Generation Corona Bundesregierung stellt 700 Millionen Euro für Ausbildungsförderung bereit

Regierung und Wirtschaftsverbände stemmen sich gegen den Rückgang bei den Lehrstellen.
Berlin Die Bundesregierung will die Förderung der betrieblichen Ausbildung in der Coronakrise erheblich aufstocken. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) stellt dafür nach Informationen des Handelsblatts im Ausbildungsjahr 2021/22 insgesamt rund 700 Millionen Euro bereit.
Das soll das Kabinett an diesem Mittwoch auf den Weg bringen. Kernpunkt ist die Verdopplung der Prämien für Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, auf bis zu 6000 Euro je Azubi. Zudem wird der Kreis der berechtigten Unternehmen ausgeweitet.
Hintergrund ist der Rückgang bei den Lehrstellen im zurückliegenden Jahr. So sank die Zahl der neuen Ausbildungsverträge 2020 nach Angaben der Bundesregierung um elf Prozent auf noch 467.000, fast zwölf Prozent der gemeldeten betrieblichen Lehrstellen blieben unbesetzt.
Und bis Ende Februar 2021 wurden bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) rund acht Prozent weniger Ausbildungsplätze erfasst. Zugleich haben sich nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) fast zwölf Prozent weniger Bewerber als im Vorjahr gemeldet.
Parallel zum Vorstoß der Bundesregierung plant die „Allianz für Ausbildung“ – hier arbeiten Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften zusammen – ab sofort eine Flut von Werbeaktionen, um Betriebe und potenzielle Interessenten von den Vorteilen einer Ausbildung zu überzeugen.
Motivation für Unternehmen
Die Berufsorientierung, die 2020 vielfach wegen der Pandemie ausfiel, soll auf breiter Front digital stattfinden – vor allem in den Schulen. Das zeigt der dem Handelsblatt vorliegende Entwurf des Beschlusses der Allianz, die sich ebenfalls diesen Mittwoch trifft.
„Wenn die Prämien wie geplant künftig doppelt so hoch sein werden, wird das hoffentlich mehr Unternehmen motivieren, junge Menschen auszubilden“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Für mehr Ausbildungsplätze soll sorgen, dass künftig auch größere Unternehmen gefördert werden. Man müsse „vermeiden, dass Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt dauerhaft zurückgehen“, heißt es im Beschlussentwurf der Allianz für Ausbildung.
Dazu werden vor allem die Prämien verdoppelt: Betriebe, die gleich viele Lehrlinge wie zuvor ausbilden, erhalten 4000 Euro pro Lehrling. Wer die Zahl der Lehrstellen erhöht, erhält sogar 6000 Euro. Die ursprünglich halb so hohen Prämien hatte der Bund im Corona-Sommer 2020 eingeführt – ein Großteil der Betriebe hatte diese aber gar nicht nachgefragt. Das soll die gemeinsame Werbekampagne auf allen Ebenen nun ändern.
Zudem wird der Kreis der Empfänger auf Betriebe bis zu 499 Mitarbeiter ausgeweitet, und die Anforderungen werden gesenkt: Bedingung ist nun nur noch mindestens ein Monat Kurzarbeit im Ausbildungsjahr 2020/21 oder ein 30-prozentiger Umsatzrückgang in einem einzigen Monat. Betriebe, die von Kurzarbeit betroffen sind und dennoch weiter ausbilden, erhalten nicht nur einen Zuschuss von 75 Prozent der Ausbildungsvergütung, sondern nun auch 50 Prozent des Lohns der Ausbilder.
Neu ist ein „Lockdown-II-Zuschuss für Kleinstunternehmen“ mit bis zu vier Beschäftigten, die wegen Corona nicht oder kaum noch arbeiten können – also etwa Restaurants, die nur noch außer Haus verkaufen dürfen. Sie erhalten einmalig für jeden Azubi 1000 Euro. Für Lehrlinge in einer Verbundausbildung mehrerer Betriebe locken Prämien von 450 Euro pro Woche, maximal 8.000 Euro.
BA-Chef warnt vor „Generation Corona“
BA-Chef Detlef Scheele hatte mehrfach vor einer „Generation Corona“ gewarnt. „Wir blicken dieses Jahr mit Sorge auf den Ausbildungsmarkt“, sagte Scheele anlässlich der bundesweiten Woche der Ausbildung. Der Lockdown schränke die persönliche Beratung junger Menschen in den Arbeitsagenturen und Schulen ein. So hätten sich 2020 gut 724.000 Jugendliche für eine Berufsausbildung interessiert – fast 63.000 weniger als 2019. Schwierig sei die Situation vor allem für die Jugendlichen, die besondere Unterstützung bräuchten.
Auch böten Betriebe weniger Praktika an. Scheele appellierte daher an die Arbeitgeber, „trotz aller Herausforderungen bei der Ausbildung aktiv zu bleiben“. Wer jetzt nicht für den eigenen Fachkräftenachwuchs sorge, werde vielleicht nach dem Ende der Pandemie keine Fachkräfte mehr finden.
Auch die „Generation Corona“ selbst ist hochgradig besorgt: Die Hälfte der 18- bis 30-Jährigen glaubt, dass sich die Chancen auf eine gute Ausbildung durch die Pandemie verschlechtert haben. Unter den Auszubildenden sind es 39 Prozent, unter Studenten mehr. Das zeigt eine YouGov-Umfrage im Auftrag der Versicherungswirtschaft.
„Beim laufenden Ausbildungsjahr droht ein Minus von um die zehn Prozent“, fürchtet der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der freien Berufe, Peter Klotzki. Daher habe das Treffen der Allianz nun „einen deutlich ernsteren Hintergrund als die vorherigen Runden“, sagte er dem Handelsblatt. „Wir müssen alles gegen eine Verfestigung des Rückgangs tun.“
Experten verweisen auf die Finanzkrise 2008/09: Damals war die Zahl der Lehrstellen um 8,5 Prozent eingebrochen – und hatte sich in den Folgejahren auf niedrigerem Niveau stabilisiert. Ein solcher dauerhafter Schaden dürfe sich nun nicht wiederholen.
Nicht nur finanzielle Anreize
Neu ist auch die Förderung der Prüfungsvorbereitung der Azubis, damit diese ihre Ausbildung erfolgreich beenden können: Betriebe erhalten hier die Hälfte der Kurskosten erstattet, maximal 500 Euro pro Lehrling. Allein hierfür stehen 40 Millionen Euro bereit. Die Allianz für Ausbildung appelliert zugleich an die Betriebe, Azubis für solche Kurse auch freizustellen.
Flankiert werden sollen die finanziellen Anreize durch massive Werbemaßnahmen und Berufsvorbereitung, die pandemiebedingt vor allem digital stattfinden sollen. Es soll nicht wieder passieren, dass wie 2020 massenhaft Infoveranstaltungen in den Schulen und Kammern ausfallen und so potenzielle Azubis und Betriebe nicht zueinanderfinden.
Die Allianzpartner, zu denen auch die Kultusminister gehören, verpflichten sich daher, die Berufsorientierung in den digitalen Unterricht zu integrieren und dabei nicht nur Lehrer, sondern auch die Eltern gezielt einzubeziehen, etwa über digitale Elternabende.
Das Bundesbildungsministerium lässt dazu beim Bundesinstitut für Berufsbildung eine zentrale Plattform entwickeln, die den Weg zu den vielen Angeboten weisen soll. Betriebe sollen dafür „sensibilisiert“ werden, auch Jugendliche mit schlechteren Startchancen, etwa Flüchtlinge, auszubilden. Hier wollen die Partner „insbesondere dauerhaft negative Folgen einer gescheiterten Bewerbung 2020 verhindern“.
Erfreut über das Gesamtprogramm zeigte sich Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer: Gerade die neuen Zuschüsse für Kleinstbetriebe zeigten die Wertschätzung der Ausbildung im Handwerk. „Es entbindet die Politik aber nicht davon, bereits heute den Grundstein für eine langfristige Fachkräftesicherung durch berufliche Ausbildung zu legen“, sagte er dem Handelsblatt.
„Die berufliche Bildung befindet sich in einer Abwärtsspirale“, warnt die Vizevorsitzende des DGB, Elke Hannack. Das Bundesprogramm sei bisher kompliziert gewesen, „deshalb kamen die Mittel bislang bei Betrieben und Auszubildenden zu wenig an“, sagte sie dem Handelsblatt. Nun müssten die Hilfen „schneller und unbürokratischer an mehr Unternehmen fließen“.
Mehr als zwei Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss
IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban warnt: „Die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe hat schon vor Corona abgenommen, dieser Trend wird durch die Krise nunmehr verstärkt.“ Nach einer Umfrage der Gewerkschaft gaben gut elf Prozent der Betriebsräte an, dass sie für 2021 einen weiteren Abbau der Ausbildungsplätze in ihren Betrieben erwarten.
Im Bereich der IG Metall ging die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen 2020 um rund 13.000 oder gut zehn Prozent zurück. Selbst bei so beliebten Berufen wie Industrie- und Zerspanungsmechaniker oder Mechatroniker sank die Zahl der neuen Verträge. In den klassischen Metall- und Elektroberufen lag das Minus bei fast 16 Prozent, zeigt die Ausbildungsbilanz 2020 der IG Metall, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.
Mehr als zwei Millionen junge Menschen waren 2019 ohne Berufsabschluss, kritisierte Urban – so viele wie nie zuvor. „Wenn jetzt nicht endlich gegengesteuert wird und die Bundesregierung die Situation weiter nur schönredet statt zu handeln, drohen mehr und mehr Jugendliche durch die immer wackligeren Planken des Ausbildungsmarkts zu fallen.“ Nötig sei eine Ausbildungsgarantie, bekräftigte er die Forderung der Gewerkschaften.
Arbeitsmarktexperten treibt auch die Situation der Jugendlichen um, die mitten in der Pandemie ihre Prüfung ablegen. Denn ihre Arbeitsmarktchancen sind alles andere als rosig. Daher schlägt etwa Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vor, der Staat solle den Unternehmen zeitweise die Sozialversicherungsbeiträge für neue Jobs abnehmen.
Auch die Grünen wollen einen Einstiegszuschuss. Für Berufseinsteiger sollten damit bis zu 50 Prozent des Arbeitsentgelts für höchstens sechs Monate oder bis zu 50 Prozent der Ausbildungsvergütung für höchstens zwölf Monate bezuschusst werden können.
Mehr: Samstagsunterricht, Nachhilfe, Kurzferien: So wollen die Länder Lernlücken der Schüler schließen.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.