Gesundheitspolitik Bundesländer nehmen Spahns Krankenkassenreform auseinander

Das Krankenkassenreformpaket von Bundesgesundheitsminister Spahn droht nochmal aufgeschnürt zu werden.
Berlin Das große Opfer musste Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei seiner Krankenkassenreform schon Anfang Oktober bringen, zumindest schien es so. Damals verzichtete er angesichts des Widerstands aus den Ländern darauf, die bislang regional begrenzten Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) für alle gesetzlich Versicherten in ganz Deutschland zu öffnen. Sogar den Namen seines Vorhabens änderte Spahn: Statt des „Faire-Kassenwahl-Gesetzes“ beschloss das Kabinett schließlich das „Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz“.
Doch die Länder sind auch mit dem aktuellen Entwurf unzufrieden. Über den Bundesrat erheben sie weitreichende Forderungen, die Spahns Reformpläne für den Finanzausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung abschwächen würden. Am Freitag wird ein klares Votum der Länderkammer für die Korrekturwünsche erwartet.
Zwar ist Spahns Gesetz im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. Eine breite Länderfront dürfte Union und SPD im Bundestag aber unter Druck setzen – auch wenn das Interesse in den Koalitionsfraktionen bislang begrenzt ist, das Reformpaket noch einmal grundlegend aufzuschnüren.
„Nach meiner Meinung darf es an dem Gesetzentwurf keine nennenswerten Veränderungen mehr geben, wenn wir einen fairen Ausgleich zwischen den Krankenkassen herbeiführen wollen“, sagte der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Erwin Rüddel (CDU), dem Handelsblatt. „Die Änderungen, die von den Ländern angestrebt werden, würden die bestehenden problematischen Entwicklungen bei den Kassenfinanzen verstetigen.“
Die für Gesundheitspolitik zuständige Vizechefin der SPD-Fraktion, Bärbel Bas, spricht sich ebenfalls gegen größere Eingriffe aus. Im Vorfeld des parlamentarischen Verfahrens habe es etwa mit dem Verzicht auf die AOK-Öffnung schließlich schon Änderungen an Spahns Plänen gegeben, sagte sie dem Handelsblatt.
In einigen Punkten sieht Bas allerdings noch Handlungsbedarf. So dürfe man bei den geplanten Maßnahmen gegen Manipulationen im Finanzausgleich „das Kind nicht mit dem Bade ausschütten“, indem Versorgungsverträge zwischen Krankenkassen und Ärzten unmöglich gemacht würden.
Spahn will verhindern, dass Patienten auf Papier kränker aussehen
Gerade beim Manipulationsthema birgt eine Abkehr von Spahns Vorschlägen jedoch die Gefahr, dass die Verzerrungen im Kassenwettbewerb nicht wirksam angegangen werden. Der Minister will künftig verhindern, dass Krankenkassen ihre Versicherten auf dem Papier kränker aussehen lassen, um so mehr Mittel aus dem Finanzausgleich abzugreifen.
In der Vergangenheit verlief das ungefähr so: Krankenkassen ermunterten Ärzte mit vertraglich festgehaltenen Vergütungsanreizen dazu, bei Patienten bestimmte Diagnosen zu dokumentieren, die ihnen Zuweisungen aus dem Finanztopf der gesetzlichen Krankenversicherung bescherten. Spahns Gesetz sieht vor, die Verknüpfung von Diagnose und Vergütung verbieten.
Besonders aktiv auf dem Gebiet der Versorgungsverträge sind die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), die wiederum durch ihre starke regionale Stellung in vielen Bundesländern gute Beziehungen zu den dortigen Landesregierungen pflegen. In den Beschlussempfehlungen des Bundesrats für die Abstimmung am Freitag steht dann auch, es sei „systematisch richtig“, den Vergütungsanspruch der Ärzte von den dokumentierten Diagnosen abhängig zu machen.
Ein weiterer Aspekt, bei dem sich die Länder gegen den Spahn-Entwurf stemmen, sind Regelungen für eine einheitliche Aufsicht. Die bundesweit tätigen Kassen beschweren sich, dass die regionalen Ortskrankenkassen von den bislang zuständigen Behörden in den Ländern zu wohlwollend geprüft werden und einen Wettbewerbsvorteil haben.
Ursprünglich hatte Spahn geplant, das AOK-Lager mit der bundesweiten Öffnung regionaler Kassen unter die Aufsicht des Bundesversicherungsamts (BVA) zu holen. Das scheiterte an der Blockade aller 16 Bundesländer. Vor allem Bayern, das über die CSU am Berliner Kabinettstisch vertreten ist, verfügte über einen wirksamen Hebel.
Länder machen mit Änderungsanträgen mobil
Spahns aktueller Gesetzentwurf sieht immerhin Regeln für eine bessere Zusammenarbeit von Landesaufsichten und dem BVA vor. Doch auch gegen diese Maßnahmen machen die Länder nun mit Änderungsanträgen mobil. Das sei sicher auch Folge des „Lobbying der AOK“, sagt ein Vertreter der Großen Koalition, der die Gesundheitspolitik genau beobachtet.
Mehrere Betriebs-, Ersatz- und Innungskrankenkassen, die unter dem Namen RSA Allianz eine Reform des Finanzausgleichs fordern, warben in einem gemeinsamen Brief an die Ministerpräsidenten für Spahns Pläne. Diese seien „ein ausgewogener und mutiger Schritt für die Zukunft eines funktionierenden Gesundheitswesens, in dem Manipulationen und Tricksereien sich nicht mehr lohnen dürfen“, heißt es in dem Schreiben, das dem Handelsblatt vorliegt. Die im Bundesrat geforderten Änderungen würden „die Wirkung vieler notwendiger Maßnahmen aushebeln“.
Bei der Finanzverteilung in der gesetzlichen Krankenversicherung drängt die Zeit. Der Mechanismus, der im Fachjargon der Gesundheitsbranche „morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich“ heißt, hat in den vergangenen Jahren ziemlich Schlagseite bekommen. Während einige Krankenkassen mehr Geld als zur Ausgabendeckung nötig zugewiesen bekamen und so große Rücklagen aufbauen konnten, besteht bei anderen Kassen eine chronische Finanzierungslücke.
Das AOK-Lager wies 2018 eine Überdeckung von gut 1,5 Milliarden Euro auf, alle anderen Kassenarten waren im Minus. Die RSA Allianz beklagte in ihrem Schreiben an die Ministerpräsidenten, „dass einige Kassen ungerechtfertigt Vermögen aufbauen konnten, während andere gezwungen waren, höhere Zusatzbeiträge zu erheben und Leistungen einzuschränken“.
Mehr: Was die gesetzlichen Krankenkassen zu zahlen haben, regelt der Gesetzgeber. Doch für die Qualität einer Kasse sind die Leistungen außerhalb des Tarifs entscheidend.
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