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Gabriel Felbermayr „Für Angela Merkel wäre handelspolitisch mehr möglich gewesen“

Geopolitisch fallen große Niederlagen in die Amtszeit der Kanzlerin. Für die Exportnation Deutschland fehlten ihr die weitsichtigen Strategien.
26.08.2021 - 16:17 Uhr Kommentieren
Handelspolitisch hat die Kanzlerin längst nicht alles richtig gemacht. Quelle: dpa
Containerschiff

Handelspolitisch hat die Kanzlerin längst nicht alles richtig gemacht.

(Foto: dpa)

In einer Hinsicht ist Angela Merkel einer deutschen Tradition treu geblieben: geoökonomischer Zurückhaltung und Anspruchslosigkeit. Unter ihrer Führung hat sich Deutschland nicht mit einer mutigen internationalen Wirtschaftsstrategie hervorgewagt. Geschweige denn mit einer klaren geoökonomischen Vision. Im Gegenteil. In Merkels Regierungszeit fallen große geostrategische und handelspolitische Niederlagen und Fehleinschätzungen.

Dabei passt diese Tradition deutscher Zurückhaltung nicht mehr in die Zeit. In keinem anderen Land der G7 hängt der Wohlstand so stark am Außenhandel wie in Deutschland. Zudem hat Berlin eine der gewichtigsten Stimmen in der EU-Handelspolitik. Wenn Deutschland Druck macht, sind Durchbrüche möglich – manchmal auch überraschende. Das zeigt zum Beispiel das Ende 2020 ausverhandelte Investitionsabkommen mit China, selbst wenn es schon wieder auf Eis liegt. Es wäre in den letzten 16 Jahren handelspolitisch mehr möglich gewesen.

Als Merkel 2005 Kanzlerin wurde, war Deutschland vor allem mit sich selbst beschäftigt: mit Massenarbeitslosigkeit, der Umsetzung der Hartz-Gesetze, einer schwierigen Haushaltslage. Die Handelspolitik spielte keine entscheidende Rolle. Das politische Konzept der Kanzlerin war damals aber klar marktliberal ausgerichtet, das bezog sich im Grundsatz auch auf den Außenhandel.

Das wichtigste Freihandelsabkommen, das in der frühen Zeit der Kanzlerschaft verhandelt wurde und 2011 in Kraft trat, ist jenes mit der Republik Korea. Wirtschaftlich ein sehr erfolgreiches Abkommen, das den bilateralen Handel stark angetrieben hat. Abkommen mit einzelnen Asean-Staaten folgten. Multilaterale Impulse vermochte Merkel aber auch damals nicht zu setzen.

Als 2008 die Weltwirtschafts- und Finanzkrise hereinbrach und die Euro-Zone für einige Jahre in Schieflage geriet, ging der Kanzlerin der klare marktliberale Kompass allmählich verloren, ohne dass eine neue, tragfähige außenwirtschaftspolitische Strategie an seine Stelle trat. Dies wurde insbesondere bei dem größten und wirtschaftlich wertvollsten handelspolitischen Projekt der Ära Merkel deutlich, der Idee eines transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens – TTIP.

Gabriel Felbermayr leitet derzeit das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel und lehrt an der dortigen Universität. Voraussichtlich im Herbst wird der Experte für internationale Handelspolitik auf den Präsidentenposten beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung in Wien wechseln. (Foto: ifw-Kiel)
Gabriel Felbermayr

Gabriel Felbermayr leitet derzeit das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel und lehrt an der dortigen Universität. Voraussichtlich im Herbst wird der Experte für internationale Handelspolitik auf den Präsidentenposten beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung in Wien wechseln. (Foto: ifw-Kiel)

Die Verhandlungen dazu begannen formal 2013, der Schock der Finanzkrise war gerade verdaut. Allen Beteiligten muss klar gewesen sein, dass das reine Narrativ einer Marktliberalisierung gesellschaftlich nicht mehr tragfähig war. Die Versuche, das Abkommen schließlich als geostrategisch motivierte Wertepartnerschaft darzustellen, als gemeinsame Regulierungsanstrengung gegen den Staatskapitalismus aus dem Osten, nicht als Deregulierungsagenda, kamen zu spät, zu zögerlich und mit wenig Überzeugung.

Sie kamen auch nicht von Merkel selbst, die ihr politisches Gewicht nie für TTIP in die Waagschale geworfen hat, sondern noch am ehesten vom damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Als die Diskussionen um die eigentlich höchst nebensächlichen Themen Chlorhühnchen und Schiedsgerichte nicht abflauten, distanzierte sich die Kanzlerin.

Ein Handelskrieg mit Donald Trump und ein Umdenken mit Blick auf Chinas geostrategische Ambitionen führte zuletzt zwar zu neuen Vorstößen für ein transatlantisches Handelsabkommen, allerdings mit weiterhin höchst unsicherem Ausgang. Das Abkommen mit Kanada (Ceta), das von 2009 bis 2014 verhandelt wurde, ist bisher nur provisorisch in Kraft, weil die Kanzlerin bisher keine Mehrheit für dessen Ratifikation im Bundestag organisieren konnte.

Ähnlich zögerlich ist Merkels Agieren in den Verhandlungen um ein Abkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten – wirtschaftlich wie geostrategisch ein potenziell wichtiger Hebel. Es bietet die Chance, in einer Region Einfluss zu nehmen, die immer stärker zu China neigt. Doch die Kanzlerin war auch hier nicht bereit, politisches Kapital einzusetzen, obwohl seit 2000 verhandelt wurde und seit 2019 ein politischer Abschluss vorliegt.

Ein zentrales Problem ist, dass erst sehr spät in Merkels Kanzlerschaft geostrategische Überlegungen eine Rolle zu spielen begannen – obwohl schon Mitte der 2010er-Jahre die Enttäuschung darüber wuchs, dass der WTO-Beitritt Chinas dort nicht die erhofften demokratischen und marktwirtschaftlichen Reformen in Gang setzte und damit klar wurde, dass die westliche Wertegemeinschaft neue Antworten brauchte. Doch statt Berlin gibt vor allem Paris in geoökonomischen Strategiefragen in der EU den Takt vor.

Streit mit Russland ekalierte

In Summe hat Merkel außenwirtschaftspolitisch also wenig Erfolge vorzuweisen. Blickt man auf den für Deutschland mit Abstand wichtigsten Wirtschaftsraum – die EU und ihren Binnenmarkt – sind es gar dramatische Misserfolge.

Der Streit mit Russland über eine Einbindung einiger UdSSR-Nachfolgestaaten in die EU und die Nato eskalierte, führte zur völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und zu seit 2014 als katastrophal zu bezeichnenden wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland. Wie mit Weißrussland außenwirtschaftspolitisch umzugehen ist, wenn der „letzte Diktator Europas“ Lukaschenko die Segel streicht, ist unklar.

Auch gegenüber der Türkei hat Merkel keine strategische Perspektive entwickelt. Die Bundeskanzlerin blieb gefangen in tagespolitischen Querelen und den schwierigen Umständen der Flüchtlingskrise. Es ist ihr nicht gelungen, das Verhältnis der EU mit der Türkei zu modernisieren.

Dazu würde das Eingeständnis gehören, dass die Türkei in absehbarer Zeit kein Vollmitglied der EU sein wird, dass die seit 1996 existierende Zollunion zunehmend schlecht funktioniert und dass eine grundlegende Neuordnung des bilateralen Verhältnisses auf Basis eines modernen Handelsabkommens überfällig ist.

Das größte handelspolitische Debakel der Amtszeit Merkels aber ist zweifellos der Brexit. Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs hat die EU ihr zweitgrößtes Mitglied, den zweitgrößten Nettozahler und einen attraktiven Wirtschaftsstandort verloren.

Schaden durch Brexit für Deutschland immens

Abermals war das Drama von Fehleinschätzungen geprägt. Zunächst schien Merkel darauf zu setzen, dass Cameron es nicht wirklich zu einem Referendum kommen lassen würde. Dann ging sie davon aus, dass die Mehrheit der Briten keinen Austritt will, schließlich dass eine harte Verhandlungsführung die Briten zum Umdenken bringen würde. Dreimal lag sie falsch.

Die Realität ist nun, dass das Vereinigte Königreich aus dem Binnenmarkt ausgeschieden ist, dass Deutschland finanziell belastet wird und dass der geostrategische Einfluss der EU deutlich geschrumpft ist. Denn dieser ist proportional zur Größe und Dynamik des Binnenmarkts. Dass sich nun auch die Schweiz zunehmend distanziert und den von der EU vorgeschlagenen Rahmenvertrag ablehnt, ist ein weiteres Problem.

Was der EU fehlt, ist ein Angebot an Länder, die wirtschaftlich stark und attraktiv sind, an enger wirtschaftlicher Kooperation, aber nicht an politischer Integration interessiert sind. Kein anderes Mitglied kann daran ein größeres Interesse haben als die Exportnation Deutschland.

Dafür bräuchte es eine strategische Idee und ein mutiges Konzept der Umsetzung, das man der EU-Kommission und den anderen Mitgliedstaaten näherbringt. Solche weitsichtigen Würfe aber waren nie die Sache von Angela Merkel. Wer auch immer ihre Nachfolge antritt, wird hier gefordert sein.

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