Gerald Gaß im Interview „Kontaktbeschränkungen müssen denkbar sein” – Krankenhausgesellschafts-Chef fordert härtere Corona-Politik

Der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft erwartet eine „einhundertprozentige Auslastung“ der Intensivbetten und Beatmungsgeräte.
Berlin Der Vorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, hat eine „schnelle und klare Entscheidung“ über eine berufsbezogene Impfpflicht gefordert. Die „öffentliche Diskussion über das Für und Wider“ sei kontraproduktiv, da es Impfgegner in ihrer Haltung bestärke, sagte Gaß im Handelsblatt. Die Ampel-Parteien hatten angekündigt, erst in den kommenden Wochen über eine Impfpflicht in bestimmten Berufen - etwa in der Pflege und Kliniken - zu entscheiden.
Über Kritik, dass die Maßnahme wegen möglicher Ausfälle von ungeimpften Beschäftigten zur Unzeit komme, sagte er: „Das Gegenteil stimmt.“ Viele Beschäftigte hätten keinerlei Verständnis für diejenigen, die ungeimpft zur Arbeit kommen. „Das führt zu Frust bei Geimpften – und das sind die allermeisten –, den wir nicht gebrauchen können.“
Insgesamt sei die Lage auf den Intensivstationen angespannt. Es gebe zwar nicht den einen Wert, an dem man sagen könne: Jetzt bricht das gesamte Gesundheitssystem zusammen. „Aber wir sehen ja bereits jetzt in einigen Regionen erste Anzeichen“, sagte Gaß mit Blick auf Bundesländer wie Bayern und Thüringen, in denen im Vergleich besonders viele Corona-Patienten intensivmedizinisch behandelt werden. „Mit jedem Corona-Intensivfall verschärft sich diese Lage – selbst im besten und leistungsfähigsten Gesundheitswesen der Welt.“
Die Pläne der Ampel, die etwa eine 3G-Regel an Arbeitsplätzen und in öffentlichen Verkehrsmittel vorsehen, gehen Gaß angesichts der Lage nicht weit genug. Um ein „deutliches Zeichen“ zu setzen, brauche es eine flächendeckende 2G-Regel, auch in Fernzügen und im Flieger. Außerdem sei es ein Fehler, weitergehende Maßnahmen auszuschließen. „Von Kontaktbeschränkungen für alle bis hin zu Schließungen muss der gesamte Instrumentenkasten in der vierten Welle denkbar sein, wenn eine veränderte Lage dies erfordert“, sagte Gaß.
Lesen Sie hier das Interview in kompletter Länge:
Herr Gaß, die Ampel-Parteien erwägen eine Impfpflicht. Könnten die Kliniken den möglichen Personalausfall stemmen?
Natürlich gibt es das Risiko, dass wir Mitarbeiter verlieren. Ich bin aber zuversichtlich, dass es uns gelingt, so gut wie jeden Ungeimpften in den Kliniken – aber auch in den Pflegeheimen – von einer Impfung zu überzeugen. Wichtig dafür ist, dass die Impfpflicht in allen medizinischen Bereichen gilt. Wer sich in der Klinik nicht impfen lässt, darf danach nicht in der ambulanten Pflege gefährdete Menschen behandeln.
Stationen und Pflegeheime sind teils stark unterbesetzt. Kritiker der Impfpflicht sagen, sie kommt deswegen zur Unzeit.
Das Gegenteil stimmt. Viele Kolleginnen und Kollegen in den Kliniken und Pflegeheimen haben keinerlei Verständnis für diejenigen, die ungeimpft zur Arbeit kommen. Das führt zu Frust bei Geimpften – und das sind die allermeisten – den wir nicht gebrauchen können.
Die Ampel ist sich allerdings nicht einig. Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Maßnahme kommt?
Die Impfpflicht in medizinischen Berufen wird kommen, da bin ich sicher. Es gibt keine Alternative in der derzeitigen Lage, in der die Krankenhäuser an ihre Grenzen kommen. Es geht darum, die Betroffenen von einer möglichen Impfpflicht zu überzeugen und Verständnis zu schaffen. Die öffentliche Diskussion der Parteien über das Für und Wider ist da kontraproduktiv, da es Impfgegner in Ihrer Haltung bestärkt. Wichtig wäre, das Thema intern zu diskutieren und dann eine schnelle und klare Entscheidung zu treffen.
Was würde eine solche Pflicht für Beschäftigte bedeuten?
Ungeimpfte können in einer solchen Situation ihren Job nicht mehr ausüben. Das heißt nicht, dass sofort die Kündigung ausgesprochen werden muss. Es würde genügen, diese Beschäftigten erst einmal in unbezahlten Urlaub zu schicken, bis möglicherweise doch ein Umdenken einsetzt.
Halten Sie auch eine allgemeine Impfpflicht für nötig?
Ich persönlich hätte mir gewünscht, eine allgemeine Impfpflicht nicht grundsätzlich auszuschließen. Jeder Ungeimpfte verschärft die Lage in den Krankenhäusern, da er potentiell schwer erkranken kann. Es war ein Fehler der Politik, die Pflicht deswegen so frühzeitig kategorisch auszuschließen. Praktisch ist sie damit nicht mehr durchsetzbar. Das bedauere ich. Deswegen braucht es jetzt deutliche Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte.
Halten Sie die Ampel-Pläne hierzu für ausreichend?
Die Ampel-Pläne gehen meiner Meinung nach noch nicht weit genug. 3G am Arbeitsplatz ist ein guter Anfang. Es braucht allerdings eine flächendeckende 2G-Regel bei Veranstaltungen, Einrichtungen und beispielsweise Restaurants. 2G braucht es auch in Fernzügen und im Flieger, um ein deutliches Zeichen zu setzen. Hier stellt auch die Kontrolle – in Verbindung mit dem Ticket – kein praktisches Problem dar. Ich halte es auch für einen Fehler, weitergehende Maßnahmen grundsätzlich auszuschließen.
Welche meinen Sie?
In der aktuellen Lage kann niemand ausschließen, dass auch weitergehende Maßnahmen zu Kontaktbeschränkungen wieder nötig sein werden. Auch eine neue Regierung kann das nicht. Dafür ist die Entwicklung der Pandemie zu unvorhersehbar. Die Politik ist in der Verantwortung, die Maßnahmen der konkreten Lage anzupassen. Von Kontaktbeschränkungen für alle bis über Schließungen muss der gesamte Instrumentenkasten in der vierten Welle denkbar sein, wenn eine veränderte Lage dies erfordert.
In welcher Lage auf den Intensivstationen hielten Sie solche Maßnahmen denn für nötig?
Es gibt nicht den einen Wert, an dem wir sagen: Jetzt bricht das gesamte Gesundheitssystem zusammen. Aber wir sehen ja bereits jetzt in einigen Regionen erste Anzeichen. In Bayern werden bald mehr Corona-Patienten auf den Intensivstationen behandelt als je zuvor. Dort, aber auch in Bundesländern wie Thüringen, müssen Patienten abgewiesen und in andere Krankenhäuser verlegt werden. Außerdem werden Operationen verschoben – mit allen Risiken, die sich etwa für Krebspatienten ergeben. Mit jedem Corona-Intensivfall verschärft sich diese Lage – selbst im besten und leistungsfähigsten Gesundheitswesen der Welt.
Ähnliche Warnungen sind in den vorangegangen Wellen allerdings nie eingetroffen.
Diese Einschätzung teile ich nicht. Ich rechne damit, dass die Zahl der Corona-Patienten auf den Intensivstationen in zehn Tagen von derzeit 3200 auf 4000 steigen wird. Wenn es uns nicht gelingt, die Infektionszahlen deutlich nach unten zu drücken, wird sich die Lage im Winter noch massiv verschärfen. Ich kann also keine Entwarnung geben. Wahr ist aber auch: Schwerkranke Menschen werden auch in der vierte Welle eine Versorgung erhalten, da bin ich ganz sicher.
Welche Erwartungen haben Sie an das Bund-Länder-Treffen am Donnerstag?
Die Länder müssen nun vor allem die Booster-Impfungen vorantreiben. In Sachsen und Bayern, wo die Not am größten ist, sind im Schnitt deutlich weniger Menschen ein drittes Mal geimpft als etwa in Bremen oder Schleswig-Holstein. Das ist eine Situation, die dann auch für Krankenhäuser zum Problem wird. Gerade die älteren, die früh geimpft wurden, landen nun zunehmend auf den Intensivstationen.
Was genau erwarten Sie denn?
Ich glaube nicht, dass die Hausärzte die Booster-Impfungen alleine stemmen können. Die Länder müssen nun auch die in der zweiten und dritten Welle erfolgreichen Infrastrukturen reaktivieren. Dazu zählen mobile Impfteams, aber auch die Impfzentren. Ohne die werden die Auffrisch-Impfungen nicht vorankommen. Ich bin sicher, dass auch einzelne Kliniken mit anpacken werden, wenn sie von den Ländern angefragt und unterstützt werden.
Es sind auch Hilfen für die Krankenhäuser im kommenden Jahr geplant. Reicht das?
Diese Hilfen sind dringend nötig. Wenn die Fallzahlen in der Regelversorgung weiter zurückgeführt werden müssen, werden die Krankenhäuser erhebliche finanzielle Probleme haben und es droht eine gewaltige Zahl an Insolvenzen. Das ist in der gegenwärtigen Lage nicht verantwortbar. Es braucht Liquiditätshilfen für die Krankenhäuser, um zu vermeiden, dass Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt werden oder gar entlassen werden oder Krankenhäuser insolvent gehen.
Mehr: Corona-Krisenstab erwartet deutlichen Anstieg der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen
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Das typische Glashausinterview, da fehlen im Vergleich zu 2020 tausende Intensivbetten,die Krankenhausgesellschaften kassierten 2020 hunderte Millionen (ca. 700 mio) für das Aufrüsten dieser Betreuungsbetten und nun stellt sich Herr Gaß als Vertreter des verantwortlichen Lobbyverbandes hin und zeigt mit dem Finger auf andere.