Gesundheitsökonom Rausgeschmissen von Jens Spahn – Gesundheitspapst Wasem muss abdanken
Berlin Er ist so etwas wie die graue Eminenz des deutschen Gesundheitswesens. Immer wenn es ernst wird zwischen Ärzten und Pharmaindustrie auf der einen Seite und den Krankenkassen auf der anderen, muss Jürgen Wasem die Sache regeln. Denn der 58-Jährige ist seit Jahren Chef der Schiedsstellen, die bei Konflikten um die Höhe der Arzthonorare und der Preise neuer Medikamente den Ausschlag geben.
Doch die machtvollste Position des Gesundheitsökonomen ist eine andere: Wasem hat seit 2009 als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Bundesversicherungsamts eine maßgebliche Rolle bei der Ausgestaltung und Weiterentwicklung des krankheitsorientierten Finanzausgleichs gespielt, über den jedes Jahr mehr als 230 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds an die gesetzlichen Kassen verteilt werden.
Wie groß Wasems Einfluss ist, wurde deutlich, als in der vergangenen Legislaturperiode der Reformbedarf an diesem Finanzausgleich unabweisbar wurde: Der damalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sah keine andere Möglichkeit, als eine Wissenschaftlergruppe um Wasem mit der Begutachtung zu beauftragen. Der Grund: Nur Wasems Institut hatte die erforderliche Expertise und technischen Möglichkeiten.
Dass den neuen Gesundheitsminister Jens Spahn diese Fülle an Macht und Einfluss bei einem einzelnen Wissenschaftler stört, war früh bekannt. Auch öffentlich zeigte sich der CDU-Politiker verärgert. Wasem und sein Wissenschaftlerkollege Eberhard Wille, langjähriger Chef des Rates der Gesundheitsweisen, kritisierten Spahn öffentlich, weil der Minister mit seinem ersten Gesetz die Krankenkassen mit hohen Rücklagen zu Zusatzbeitragssenkungen zwingen wollte. Wasem warnte sogar, dass Spahn viele Kassen dadurch in eine Todesspirale führe.
Harte Worte. Doch niemand hatte erwartet, dass der Minister es wagen würde, seine Kritiker abzusetzen. Genau das ist jetzt aber passiert. Wasem und Wille fehlen beide auf der Vorschlagsliste des Ministers für den neuen wissenschaftlichen Beirat. Auch Achim Wambach, der Vorsitzende der Monopolkommission, wird dem neuen Gremium nicht mehr angehören. Beide hatten mit Wasem entscheidenden Einfluss auf die inzwischen vorliegenden Gutachten zum Finanzausgleich.
Wasem lernte sein wissenschaftliches Handwerk an der Uni Köln bei Philipp Herder Dorneich – dem legendären Spezialisten für die so komplexe Vertragsökonomie im deutschen Gesundheitswesen. Politisch wurde er als Referent im Arbeitsministerium bei Norbert Blüm ausgebildet.
Am Donnerstag reagierte Wasem gekränkt auf Spahns Botschaft. „Ich hoffe, dass die durch die Nicht-Berufung von Herrn Wille und mir von Herrn Spahn zum Ausdruck gebrachte Geringschätzung gegenüber unserer intensiven Arbeit an den beiden Sondergutachten nicht in einer Geringschätzung der Inhalte dieser wertvollen Diskussionsgrundlagen ihre Fortsetzung findet“, sagte Wasem dem Handelsblatt.
Er ist sicher, dass Spahn sich mit seiner Entscheidung auch rächen wolle für die öffentliche Kritik an seiner Politik. „Wie man hört, ist dies auch eine Bestrafung für die mit Recht von Herrn Wille und mir geäußerte Kritik an der Idee von Spahn, vorschnell die Kassen zu zwingen, ihre Rücklagen durch Senkung der Zusatzbeiträge auszuschütten.“
Neue Vorsitzende des Beirats wird nun voraussichtlich die 52-jährige Medizinerin Saskia Drösler, Hochschule Niederrhein. Überhaupt sorgt Spahn mit seiner Vorschlagsliste für eine Verjüngung und Verweiblichung des finanziell wichtigsten Gremiums im Gesundheitswesen. Fünf der acht vorgeschlagenen Mitglieder sind Frauen. Bei den Betriebskrankenkassen, die besonders unter der derzeitigen Unwucht im Finanzausgleich leiden, sorgte die Personalie für Erleichterung.
Nun sei der Weg frei für eine echte Reform des Ausgleichs. „Die bisherigen Gutachten des Beirats haben die Probleme teils negiert oder nur beschrieben“, sagte der Chef des BKK-Landesverbands Nordwest, Dirk Janssen. „Von der Neubesetzung, insbesondere mit Frauen und jüngeren Wissenschaftlern, erhoffe ich mir, dass den Verwerfungen schneller und pragmatischer mit Lösungen begegnet wird, als dies bisher der Fall war.“
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