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Gesundheitspolitik Neues Termingesetz: Zusatzhonorare für Ärzte von mehr als einer Milliarde Euro

Das Gesetz von Gesundheitsminister Spahn für eine schnellere Vergabe von Arztterminen wird teurer als geplant. Ein Grund: zusätzliche Vergütungen der Mediziner.
06.03.2019 Update: 06.03.2019 - 17:45 Uhr 2 Kommentare
„Zuckerbrot und Peitsche“, so beschrieb der CDU-Politiker seinen Ansatz. Quelle: AP
Jens Spahn

„Zuckerbrot und Peitsche“, so beschrieb der CDU-Politiker seinen Ansatz.

(Foto: AP)

Berlin Union und SPD haben Kassenpatienten in ihrem Koalitionsvertrag das Versprechen gegeben, die Wartezeit auf einen Arzttermin zu verringern. Bei der Umsetzung wählte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine Mischung aus neuen Pflichten und finanziellen Anreizen für die Mediziner. „Zuckerbrot und Peitsche“, so beschrieb der CDU-Politiker seinen Ansatz.

Für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) wird der Zuckerbrot-Teil allerdings sehr teuer. Als Spahn im Juli 2018 den ersten Entwurf seines Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) vorlegte, bezifferte er die Mehrausgaben noch auf 500 bis 600 Millionen Euro. Nun schätzt der GKV-Spitzenverband, dass die zusätzlichen Honorare für niedergelassene Haus- und Fachärzte mindestens doppelt so hoch ausfallen werden.

„Das Gesetz spült mindestens 1,2 Milliarden Euro zusätzlich in die Geldbeutel der Ärzte“, sagte der stellvertretende GKV-Vorsitzende Johann-Magnus von Stackelberg dem Handelsblatt.

Für die Patienten gebe es dagegen kaum einen Zusatznutzen. „Es wird beispielsweise versäumt, klare Anreize für mehr Sprechstunden am Abend und am Wochenende zu setzen“, kritisiert von Stackelberg.

Die gute Konjunktur und der boomende Arbeitsmarkt bescheren Spahn einen Verteilungsspielraum, von dem viele seiner Vorgänger nur träumen konnten. Der seit einem Jahr amtierende Gesundheitsminister hat eine Reihe kostspieliger Gesetzesprojekte auf den Weg gebracht.

Neben dem TSVG erfordern vor allem die geplanten Verbesserungen in der Pflege deutliche Mehrausgaben. Auch den Apothekern stellte der Minister zusätzliche Vergütungen im dreistelligen Millionenbereich in Aussicht, wenn diese ihre Forderung nach einem Verbot des Onlinehandels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten über Bord werfen.

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Der Bundestag wird voraussichtlich in der kommenden Woche über Spahns Termingesetz abstimmen. Die neue Kostenschätzung der GKV beruht auf einem Änderungsantrag, den das Gesundheitsministerium kurz vor Schluss in das parlamentarische Verfahren eingespeist hat. Eine eigene Berechnung der Bundesregierung liegt nicht vor.

Spahns Haus spricht in einer Mitteilung an das Finanzministerium lediglich von „möglichen nicht quantifizierbaren Mehrausgaben“ für die gesetzliche Krankenversicherung. Dem stünden auch mögliche Einsparungen für die Kassen gegenüber, die sich aus einer besseren Versorgung ergeben könnten.

„Wenn Ärzte mehr leisten, müssen wir sie auch besser bezahlen. Deswegen sind Honorarsteigerungen gerechtfertigt“, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Die Kalkulation der Krankenkassen sei „reine Spekulation“. Denn dafür müssten sie wissen, wie genau Patienten und Ärzte auf diese Reform reagieren.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach wies die Schätzung als „definitiv falsch“ zurück. Eigene Berechnungen hätten gezeigt, dass die jüngsten Änderungen bei der Vergütung nur 95 Millionen Euro auf die ursprünglich veranschlagte Summe von 500 bis 600 Millionen Euro draufschlagen würden. „Der Ansatz, dass Ärzte Kassenpatienten schneller behandeln, ist richtig“, sagte Lauterbach dem Handelsblatt. „Dafür braucht man starke Anreize. Sonst wird es nie so sein, dass gesetzlich Versicherte mit Privatpatienten konkurrieren können.“

Für Ärzte sinkt der Anreiz, neue Patienten aus der GKV aufzunehmen

Niedergelassene Ärzte bekommen eigentlich ein bestimmtes Budget für die Behandlung von Kassenpatienten zugewiesen. Überschreiten sie diese Summe, werden nicht alle erbrachten Leistungen voll von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt. Mit dem Budgetdeckel soll die Wirtschaftlichkeit im Gesundheitssystem gewahrt werden. Allerdings sinkt für Ärzte auch der Anreiz, neue Patienten aus der GKV aufzunehmen.

Bei Neupatienten und Patienten, die nach zwei Jahren erstmals wieder behandelt werden, sollen die Leistungen jetzt komplett außerhalb der Budgets vergütet werden. Ursprünglich hatte Spahn geplant, nur einen Zuschlag zu zahlen. Auch bei den offenen Sprechstunden ohne vorherige Terminvereinbarung, die bestimmte Facharztgruppen wie Augenärzte oder Gynäkologen anbieten müssen, soll statt eines Zuschlags der Budgetdeckel gleich ganz wegfallen.

Für die Behandlung von gesetzlich Versicherten, die von den Terminservicestellen vermittelt werden, sollen die Ärzte neben der extrabudgetären Vergütung sogar weitere Zuschläge erhalten. Diese orientieren sich daran, wie lange die Wartezeit für den Patienten dauert.

Besonders gut verdeutlichen lässt sich die Honorarvermehrung im TSVG am Beispiel eines Zuschlags, den Hausärzte für eine Weitervermittlung von Patienten an einen Facharzt bekommen sollen. Im Ursprungsentwurf des Gesetzes hatte Spahn für diese Leistung zwei Euro vorgesehen, in einer späteren Fassung waren fünf Euro geplant. Nun soll die Terminvermittlung durch den Hausarzt mit zehn Euro pro Fall vergütet werden.

Die Ärzteschaft hatte in den vergangenen Monaten Druck auf Spahn gemacht. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) wetterte, dass der Gesetzentwurf „von seinem Ansatz her die Würde unseres ganzen Berufsstandes“ beleidige. Das TSVG verorte die Probleme bei der Terminvergabe „vordergründig in einer mangelnden Einsatzbereitschaft der Ärzte“.

Die Regelungen zu den offenen Sprechstunden und der Anhebung der Mindestsprechstundenzeiten von 20 auf 25 Stunden pro Woche empfanden die Mediziner als unbotmäßigen Eingriff in ihre Praxisorganisation. Zugleich machte die KBV deutlich: Für zusätzliche Leistungen müsse es auch mehr Geld geben.

Der Kassenärzteverband wollte die Kostenschätzung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht kommentieren. „An Spekulationen beteiligen wir uns nicht“, hieß es.

Mit der Entscheidung, die Behandlung von Neupatienten komplett außerhalb der Budgets zu vergüten, kommt Spahn der Ärzteschaft allerdings sehr entgegen. Auch den höheren Zuschlag für Hausärzte bei der Terminvermittlung nehmen die Berufsverbände zufrieden auf. „Die ursprüngliche Vergütung in Höhe von zwei oder fünf Euro dafür war in keiner Weise angemessen und eine Geringschätzung der hausärztlichen Tätigkeit“, sagte der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt. Die Erhöhung auf zehn Euro „zeigt in die richtige Richtung“.

GKV-Spitzenverband warnt vor höheren Beiträgen für Versicherte und Arbeitgeber

Die Krankenkassen befürchten dagegen Fehlanreize und Mitnahmeeffekte. „Durch die Entbudgetierung bekommen die Ärzte einen Anreiz, ungesteuert neue Termine zu vergeben“, kritisiert der Chef des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, im Interview mit dem Handelsblatt. „Es droht ein Überweisungstourismus.“

Der GKV-Spitzenverband warnt davor, dass die Ausgabensteigerungen des TSVG zu höheren Beiträgen für Versicherte und Arbeitgeber führen könnten.

Spahn, der als Abgeordneter einst dem Wirtschaftsflügel der Union nahestand, muss als Gesundheitsminister sozialdemokratisch geprägte Projekte aus dem Koalitionsvertrag umsetzen. Karl Lauterbach weist in Gesprächen gerne darauf hin, dass die Verbesserungen für Kassenpatienten bei der Terminvergabe erste Schritte in Richtung der von der SPD favorisierten Bürgerversicherung seien.

In der Unionsfraktion wird hinter vorgehaltener Hand beklagt, dass sich Spahn zu wenig Gedanken über die Finanzwirkungen seiner Gesetze mache. Gesundheitspolitiker von CDU und CSU sind mit der neuen Lösung für die zusätzlichen Arzthonorare unglücklich, auch wenn sie das nicht offen sagen wollen.

Der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger, macht seinem Ärger über die Ausgabenfreude in Spahns Ministerium Luft. „Mehrkosten im Gesundheitsbereich sollten nicht dazu führen, dass Krankenkassenbeiträge für Bürger und Unternehmen weiter steigen“, sagte Steiger. „Derzeit verfügen die gesetzlichen Krankenkassen noch über hohe Reserven. Überschüsse sollten den Bürgern und Unternehmen in Form von Entlastungen direkt zurückgegeben werden, anstatt dauerhafte neue Ansprüche zu schaffen.“

Die Kosten von Spahns Termingesetz standen schon vor den jüngsten Änderungen in der Kritik. Vergangenen Monat hatte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) dem Gesundheitsminister vorgeworfen, das Krankenkassengeld zu leichtfertig auszugeben. Das TSVG sei „ein weiterer Schritt der Verteuerungspolitik aus dem Gesundheitsressort“, monierte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter.

TSVG rechnet mit gut 3,3 Milliarden Euro Mehrkosten im Jahr

Durch das bislang umfangreichste Gesetz des Gesundheitsministers entstehen für die Krankenkassen neben dem Honorarplus für die Ärzte weitere Mehrausgaben. Rund 700 Millionen Euro jährlich dürfte etwa die im TSVG umgesetzte Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag kosten, dass Kassenpatienten bei zahnärztlichen Leistungen weniger zuzahlen müssen.

Dazu kommen laut GKV-Spitzenverband noch einmal mindestens 1,2 Milliarden Euro pro Jahr für eine bessere Bezahlung von Beschäftigten in Gesundheitsfachberufen wie der Physiotherapie. Insgesamt betrage das Preisschild des TSVG für die Kassen gut 3,3 Milliarden Euro jährlich.

AOK-Chef Litsch sieht in den kommenden Jahren große finanzielle Belastungen auf die gesetzliche Krankenversicherung zukommen. „Wir kalkulieren, dass durch die bisherigen Gesetze von Spahn für die Krankenkassen bis 2022 Mehrausgaben von über 23 Milliarden Euro entstehen werden“, sagte er. „Das entspricht ungefähr den Rücklagen, die es momentan bei den gesetzlichen Krankenkassen gibt.“ Die vom Gesundheitsminister ebenfalls gewünschten Beitragssenkungen bei Krankenkassen seien vor diesem Hintergrund nicht leistbar. „Auch wir können jeden Euro nur einmal ausgeben.“

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2 Kommentare zu "Gesundheitspolitik: Neues Termingesetz: Zusatzhonorare für Ärzte von mehr als einer Milliarde Euro"

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  • In der Schule hätte man gesagt: "Spahn - Thema verfehlt - Note ungenügend", "Der Spahn kann eben nichts!"
    Spahns System bringt nichts außer höhere Kosten und mehr Bürokratie....
    Das ist also unser neues Zeitalter unter AKK-Spahn: Höhere Kosten, mehr Bürokratie... also alles wie gewohnt.
    Wie war noch die gemeinsame Nikolausfeier AKK-Spahn? So im Nachhinein - war es sinnvoll AKK auf Ihrer Nikolausfeier direkt vor der CDU-Vorsitzenden Wahl sprechen zu lassen, nur damit Sie Ihren Freund Ziomiak als Vize reinkriegen, Spahn? Spahn? Was hast Du getan?

    .... der Kommentar ist heute etwas sarkastisch - heute ist Aschermittwoch, da darf man das!

  • Lobby!
    Lobby!
    Lobby!

    Der Referent der Änderungen sollte umgehend vor die Anti-Korruptions-Kommision geschleift! werden! Wie? So was haben wir hier nicht? NEIN! DOCH! Oooooh…

    Wieso soll ich als GKV noch mehr für miese Behandlung zahlen? Denn die Folge werden steigende Beiträge sein.
    Nur damit sich noch mehr Ärzte beteslan und verpiechen. Denn natürlich ist so ein Bonus für die Branche ein Anreiz, mal "was für die Umwelt" zu tun.

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