Fünf Jahre Dieselaffäre Verbraucherschützer Müller verlangt Neuausrichtung des Kraftfahrt-Bundesamts

Eingang zum Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg (Schleswig-Holstein).
Berlin Deutschlands oberster Verbrauchschützer Klaus Müller hat fünf Jahre nach Aufdeckung des Diesel-Abgasskandals eine gemischte Bilanz gezogen. „Mit seinem Betrug hat Volkswagen nicht nur Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher geschädigt, sondern auch das Vertrauen in die deutsche Autoindustrie und die Marke Made in Germany massiv erschüttert“, sagte der Chef des Verbraucherzentrale-Bundesverbands (VZBV) im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Im September 2015 hatte Volkswagen nach Prüfungen von Behörden und Recherchen von Forschern in den USA Manipulationen an den Abgaswerten von Dieselautos zugegeben. Die Software bestimmter Motoren war so eingestellt, dass im Betrieb auf der Straße deutlich mehr giftige Stickoxide (NOx) ausgestoßen wurden als in Tests.
„Im Gedächtnis bleibt nicht nur der größte Wirtschaftsbetrug der deutschen Nachkriegsgeschichte – sondern auch die hartnäckige Weigerung des Konzerns, die Betroffenen in Europa angemessen zu entschädigen“, sagte Müller weiter. Während Volkswagen den US-Kunden seinerzeit schnell ein großzügiges Angebot gemacht hatte, um noch höheren Milliardenstrafen und einer Flut von Klagen zu entgehen, zögerten die Verantwortlichen hierzulande lange, Verantwortung zu übernehmen. VW habe damit „viel Vertrauen zerstört“, das die gesamte Autoindustrie dringend wieder aufbauen müsse, betonte der VZBV-Chef.
Unter dem Druck der US-Justiz war die zivilrechtliche Aufarbeitung des VW-Dieselskandal auf dem US-Markt bereits gut ein Jahr nach der Aufdeckung der Manipulationen im Wesentlichen abgeschlossen. Die betrogenen Kunden konnten wählen, ob sie ihr Auto nachrüsten oder zurückgeben wollten, und erhielten zudem einen hohen Schadensersatz.
Bei deutschen Kunden argumentierte VW, dass kein Schaden entstanden sei, weil es sich bei der beanstandeten Software nach europäischem Recht nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Im Mai 2020 entschied dann der Bundesgerichtshof, dass Käufer auch in Deutschland Schadensersatz einfordern können.
Mängel in der Marktüberwachung
Kurz zuvor hatte sich der VW-Konzern mit rund 235.000 Kunden auf Entschädigungszahlungen geeinigt. Der Verbraucherzentrale-Bundesverband zog daraufhin seine Musterfeststellungsklage gegen das Unternehmen zurück. Auf den Dieselvergleich hatten sich Volkswagen und der VZBV Anfang des Jahres verständigt. Die Einigung sieht vor, dass von der Dieselaffäre betroffene Verbraucher Schadensersatz für den Wertverlust ihrer Fahrzeuge bekommen.

Klaus Müller ist Chef der Verbraucherzentrale Bundesverband.
Die Musterfeststellungsklage, bei der Verbraucherschützer stellvertretend für viele Betroffene gegen Unternehmen klagen können, war am 1. November 2018 eingeführt worden. Das Klageinstrument sei ein „Meilenstein für die Verbraucherrechte und wäre ohne den Dieselskandal wahrscheinlich nicht so schnell gekommen“, sagte VZBV-Chef Müller. In vielen Fällen seien Verbraucher entschädigt worden, „die ohne dieses Klageinstrument leer ausgegangen wären, weil sie das Risiko und die Kosten einer eigenen Klage nicht eingehen konnten oder wollten“, erläuterte der Verbraucherschützer.
Kritisch sieht Müller die Rolle des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) in dem Abgasskandal. Dass die US-amerikanische Umweltbehörde den Betrug aufgedeckt habe und nicht das KBA, habe die Mängel in der Marktüberwachung in Deutschland sichtbar gemacht. „Zwar hat sich in den vergangenen fünf Jahren einiges getan, zum Beispiel wurde die Marktüberwachung gestärkt, Prüfkapazität aufgebaut und ein Beirat beim Kraftfahrt-Bundesamt eingerichtet. Aber es fehlt etwa die Erweiterung der Aufsichtsziele um Verbraucherschutz“, sagte der VZBV-Chef.

Die Software bestimmter VW-Motoren war so eingestellt, dass im Betrieb auf der Straße deutlich mehr giftige Stickoxide (NOx) ausgestoßen wurden als in Tests.
Der frühere Bundes-Verbraucherschutzminister Heiko Maas (SPD) hatte schon vor zwei Jahren dafür plädiert, dass „im Lichte des Abgasskandals“ der Verbraucherschutz auch beim Kraftfahrt-Bundesamt ein „gleichberechtigtes Aufsichtsziel“ werden solle. „Es sollte künftig nicht nur prüfen, ob Autos technisch sicher sind, sondern auch, ob Verbraucher nicht in die Irre geführt werden“, erklärte Maas seinerzeit.
Doch bis heute ist die Ankündigung nicht umgesetzt worden. Das Bundesverkehrsministerium von Ressortchef Andreas Scheuer (CSU) sah bisher zumindest keine Veranlassung, den Verbraucherschutz künftig als Aufsichtsziel in den Aufgaben des KBA zu verankern.
Müller sieht nun die Autoindustrie am Zug, das durch den Dieselskandal verlorene Kundenvertrauen wieder zurückzugewinnen, um für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet zu sein. „Die zur Bewältigung der Klimakrise nötige Mobilitätswende kann nur gelingen, wenn die Verbraucher auf moderne und effiziente Autos umsteigen und den neuen Techniken vertrauen“, sagte der Verbraucherschützer. „Die Menschen müssen sich im Autohaus darauf verlassen können, dass Angaben zu Schadstoffen, Verbrauch und Datennutzung in der Realität auch eingehalten werden.“
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