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Gesetzesänderungen Was im Corona-Krisenmodus noch verhältnismäßig ist

Das Corona-Hilfspaket kommt. Doch wie weit dürfen die Reformen reichen? Politiker und Rechtsexperten fühlen auch Unbehagen und warnen.
25.03.2020 Update: 25.03.2020 - 13:25 Uhr 1 Kommentar
Historische Sitzung des Bundestags zum umfassenden Hilfspaket für die deutsche Wirtschaft und die Bürger. Quelle: dpa
Bundestag

Historische Sitzung des Bundestags zum umfassenden Hilfspaket für die deutsche Wirtschaft und die Bürger.

(Foto: dpa)

Berlin Der Bundestag wird an diesem Mittwoch das Corona-Hilfspaket für Beschäftigte, Selbstständige und Unternehmen, für Mieter und Familien absegnen, das Aussetzen der im Grundgesetz vorgeschriebenen Schuldenbremse beschließen und die Befugnisse des Bundes beim Infektionsschutz verstärken. So die Gesetze am Freitag den Bundesrat passieren, erfährt die Republik umfassende Rechtsänderungen.

Doch gehen im Corona-Krisenmodus die Reformen am Ende zu weit? Sind die Maßnahmen noch verhältnismäßig? Und zieht der Bund am Ende zu viele Eingriffsrechte an sich?

„Wir achten bei all diesen Gesetzen darauf, dass Bürgerrechte gewahrt bleiben und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingehalten ist“, versichert der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner. Eine freiheitliche Gesellschaft könne trotz Grundrechtseingriffen eine solche schwere Krise meistern.

„Aus den Ländern bekomme ich Verständnis für die Durchgriffsrechte rückgemeldet“, sagte Fechner dem Handelsblatt. „Die sehen auch, dass wir die Bürger mit einem Flickenteppich von Regelungen verunsichern. Wir brauchen eine klare, bundeseinheitliche Linie, wie wir gegen das Coronavirus vorgehen.“

Der CSU-Rechtspolitiker Volker Ullrich mahnte, Eingriffe in Grundrechte bräuchten stets eine Rechtsgrundlage und müssten verhältnismäßig sein. „Wenn der Eingriff nicht mehr erforderlich ist, dann muss er auch zwingend enden“, sagte Ullrich. Diese Linien seien bei allen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu beachten. „Bei weiter gehenden Maßnahmen sind zwingend die Parlamente zu beteiligen“, fügte der Bundestagsabgeordnete hinzu. „Wenn diese Grundsätze bewahrt bleiben, dann kann auch eine freiheitliche Ordnung mit den Herausforderungen der Pandemie umgehen.“

Die Länder haben die Reformen mitgetragen, auch wenn durchaus kritische Töne zu vernehmen sind. „Die jetzt beschlossenen Maßnahmen sind aufgrund der drohenden Überlastung unseres Gesundheitswesens derzeit verhältnismäßig, wobei klar sein muss, dass derart einschneidende Eingriffe in die Grundrechte nur für kurze Zeit erfolgen können“, sagte der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP).

„Ich plädiere dafür, nach dem Ende der jetzigen Krise sorgfältig zu analysieren, was gut gelaufen ist und wo es Verbesserungsbedarf gibt – gerade auch in der Kompetenzverteilung von Kommunen, Ländern und Bund.“

Staatsrechtler sieht Machtzuwachs für den Bund kritisch

Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne) unterstreicht, es müsse sichergestellt werden, dass der Rechtsstaat weiter funktioniere und die Rechte geschützt würden. „Verfassungsrechtliche Bedenken müssen ernst genommen werden“, sagte Steffen dem Handelsblatt. „Deshalb ist es gut, dass das Gesetz zunächst auf ein Jahr befristet wird.“

Auch Rechtsexperten beobachten die Aktivitäten des Gesetzgebers kritisch, so auch der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart. „Problematisch sind die Bestrebungen, dem Bund zusätzliche Kompetenzen zu verleihen“, sagte Degenhart. Im bisherigen Verlauf der Coronakrise seien wesentliche Anstöße vonseiten der sachnäheren Länder gekommen. „Spezifischen Gefährdungslagen ist länderbezogen dezentral zu begegnen“, mahnt der Rechtsprofessor.

„Ebenso problematisch ist die Tendenz, die Gewichte zwischen Regierung und Parlament weiter zu verschieben“, warnt der Staatsrechtler. „Jetzt im Eilverfahren Gesetze durchzubringen, wenn erkennbar die geltende Gesetzeslage ausreicht, halte ich für bedenklich.“ Es müsse stets klar sein, dass dies hier eine Ausnahmesituation sei, die nicht dazu führen dürfe, „dass das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit auf Dauer sich zulasten der Freiheit verschiebt“. Die undifferenzierte Hinwendung zum starken Staat bereite ihm „ein wenig Unbehagen“, gibt Degenhart zu.

Die Ausgangs- und Kontaktverbote im Zeichen der Coronakrise würden „in intensiver, in diesem Ausmaß nicht gekannter Weise“ in die grundrechtliche Freiheit eingreifen. Darum müssten derartige Eingriffe verhältnismäßig sein. „Verhältnismäßigkeit bedeutet auch Geeignetheit“, erklärt Degenhart. Die Maßnahmen müssten geeignet sein, die Ausbreitung der Seuche zu verhindern oder zu verlangsamen.

„An der Grenze zur Verfassungswidrigkeit“

Hierfür und auch für „Risiken und Nebenwirkungen“ müssten die Behörden sich auf die Einschätzung der Virologen verlassen. „Angesichts der akuten Bedrohungslage sind die Maßnahmen noch verhältnismäßig, zumal sie ja auch die Bevölkerung gleichmäßig betreffen“, meint Degenhart.

Doch gerade weil die Wirkungen nicht sicher abschätzbar seien, müssten die Maßnahmen kontinuierlich überprüft werden. Sie müssten befristet erlassen werden und dürften nicht auf unbestimmte Zeit gelten. Degenhart warnt: „Ein kritischer Punkt wird allerdings erreicht sein, wenn Risiken und Nebenwirkungen überwiegen.“

Auch Ullrich Schellenberg, Mitglied im Präsidiums des Deutschen Anwaltvereins (DAV) sieht die erweiterten staatlichen Machtbefugnisse infolge der Coronakrise kritisch. „Gerade in einem so außergewöhnlichen Zustand wie jetzt, ist es wichtig, sich diese Grenzen immer wieder vor Augen zu halten und gerade wegen der großen Machtfülle der Exekutive die rechtlichen Grenzen genau im Blick zu behalten“, sagte Schellenberg dem Handelsblatt. „Auch der noch so gute Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel“, mahnte der frühere DAV-Präsident. „Am unveräußerlichen Kern unserer Grundrechte endet jede staatliche Macht.“

Der Speyrer Staatsrechtler Joachim Wieland hält indes tiefe Eingriffe in Grundrechte für gerechtfertigt. „In einer so großen Krise, wie wir sie im Moment erleben, brauchen wir einen starken Staat und müssen erhebliche Grundrechtseinschränkungen hinnehmen“, sagte Wieland dem Handelsblatt. „Die Gerichte wachen aber weiterhin darüber, dass die Verfassung nicht verletzt wird.“

Eine Gefahr für die Demokratie sehe er gegenwärtig nicht, sagte Wieland weiter. „Es wird aber nach Bewältigung der Krise darauf ankommen, dass nur in der Krise vertretbare Freiheitseinschränkungen unverzüglich wieder zurückgenommen und nicht zur Normalität werden“, mahnte der Jurist. „Darauf müssen alle Verantwortlichen strikt achten.“

Alarmiert zeigte sich der FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki. „Wir bewegen uns bei all den bisherigen Maßnahmen der Bundes- und der Landesregierungen an der Grenze zur Unverhältnismäßigkeit und damit Verfassungswidrigkeit“, sagte Kubicki dem Handelsblatt. Bund und Länder müssten deshalb „dringend einen zeitlichen Korridor benennen, wann diese Beschränkungen aufgehoben werden“.

Das „absolute Herunterfahren unserer bisherigen Ordnung, die Grundrechtseinschränkungen sowie das zwangsweise Schließen gesamter Branchen dürfen nur Maßnahmen von kurzer und überschaubarer Dauer sein“, betonte Kubicki. Es liege auf der Hand, dass dieser Zustand aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht monatelang aufrechterhalten werden könne. „Im Zweifel wird der Bundestag die Bundesregierung zur Rückkehr zu geordneten freiheitlich-demokratischen Verhältnissen zwingen müssen“, sagte der FDP-Politiker.

Mehr: Lesen Sie hier, warum Justizministerin Lambrecht Unternehmen notfalls auch komplett verstaatlichen will.

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1 Kommentar zu "Gesetzesänderungen: Was im Corona-Krisenmodus noch verhältnismäßig ist"

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  • Zu Beginn 2020 wiederholt sich ein Ereignis, welches es auch zu Beginn 2010 gab:

    Die Angst vor dem maximalen Verlust (Gesundheit und Tod) aus einer Mikrobetrachtung heraus entstanden - nämlich aus der biologischen Forschung, für die immer und zu Recht jeder Einzelschaden durch ein Virus oder Bakterium eine Bedrohung darstellen muss - führt zu einer enormen Verkettung von eher irrationalen Entscheidungen und Handlungen. Die Forschung hat ihre Aufgabe sicherlich richtig gemacht; die Interpretation aller Zahlen, Daten und Fakten zu den Risiken ist aber eventuell mißlungen.

    Warum soll man sich in einer Risikobeurteilung nicht ausschließlich auf Prognosen verlassen? Prognosen haben immer einen erheblichen Anteil an Unsicherheit in ihrer Aussage. Sie beruhen auf zahlreichen Annahmen, die in komplexen Sachverhalten gar nicht jedem verständlich sind. Die Extrapolation von singulären Ereignissen auf eine große Menge sollte nur unter homogenen Bedingungen erfolgen - unter heterogenen Konditionen ist die Hochrechnung nicht zuverlässig machbar. Die Prädisposition ist aber sehr unterschiedlich.

    In neuen unbekannten Situationen ist es das natürliche Prinzip, auf Erfahrungswerte zurückzugreifen. Das bedeutet nicht, daß man nur eine vergleichbare Situation als Erfahrungswert heranziehen darf. Ähnliche Erlebnisse lassen es zu, Modelle abzuleiten, die zu einer Bewertung des Unbekannten führen. Auf Erfahrungswerte wurde in der Interpretation nicht zurückgegriffen.

    Wenn schon aus Angst vor einer Bewertung der Situation zu nur allen denkbaren Maßnahmen gegriffen wird, dann sollte jetzt zumindest die Zeit der Pause genutzt werden, um jede weitere nächste Maßnahme besonnen abzuwägen.

    1. Benötigen die Märkte Liquidität oder ist die Situation nicht eher so, dass es bereits ein Zuviel an Liquidität gibt?
    2. Nachhaltige Hilfe für extreme Verwerfungen darf nur nach einer wirklich guten Vorbereitung erfolgen.

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