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Gewerkschaft IG Metall macht Arbeitgebern ungewöhnliches „Angebot“

Die Gewerkschaft deutet zum Auftakt der Tarifrunde Mäßigung an, wenn die Arbeitgeber über Beschäftigungssicherung verhandeln. Auf eine Lohnforderung verzichtet sie zunächst.
24.01.2020 Update: 24.01.2020 - 15:15 Uhr Kommentieren
Die Gewerkschaft will statt Lohnforderungen mehr Jobabsicherungen durchsetzen. Quelle: dpa
Demonstration der IG Metall

Die Gewerkschaft will statt Lohnforderungen mehr Jobabsicherungen durchsetzen.

(Foto: dpa)

Berlin Tarifrunden in der Metall- und Elektroindustrie laufen stets nach einem bewährten Muster ab. Die IG Metall stellt eine hohe Forderung, die Arbeitgeber weisen sie empört zurück, dann robben beide Seiten aufeinander zu und nach mehr oder weniger heftigen Streiks gibt es einen Abschluss.

Die anstehendenden Verhandlungen für die Branche mit ihren rund vier Millionen Beschäftigten könnten etwas anders ablaufen. Das übliche Spiel „muss man nicht zwingend jede Runde fahren“, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann am Freitag bei der Jahrespressekonferenz in Frankfurt.

Stattdessen schlägt die größte deutsche Gewerkschaft den Arbeitgebern ein „Moratorium für einen fairen Wandel vor“. Lassen sich die im Strukturwandel steckenden Unternehmen auf Verhandlungen über Zukunftstarifverträge und Beschäftigungssicherung ein, dürfen sie auf maßvollere Tarifforderungen der Gewerkschaft hoffen als in den zurückliegenden Jahren.

Die IG Metall macht damit deutlich, dass es ihr in der anstehenden Runde vor allem um den Erhalt von Arbeitsplätzen geht, wie es sich bereits nach den ersten Verhandlungen der regionalen Tarifkommissionen abgezeichnet hatte. Vor allem die Autoindustrie und ihre Zulieferer stecken durch die Abkehr vom Verbrennungsmotor in einem grundlegenden Strukturwandel.

Allein in Baden-Württemberg planen nach Informationen der IG Metall 160 Betriebe Sparprogramme, Verlagerungen, Stellenabbau oder Schließungen. Laut Hofmann haben sich Autohersteller und Zulieferer in den zurückliegenden sechs Monaten von 30.000 Leiharbeitern getrennt.

Auch die Arbeitgeber hatten mehrfach betont, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts nicht zusätzlich gefährdet werden dürfe und deshalb eine maßvolle Tarifrunde angezeigt sei. Die Metall- und Elektroindustrie steckt seit einem Jahr in der Rezession, im abgelaufenen Jahr ist die Produktion um gut fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. Eine Bodenbildung ist nicht zu erkennen, die Aufträge sind 2019 um 5,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken.

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IG-Metall-Chef Hofmann schlägt den Arbeitgebern jetzt eine Art Stillhalteabkommen vor: Bis zum 3. Februar – dem Tag, an dem der IG-Metall-Vorstand über die Forderungsempfehlung berät – sollen sie erklären, ob sie in Verhandlungen über ein Zukunftspaket eintreten wollen. Die Unternehmen sollen sich bereiterklären, keine einseitigen Maßnahmen zum Personalabbau, zur Verlagerung von Produkten mit Zukunftsperspektive und zur Schließung von Standorten zu ergreifen.

Im Gegenzug erklärt die Gewerkschaft sich bereit, in allen Regionen sofort über Zukunftstarifverträge auf betrieblicher Ebene zu verhandeln. Dabei soll es um konkrete Investitions- und Produktperspektiven für den jeweiligen Standort und seine Beschäftigten, Vereinbarungen über Maßnahmen zur Personalentwicklung und Weiterbildung und den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen gehen.

„Manchmal braucht man Überraschungen im Leben“

Ziel ist außerdem die Vereinbarung tariflicher Instrumente zur Beschäftigungssicherung. Als Beispiel nannte der IG-Metall-Chef eine Regelung aus Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise, die derzeit aber nur noch in Baden-Württemberg gilt. Dort stocken die Arbeitgeber das staatliche Kurzarbeitergeld, das nur 60 bis 67 Prozent des Lohnausfalls ersetzt, so weit auf, dass die Sicherung des Nettoentgelts fast erreicht werde, wie Hofmann sagte.

Entsprechende Vereinbarungen sollen dann noch im Rahmen der Friedenspflicht erzielt werden, die Ende April ausläuft. Die Gewerkschaft kann also ihren Forderungen nicht mit Warnstreiks Nachdruck verleihen. Mit den Arbeitgebern ist der Vorstoß zuvor offenbar nicht abgesprochen worden. „Manchmal braucht man Überraschungen im Leben“, erklärte Hofmann. Sollten sich die Arbeitgeber auf das Moratorium einlassen, werde seine Gewerkschaft ohne klar bezifferte Forderung in die eigentlichen Tarifgespräche gehen, kündigte der IG-Metall-Chef an.

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Er machte allerdings deutlich, dass unter dem Strich am Ende mindestens der Inflationsausgleich stehen sollte. Auch müsse sich die Entgelterhöhung in den Tabellen widerspiegeln. Von den Arbeitgebern geforderte Einmalzahlungen erteilte der Gewerkschafter damit eine Absage.

Außerdem will die IG Metall über einen „Nachhaltigkeitsbonus“ verhandeln, den die Arbeitgeber zahlen sollen. Dieser kann dann zum Beispiel als Zuschuss für ein Jahresticket des öffentlichen Nahverkehrs genutzt werden.

Hofmann ist optimistisch, dass sein Vorschlag auf Resonanz bei der Gegenseite stößt: „Es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Arbeitgeberverbände sich darauf einlassen“, sagte er. Denn die Sozialpartner hätten die Dringlichkeit der Lage erkannt. Dies zeige sich etwa in dem gemeinsamen Positionspapier, das Gesamtmetall, IG Metall und der Verband der Automobilindustrie (VDA) beim jüngsten Autogipfel im Kanzleramt präsentiert hatten.

Vorstand berät Anfang Februar

Der Verband der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie (vbm) äußerte sich in einer ersten Reaktion positiv. Die IG Metall erkenne den Ernst der Lage an, sagte Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. „Gerade angesichts der Rezession und des Strukturwandels in der Metall- und Elektro-, insbesondere in der Automobilindustrie, und der Herausforderungen der Digitalisierung muss unser Standort zukunftsfähig sein. Dazu muss auch die Tarifpolitik ihren Beitrag leisten“, sagte Brossardt.

Auf den ersten Blick zahlten die Vorschläge der Gewerkschaft aber nicht auf eine positive Begleitung des Strukturwandels und der langfristigen Standortsicherung ein. Das würden die Metallarbeitgeber nun bundesweit bewerten.

Auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall begrüßte, „dass die IG Metall den Ernst der Lage anerkennt“. Die Metall- und Elektroindustrie befinde sich seit Anfang 2019 in einer Rezession und eine Trendwende sei nicht in Sicht. Gleichzeitig müsse die Branche den Strukturwandel erfolgreich gestalten. „Welche Voraussetzungen notwendig sind, den Strukturwandel anzugehen, und wie wir als Sozialpartner unseren Beitrag dazu leisten können, muss auch aus unserer Sicht im Mittelpunkt der Tarifrunde stehen“, bekräftigte der Verband.

Gewerkschafter Hofmann forderte auch den Staat auf, für entsprechende Rahmenbedingungen zu sorgen und die Regelungen für Kurzarbeit und Qualifizierung auszuweiten. Das von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geplante „Arbeit-von-morgen“-Gesetz müsse jetzt endlich auf den Weg gebracht werden, auch wenn es in einigen Punkten über den Koalitionsvertrag hinausgehe. Aber die Situation sei heute nun mal eine andere als zu der Zeit, als Union und SPD ihre Arbeitsgrundlage besiegelten.

Die Streikkasse ist gut gefüllt

Was passiert, wenn die Arbeitgeber sich auf das Moratorium nicht einlassen, wollte der IG-Metall-Chef nicht konkret ausführen. Das werde dann Anfang Februar im Vorstand beraten. Allerdings kann die Gewerkschaft, wenn es ihr mit der Beschäftigungssicherung ernst ist, ja schlecht eine hohe Prozentforderung stellen oder wochenlange Streiks anzetteln.

In der Lage wäre sie dazu allerdings durchaus. Die Beitragseinnahmen sind im vergangenen Jahr im zehnten Jahr in Folge gestiegen und beliefen sich auf 598 Millionen Euro, wie Hauptkassierer Jürgen Kerner erläuterte. 15 Prozent davon legt die Gewerkschaft für Satzungsleistungen an die Mitglieder, die betriebliche Altersversorgung ihrer Beschäftigten und für die Streikkasse zurück. „Keine politische Aktion, kein Streik wird an den Finanzen scheitern“, betonte Kerner.

Rund 115.000 neue Mitglieder konnte die IG Metall im vergangenen Jahr neu gewinnen. Die Mitgliederzahl ist damit ganz leicht von 2,24 auf 2,26 Millionen gestiegen. Davon stehen allerdings nur 1,58 Millionen im aktiven Arbeitsleben.

Die zweite Vorsitzende Christiane Benner hob hervor, dass es immer besser gelinge, die Vielfalt der Beschäftigten in den vertretenen Branchen auch in der Mitgliedschaft abzubilden. So seien gut 335.000 Angestellte und rund 132.000 Auszubildende, Studierende und dual Studierende Mitglied der IG Metall. Der Frauenanteil unter den IG-Metall-Mitgliedern liegt bei rund 18 Prozent.

Mehr: Die Gewerkschaft fürchtet Jobverluste in der kriselnden Branche und hält sich mit Forderungen noch zurück. Auf ein Reallohnplus will sie aber nicht verzichten.

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