Gerd Landsberg über Kommunen und Digitalisierung „Vergleichbar mit der Reformation“

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds fordert finanzielle Hilfe des Bundes bei der Digitalisierung der Kommunen.
Berlin Die Befunde sind mehr als ernüchternd: Im öffentlichen Bereich hinkt Deutschland bei den digitalen Angeboten international weit hinterher. Nach einer Studie der EU-Kommission liegt Deutschland nur auf Platz 20 in Europa. Nicht sonderlich rosig fällt auch der E-Government-Monitor der Initiative D21 aus. Danach haben in Deutschland im Jahr 2016 nur 45 Prozent der Bürger digitale Verwaltungsangebote genutzt. In Österreich waren es 74 Prozent. Und auch das schnelle Internet lässt in Deutschland zu wünschen übrig. Hier liegt die Bundesrepublik laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums im weltweiten Vergleich nur auf Platz 42. Der Städte- und Gemeindebund sieht vor diesem Hintergrund insbesondere den Bund am Zug, seine Anstrengungen bei der Digitalisierung zu forcieren. Warum die Kommunen Hilfe brauchen, erklärt Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg im Interview.
Herr Landsberg, wie groß schätzen Sie das Veränderungspotenzial der Digitalisierung ein?
Die Digitalisierung wird die Welt noch stärker verändern als die Globalisierung. Es ist ein Prozess, der von der Wucht her vergleichbar ist mit der Reformation. Die Verwaltung, die Produktionsprozesse, die Arbeitsvorgänge, die Gesellschaft - alles wird sich verändern. Was viele nicht erkennen ist: Wir können diese Veränderung nicht aufhalten, wir können sie aber gestalten. Wenn wir die Digitalisierung nicht selbst in die Hand nehmen, dann werden wir digitalisiert.
Deutschland hinkt vor allem in der Digitalisierung der Verwaltung im europäischen Vergleich weit hinterher - die ist auch eine Aufgabe der Städte und Gemeinden. Woran hakt es?
In vielen Städten und Gemeinden ist die Digitalisierung nicht Chefsache. Die Bedeutung wird immer noch unterschätzt. Und die Kommunen, die das Thema als wichtig erkannt haben, werden in ihren Ambitionen von langsamen Internetleitungen ausgebremst. Wir brauchen ein leistungsfähigeres Netz, gerade auf dem Land.
FDP und Grüne haben vorgeschlagen, die Telekom-Aktien zu verkaufen, um den Ausbau von schnellen Internetleitungen zu bezahlen.
Das Geld allein ist nicht das Problem. Wenn ich mir die Steuereinnahmen des Bundes und das Wirtschaftswachstum anschaue, dann hängt der Erfolg des Breitbandausbaus sicher nicht am Verkauf der Telekom-Aktien. Außerdem muss man wissen: Solche Aktien kann man nur einmal verkaufen.
Woran liegt es dann, dass der Ausbau des schnellen Internets nicht voran kommt?
Es gibt wahnsinnig viele bürokratische Hemmnisse, die die Verlegung behindern. Diese Hindernisse müssen abgebaut werden. Die Bundestagswahl hat gezeigt, dass Wähler in abgehängten Regionen zur Wahl extremer Parteien neigen. Deshalb brauchen wir von der neuen Regierung das klare Signal: Wir lassen euch nicht im Stich.
Fragen die Bürger digitale Leistungen denn überhaupt nach?
Es ist zwar nicht so, dass sie danach schreien. Aber: Ein Bürger, der bei Amazon rund um die Uhr alles bestellen kann und am nächsten Tag die Bestellung geliefert bekommt, der erwartet Ähnliches auch von einer modernen Verwaltung. Ob Leute sich in einer Stadt wohl fühlen, hängt insbesondere genau davon ab.
Was fordern Sie?
Bund und Länder müssen die Städte und Kommunen endlich stärker unterstützen. Das Thema muss in den Koalitionsverhandlungen ganz weit oben stehen.
Was genau muss in den Koalitionsvertrag?
Im Koalitionsvertrag muss stehen, dass die Digitalisierung nicht nur Bund und Länder, sondern auch die Städte und Gemeinden angeht. Für die digitale Transformation muss der Bund 500 Millionen Euro jährlich zusätzlich bereitstellen. Außerdem brauchen wir ein Kompetenzzentrum, das die Kommunen bei der Digitalisierung berät. Es wäre auch die Aufgabe eines solchen Zentrums, den Bürgern klar zu machen, dass die Chancen der Digitalisierung, wenn man sie vernünftig gestaltet, deutlich größer sind als die Risiken.
Während wir noch hadern, gehen Länder wie Estland und Österreich bei der Digitalisierung der Verwaltung mit großen Schritten weiter voran. Wie dramatisch werden die Folgen sein, wenn sich nicht bald etwas ändert?
Momentan geht es Deutschland gut: Der Arbeitsmarkt brummt, die Wirtschaft wächst. Aber das ist kein Scheck für die Zukunft. Den größten Teil der Kontakte mit den Behörden haben nicht die Bürger, sondern die Unternehmen. Wenn Deutschland wettbewerbsfähig bleiben will, müssen wir da aufholen.
Wie sehen Sie die Chancen, dass bei einer Jamaika-Koalition etwas in Bewegung kommt?
Ich bin davon überzeugt, dass die Digitalisierung im Regierungsprogramm eine bedeutende Rolle spielen wird. Unabhängig davon, wer wann mit wem regiert.
Kanzleramtschef Altmaier hat im Handelsblatt-Interview die Digitalisierung der Verwaltung bis 2021 versprochen. Ist das realistisch?
Wenn man sich keine ehrgeizigen Ziele setzt, kommt man nicht voran.
Herr Landsberg, vielen Dank für das Interview.
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