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Gesundheitsminister unter Druck Jens Spahn wird vom Hoffnungsträger zum Sündenbock

Zum Jahreswechsel lotete der CDU-Politiker noch seine Chancen für eine Kanzlerkandidatur aus. Doch nicht nur die Kritik an seinem Corona-Management nimmt zu.
05.03.2021 - 17:53 Uhr Kommentieren
Angela Merkel war noch nie ein Freund des heutigen Gesundheitsministers – sein Aufstieg gelang gegen ihren Willen. Quelle: AFP
Jens Spahn

Angela Merkel war noch nie ein Freund des heutigen Gesundheitsministers – sein Aufstieg gelang gegen ihren Willen.

(Foto: AFP)

Berlin Für Jens Spahn gilt die alte Weisheit: In der Politik ist ein Tag wie eine Ewigkeit. Auf den rasanten Aufstieg zum Hoffnungsträger der CDU scheint ein brutaler Abstieg zu folgen. Noch zum Jahreswechsel telefonierte er mit einflussreichen Parteifreunden.

Das damalige einfache Präsidiumsmitglied wollte seine Chancen für eine Kanzlerkandidatur ausloten. Das ist noch keine drei Monate her und wirkt wie aus der Zeit gefallen. Als diese Woche der Bundesgesundheitsminister gemeinsam mit seinem Kabinettskollegen Andreas Scheuer zum Koordinator für die Logistik der Corona-Selbsttests bestimmt wurde, glaubten nicht wenige an einen Witz der Satire-Sendung „Heute-Show“.

Die ganze Sache hat aber einen ernsten Kern. Es geht um Leben und Tod im Kampf gegen die Pandemie. Spahn versprach zunächst, dass jeder Deutsche im Sommer ein sogenanntes Impfangebot bekommen sollte. Die Kanzlerin kassierte das ein und verlängerte die Sommerzeit kalendarisch korrekt bis Ende September.

Bei den Selbsttests holte er sich eine richtige Abfuhr von Angela Merkel. Spahn kündigte vollmundig per Twitter an: „Ab 1. März sollen alle Bürger kostenlos von geschultem Personal mit Antigen-Schnelltests getestet werden können. Sie sind mittlerweile ausreichend am Markt verfügbar.“

Nachdem die Kanzlerin ihn in einer internen Sitzung in ihrer unnachahmlichen Art mit Detailfragen löcherte und er keine Antworten liefern konnte, räumte sie auch dieses Vorhaben ab. Merkels Gespür war mal wieder richtig. Spahn musste in der schon legendären Ministerpräsidentenkonferenz der vergangenen Woche kleinlaut einräumen, dass es nicht genügend Tests gibt.

Weniger kleinlaut gab sich Spahn vergangenen Donnerstag in der ersten Sitzung

der Tags zuvor gegründeten „Taskforce Testlogistik“. Die Gruppe, in der unter anderem die Chefs der großen Handelskonzerne sitzen, soll klären, wie man schnellstens Corona-Tests in Schulen, Kitas und Behörden bringen kann.

"Ich verstehe ehrlicherweise überhaupt nicht, warum ich mich als Bundesgesundheitsminister mit der Frage beschäftigen muss", polterte es aus Spahn nach Informationen der "Bild" heraus.

Die Testbeschaffung sei Ländersache: „Ich weiß nicht, warum wir denen immer die Dinge regeln sollen, weil die Länder es irgendwie nicht hinkriegen.“ Die Konzernchefs seien über das Auftreten des Ministers "überrascht" gewesen, berichteten Teilnehmer.

Vizekanzler Olaf Scholz kritisierte Spahn jüngst in einer Talk-Show, Spahn solle aufhören, so viel zu posen. Merkel und Scholz war noch in Erinnerung, dass ihr junger Kabinettskollege schon bei der Maskenbeschaffung danebenlag. Es soll Maskenhersteller geben, die bis heute auf ihr Geld warten.

Unklar ist auch die Rolle des Bundesgesundheitsministeriums im mutmaßlichen Korruptionsfall des CDU-Fraktionsvizes Georg Nüßlein, der mit dem Haus von Spahn Kontakt hatte und sich scheinbar auf den Minister persönlich berief.

Virtuoses Spiel mit der Öffentlichkeit 

Spahn gehört einer Politikergeneration an, die anscheinend das Spiel mit der Öffentlichkeit und den sozialen Medien virtuos beherrscht. Wenn es um substanzielle Politik geht, versagt er dann aber. Auffällig ist, dass der neue CDU-Chef Armin Laschet den Namen seines Tandem-Partners so gut wie nicht mehr erwähnt.

Vor einem Jahr war das noch anders. Laschet wollte von der damaligen Popularität Spahns für seine Kandidatur profitieren. Heute sieht er ihn offensichtlich als Senkblei für seine Ambitionen auf seine Kanzlerkandidatur an.

Zuständig für den Kampf gegen Corona in Deutschland sind die Kanzlerin, Ministerpräsidenten und Minister. Doch Spahn ist für die Deutschen das Gesicht des Impfdesasters – was in Teilen ungerecht ist.

Als er bei der Beschaffung des Impfstoffes eine Allianz mit Frankreich und anderen Mitgliedstaaten schmieden wollte, fuhren ihm seine Parteifreundinnen Ursula von der Leyen und Angela Merkel in die Parade. Sie nötigten dem ehrgeizigen Münsterländer einen devoten Brief an die EU-Kommission ab. Darin bat er, dass die Kommission die Koordinierung der Impfstoffbeschaffung übernimmt. Das Ergebnis ist bekannt. Europa und Deutschland verloren wegen Brüsseler Knausrigkeit und Bürokratie wichtige Monate, um die Vakzine zu bekommen.

Vermischung privater und politischer Angelegenheiten 

In der Politik ist es sehr selten, dass jemand über Missmanagement seine Ämter verliert. Die Kommissionspräsidentin von der Leyen ist das beste Beispiel dafür. Heikel wird es immer dann, wenn private Angelegenheiten sich mit Politischem und Dienstlichem mischen.

Da ist nicht nur die Affäre Nüßlein. Es gab bei Spahn ein Spendendinner in Leipzig am 20. Oktober, um, dem Vernehmen nach, potenzielle Geldgeber für den Wahlkreis zu gewinnen. Nach Medienberichten sollten die Spenden unter 10.000 Euro bleiben, damit sie nicht namentlich im Rechenschaftsbericht auftauchen.

Dass Spahn am selben Tag noch im Frühstücksfernsehen die Bürger dazu aufforderte, ihre Kontakte zu minimieren, löste im politischen Berlin Kopfschütteln aus. Wort und Tat passten nicht zusammen. Auf Unverständnis in Unionsreihen traf auch der Kauf einer millionenteuren Villa. Während viele Deutsche um ihre berufliche Existenz bangen, gönnte sich der Bundesgesundheitsminister eine Luxusimmobilie. Das ist eine Privatsache – kommt aber beim Wahlvolk schlecht an.

Der perfekte Sündenbock 

Die Deutschen wollen, dass ihre Spitzenpolitiker in der Doppelhaushälfte, allenfalls im Einfamilienhaus wohnen. Angela Merkel, Gerhard Schröder und Edmund Stoiber befolgen diese ungeschriebene Politikregel. Die zur Bescheidenheit neigende Kanzlerin lebt auf einer Etage in Berlin.

Kürzlich war Spahn noch der Umfragekönig. Jetzt gilt in der Bevölkerung offensichtlich die Börsenweisheit „Never catch a falling knife“. Aus dem christdemokratischen Corona-Helden ist in kürzester Zeit der ideale Sündenbock geworden. Die Umfragewerte der CDU bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sind gemessen an den eigenen Erwartungen verheerend.

Für Spahn könnte es in einer Woche eng werden, sollten aus den Umfragen historisch schlechte Wahlergebnisse werden. Merkel war noch nie ein Fan von Jens Spahn. Sein Aufstieg geschah gegen ihren Willen. Das brachte ihm lange Zeit Respekt und Bewunderung in den Unionsreihen ein. Jetzt schwankt die Stimmung zwischen Spott und Entsetzen. Vor allem Armin Laschet wird ein Interesse daran haben, nicht in den Abstiegsstrudel von Jens Spahn zu geraten. Er wird wissen, auf wen er am Wahlabend deuten muss.

Mehr: Pandemiemüdigkeit in der Koalition: Merkels Corona-Kurs gerät zunehmend unter Druck.

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