Georg Müller „Das Arbeitsvolumen insgesamt darf nicht sinken“ – Bayer-Personalchef kritisiert Gewerkschaft

Der Umsatz der chemisch-pharmazeutischen Industrie könnte in diesem Jahr erstmals die 200-Milliarden-Euro-Marke knacken.
Der Chemiearbeitgeberverband BAVC und die Gewerkschaft IG BCE verhandeln gerade über den Branchentarifvertrag. Die Gewerkschaft fordert mehr Urlaub und sechs Prozent mehr Lohn. Sie begründet das mit guten Konjunkturaussichten und der Auslastung vieler Unternehmen der chemischen Industrie. Die Arbeitgeber warnen dagegen vor Risken wie dem Brexit.
Der Umsatz der chemisch-pharmazeutischen Industrie dürfte 2018 erstmals die 200-Milliarden-Euro-Marke knacken. Ist da keine ordentliche Gewinnbeteiligung für die Beschäftigten drin?
Die Mitarbeiter haben Wertschätzung verdient. Aber bei einem Jahresgehalt von durchschnittlich 59.000 Euro für Tarifbeschäftigte kann man wohl von einer guten Honorierung sprechen.
Ist die IG BCE undankbar, wenn sie sechs Prozent und oben drauf mehr Urlaubsgeld fordert?
Das ist mehr, als alle anderen Gewerkschaften in diesem Jahr gefordert haben, und geht an der Realität vorbei. 2017 war sicher ein gutes Jahr, aber 2017 ist mit dem letzten Tarifabschluss bezahlt. Wir müssen nach vorne schauen, und da sehen wir eine abflauende wirtschaftliche Dynamik und wachsende Risiken für die exportorientierte Chemie. Stichwort Brexit oder Handelskonflikt mit den USA.
Die Gewerkschaft wirft Ihnen vor schwarzzumalen …
Wir malen nicht schwarz. Aber wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie sichern und uns einen realistischen Blick bewahren. Und dazu gehört, dass nicht in allen Bereichen der Chemie gut verdient wird, dass es große wie kleine Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten gibt. All das muss der Flächentarif auffangen.

Georg Müller ist Personalchef von Bayer Deutschland und Verhandlungsführer des Chemie-Arbeitgeberverbands BAVC.
Tarifflucht ist aber in Ihrer Branche kein Thema, oder?
Es gibt aber keine Garantie, dass das so bleibt. Bei der Bezahlung im Branchenvergleich und bei den Arbeitskosten im internationalen Vergleich liegen wir an der Spitze. Und in den letzten sieben Jahren haben sich die pro Kopf geleisteten Arbeitsstunden kontinuierlich verringert. Das bringt einige Firmen an die Schmerzgrenze.
Die IG BCE will eine Option, das Urlaubsgeld in mehr Freizeit umzumünzen. Liegt sie damit nicht im Trend?
Bei der Bahn oder in der Metallindustrie gab es in der Tat Ähnliches. Die IG BCE will damit den Beschäftigten mehr Zeitsouveränität geben und Belastungen reduzieren. Darüber kann man reden, solange auch die Arbeitgeber flexibel agieren können und das Arbeitsvolumen insgesamt nicht sinkt. Wir dürfen Arbeitszeitflexibilität nicht mit Arbeitszeitverkürzung verwechseln.
Wer muss länger arbeiten, wenn Kollegen mehr Urlaub wollen?
In der Summe muss auf jeden Fall die nötige Kapazität erhalten bleiben. Dafür brauchen wir kreative Ideen, wie man auch mehr Arbeitszeit gewinnen kann, oder Schutzklauseln, damit Unternehmen nicht wegen zusätzlicher Urlaubstage in Schwierigkeiten kommen.
Könnte das Potsdamer Modell zur Arbeitszeit irgendwann zum Vorbild für die gesamte Branche werden?
Das Modell sieht vor, dass die Betriebsparteien aus einem Korridor von 32 bis 40 Wochenstunden die für sie passende Arbeitszeit in Eigenregie festlegen. Darüber hinaus sind individuelle Arbeitszeitregelungen möglich, etwa wenn jemand länger arbeiten will. Das kann durchaus ein Weg zu mehr Flexibilität sein, der für die Chemie insgesamt gangbar ist.
Wenn jetzt Arbeitszeitvolumen durch zusätzlichen Urlaub wegfällt, müssen Sie Vertretungen organisieren. Die Große Koalition hat aber flexible Elemente wie die Zeitarbeit schon eingeschränkt.
Es ist für die Unternehmen heute schon nicht einfach, zum Beispiel den bestehenden Rechtsanspruch auf Teilzeit umzusetzen. Das Problem wird nun durch die befristete Teilzeit noch verschärft. Dann haben wir in der Chemie die Altersfreizeiten, die Älteren erlaubt, zweieinhalb Stunden pro Woche kürzer zu arbeiten. Und nun kommt die IG BCE noch mit der Forderung nach mehr freien Tagen. Irgendjemand muss aber ja die Arbeit noch machen.
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