften und Betriebsräte. So teilte das für die Frauenquote zuständige Bundesjustizministerium von Christine Lambrecht (SPD) auf Anfrage mit: „Natürlich ist es unser Ziel, dass sich der Frauenanteil im Aufsichtsrat sowohl auf der Anteilseigner- als auch auf der Arbeitnehmerseite zu einer annähernd gleichberechtigten Teilhabe entwickelt.“
Das Ministerium verweist aber darauf, dass die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat in freien Wahlen der Beschäftigten bestimmt werden. Tatsächlich ist das Prozedere kompliziert, da es mehrere getrennte Wahlgänge für Gewerkschaftsvertreter, betrieblich Beschäftigte und Leitende Angestellte gibt.
Die Gewerkschaften hätten gegenüber dem Ministerium jedoch eine Ausweitung der gesetzlichen Mindestquote im Aufsichtsrat auf weitere Unternehmen gefordert. „Wir sind daher der festen Überzeugung, dass auch den Gewerkschaften die Steigerung des Frauenanteils im Aufsichtsrat ein großes Anliegen ist“, heißt es weiter.
Dem ist in der Tat so: Bereits 2011 habe sich die IG Metall zum Ziel gesetzt, 30 Prozent der Aufsichtsratsmandate mit Frauen zu besetzen, erklärt die Zweite Vorsitzende der größten deutschen Gewerkschaft, Christiane Benner. „Auf der Arbeitnehmerseite ist der Frauenanteil in Aufsichtsräten seitdem stetig gestiegen.“
Insgesamt liege er inzwischen bei der IG Metall bei 29,22 Prozent: Bei den internen Aufsichtsratsmitgliedern – also denen, die dem Unternehmen angehören – betrage er 25,1 Prozent, bei den externen – die von der Gewerkschaft vorgeschlagen werden – sogar 35,6 Prozent.
„Gewerkschaften zeigen keine klare Kante“
Fidar-Präsidentin Schulz-Strelow, die selbst Aufsichtsrätin ist, sieht dennoch Nachholbedarf: „Die Politik kommt mit Vorgaben an die Arbeitnehmerseite nicht heran, weil die Vertreter in demokratischer Wahl bestimmt werden.“ Eine Frau müsse also auf der Liste des Betriebsrats stehen oder von der Gewerkschaft getragen werden.
„Aber die Gewerkschaften selbst zeigen keine klare Kante“, kritisiert Schulz-Strelow. „Sie legen bis auf wenige Ausnahmen wie etwa die IG Metall kein klares Bekenntnis ab, dass die Vertreter für Kontrollgremien paritätisch besetzt werden.“ Es gehe um Macht und Einfluss, im Falle von Dax-Unternehmen um hochdotierte Positionen. „Auch die Betriebsräte lassen ein klares Bekenntnis zu mehr Frauen in Führungspositionen vermissen“, beklagt die Fidar-Präsidentin.
IG-Metall-Vizechefin Benner erhofft sich Fortschritte von der künftigen Regierung: „Das Sondierungspapier der Ampel bietet gute Aufsatzpunkte für mehr Gleichstellung.“ Wer jedoch wolle, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen, müsse die Vorgaben für verbindliche Quoten auf mehr Unternehmen ausweiten und Frauenförderung auf allen Ebenen der Unternehmen verankern.
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