Gastkommentar Deutschland muss Verantwortungseigentum fördern

Der Autor ist Mitgründer von Purpose, einer Initiative, die sich weltweit für Unternehmen in Verantwortungseigentum einsetzt, diese berät und auch in sie investiert.
Während zu Recht über die Verantwortung von Unternehmen in Zeiten von Klimakrise und steigender sozialer Ungleichheit diskutiert wird, hat sich eine neue Generation von Gründern längst auf den Weg gemacht. Statt schneller Vermögensbildung, Exit und Gewinnmaximierung auf Kosten von Mitarbeitern und Umwelt geht es ihr um etwas anders: mit ihrem Unternehmen einen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.
Um diesen Anspruch rechtlich garantieren zu können, gehen immer mehr erfolgreiche Unternehmer einen Schritt, der radikaler nicht sein könnte: Sie enteignen sich selbst. Genauer gesagt: Sie sorgen dafür, dass ihre Unternehmen nicht ihr persönliches Eigentum sind, sondern dauerhaft „sich selbst“ gehören – in Verantwortungseigentum.
Was nach Verzicht klingt, ist für diese Unternehmer das Gegenteil. Sie wollen damit sicherstellen, dass ihr Unternehmen langfristig unabhängig, erfolgreich und seinen Werten treu bleiben kann und nicht an anonyme Investoren verkauft wird.
Zur neuen Generation von Start-up-Gründern, die nicht mehr in der Mangelgesellschaft aufgewachsen sind und die auf Hunderte Millionen Exit-Erlöse verzichteten, gehören Gründer wie Christian Kroll von ecosia.org, der Suchmaschine, die Bäume pflanzt, Denis Bartelt von StartNext, der größten Crowdfunding-Plattform Deutschlands, oder Waldemar Zeiler und Philip Siefer vom erfolgreichen Kondom-Start-up Einhorn.
Um Mitarbeitern und Kunden ein glaubhaftes Versprechen zu geben, setzen sie mit Verantwortungseigentum auf eine neue Form, die das Unternehmensvermögen dem unbeschränkten persönlichen Zugriff der Gründer entzieht und das Steuerrad des Unternehmens, die Mehrheitskontrolle, nicht mehr nach den üblichen Mechanismen weitergibt: Vererbung oder Verkauf.
Stattdessen setzen sie auf eine Werte- und Fähigkeitenverwandtschaft, die bestimmt, wer das Unternehmen auf Zeit als treuhänderischer Verantwortungseigentümer hält. Statt von „Vermögenseigentümern“ kann man von „Verantwortungseigentümern“ sprechen.
Eigentum neu zu denken ist eine historisch bewährte Praxis
Damit folgen sie einer Tradition erfolgreicher Unternehmer wie Robert Bosch, Ernst Abbe von Zeiss, Michael Otto vom Otto-Versand oder Götz Werner vom dm-Drogeriemarkt. Sie alle haben ihre Unternehmensanteile mal über Stiftungen, mal über andere rechtliche Behelfskonstruktionen den Unternehmen geschenkt und gehören damit zu den Pionieren von Verantwortungseigentum.
Das zeigt: Eigentum an Unternehmen auf diese Art neu zu denken ist nicht nur die innovative Idee einer neuen Unternehmergeneration – es ist zugleich eine historisch bewährte Praxis. Alles gut, könnte man also meinen. Die schlechte Nachricht lautet jedoch: Das deutsche Recht legt diesen Pionieren einer am Sinn orientierten Wirtschaft Steine in den Weg.
Obwohl sie genau das wertegeleitete unternehmerische Handeln institutionalisieren, das gesellschaftlich zunehmend gefordert wird, könnte es um die rechtlichen Rahmenbedingungen für sie kaum schlechter stehen. Um Verantwortungseigentümerschaft umzusetzen, sind heute umständliche und kostspielige rechtliche Krücken nötig.
Boschs Doppelstiftungskonstruktion konnte erst 22 Jahre nach Robert Boschs Tod von den Anwälten fertiggestellt werden. Der Mittelständler Elobau, ein Weltmarktführer in Sensortechnologie, kämpfte sechs Jahre mit Finanzämtern und Stiftungsbehörden, bevor eine Struktur zugelassen wurde, die Verantwortungseigentum ermöglicht.
Kostenpunkt: 180.000 Euro an Gebühren für Anwälte, Steuerberater und das Finanzamt. Start-ups, die Bosch und Co. heute folgen wollen, wären gut beraten, nach Dänemark auszuwandern. Dort zählen dank besserer Gesetzgebung inzwischen 60 Prozent des gesamten Wertes des Börsenindexes zu Unternehmen in Verantwortungseigentum.
Wie Forscher der Copenhagen Business School feststellten, wiesen diese Unternehmen ohne Shareholder-Kontrolle nach 40 Jahren eine circa sechsmal höhere Überlebenswahrscheinlichkeit auf. Sie haben zufriedenere Mitarbeiter, entlohnen diese besser und sind dabei mindestens genauso profitabel wie Unternehmen der alten Art.
Die gute Nachricht lautet: Die Steine ließen sich auch hierzulande leicht aus dem Weg räumen. Das Einzige, was es dazu braucht, ist eine entsprechende Rechtsform oder Wahloption bei vorhandenen Rechtsformen, die zwei Prinzipien von Verantwortungseigentum rechtlich verbindlich sicherstellen kann:
Vermögensbindung: Das Unternehmensvermögen ist nicht privatisierbar, sondern dient dem Zweck des Unternehmens („asset lock“).
Selbstbestimmung: Die Gesellschafterfunktion ist weder vererblich noch verkäuflich, sondern bleibt, wie bei einer Anwaltskanzlei, bei den mit dem Unternehmen verbundenen Menschen.
Nachdem Deutschland vor 127 Jahren Rechtsgeschichte geschrieben und den Exportschlager der „GmbH“ erfunden hat, könnte Deutschland heute wieder Rechtsgeschichte schreiben: mit einer Unternehmensform für Gründer, die in Verantwortungseigentum gründen wollen.
Wenn wir uns trauen, Eigentum in diesem Sinne neu zu denken, könnten wir in Zeiten dringend benötigter systemischer Innovationen zum globalen Vorbild einer sinnorientierten Wirtschaft werden.
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Ist schon erstaunlich, mit welcher Diskussion man in ihre Zeitung kommt.
Ich verstehe das Problem nicht so richtig - gründe doch eine gemeinnützige Gesellschaft und arbeite kostenlos oder führe das bestehende Unternehmen in die Gemeinnützigkeit über.
Sie können auch Ihr Unternehmen an die Kirche oder die Caritas verschenken oder den Mitarbeitern oder ...oder... oder …
Beste Grüße von Peter Michael