Gemeinnützigkeit Trotz Attac-Urteil: Finanzbehörden sollen nicht mehr tätig werden

Der Bundesfinanzminister hat bislang keinen Entwurf für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts vorgelegt.
Berlin Auf eine Art „Nicht-Anwendungserlass“ zum Schutze der Zivilgesellschaft haben sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und die Finanzminister der Länder geeinigt. Demnach sollen die Finanzverwaltungen bis auf weiteres darauf verzichten, Vereinen die Gemeinnützigkeit mit Verweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs zur Organisation Attac zu entziehen. „Der Schritt soll Ruhe in die Sache hineinbringen“, hieß es in den Ministerien.
„Bund und Länder wollen noch in diesem Jahr gemeinsam das Gemeinnützigkeitsrecht reformieren“, sagte die finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Antje Tillmann, dem Handelsblatt. „Ich habe Verständnis, wenn die Verwaltung bis dahin keine weiteren Fakten schaffen will.
Denn jeder Entzug der Gemeinnützigkeit hat für den einzelnen Verein unter Umständen weitreichende Folgen.“ Finanzminister Scholz solle nun „schnellstmöglich“ eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts vorlegen. In diesem Rahmen seien dann auch die Auswirkungen der bisher gefällten Urteile politisch zu bewerten.
Vor gut einem Jahr hatte der Bundesfinanzhof (BFH) mit Blick auf das globalisierungskritische Netzwerk Attac befunden, dass die Beeinflussung der öffentlichen Meinung im eigenen Sinne nicht als politische Bildungsarbeit gemeinnützig. Der BFH verwies anschließend auf die in der Abgabenordnung festgelegten 25 gemeinnützigen Tätigkeitsbereiche. Attac verlor die Gemeinnützigkeit.
In Folge des Urteils hatten die Finanzbehörden auch der Kampagnenorganisation Campact den Status einer gemeinnützigen Organisation aberkannt. Seitdem fühlt sich laut Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ eine „Vielzahl von Vereinen und Stiftungen“ durch das „unklare Gemeinnützigkeitsrecht bedroht“. Wenn ein Verein nicht als gemeinnützig anerkannt ist, können Geldgeber ihre Spenden nicht von der Steuer absetzen.
Noch kein Entwurf
Bundesfinanzminister Scholz hatte zwar eine Gesetzesreform angekündigt, bislang aber noch keinen Entwurf vorgelegt. Derzeit werde im Ministerium daran gearbeitet, hieß es. Grünen-Finanzpolitikerin Lisa Paus sagte mit Blick auf die nun geltenden Vorgaben für die Finanzbehörden: „Es war überfällig, dass Olaf Scholz endlich tätig wird. Bislang musste die Zivilgesellschaft den Preis für die Untätigkeit der Bundesregierung zahlen.“
Der Schritt sei allerdings nur eine Notlösung. „Es ist ein Armutszeugnis, dass sich die Bundesregierung auf diese Weise weitere Zeit erkaufen muss. Olaf Scholz muss schleunigst ein Gesetz vorlegen und eine echte Lösung schaffen“, sagte Paus dem Handelsblatt. Die Grünen fordern, dass künftig grundsätzlich auch die Einflussnahme auf die politische Willensbildung zu gemeinnützigen Zwecken erfolgen darf.
Die Zeitung „taz“ hatte zuerst über Scholz‘ Vorstoß berichtet. Demnach sollen bei bereits gemeinnützigen Organisationen „aus Vertrauensschutzgründen“ zunächst keine Konsequenzen mehr aus dem Urteil gezogen werden. Für Vereine wie Attac, bei denen bereits die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde, sowie für neu gegründete Vereine soll die jetzt getroffene Vereinbarung jedoch nicht greifen.
In der vergangenen Woche wurde die Gemeinnützigkeit von Attac erneut verhandelt, vor dem Hessischen Finanzgericht. Es wies die Klage der Organisation zwar ab und änderte damit seine Entscheidung aus dem Jahr 2016. Der Vorsitzende Richter Helmut Lotzgeselle betonte aber, dass das neue Urteil nur den engen Vorgaben des BFH geschuldet sei.
Lotzgeselle hatte bereits während der Verhandlung kritisiert, die Vorgaben des BFH seien „mit heißer Nadel“ gestrickt. Attac kündigte an, notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.
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