Gigafactory Brandenburg „Peinlich“, „Alarmsignal“: Drohende Verzögerung für Tesla-Fabrik befeuert Debatte um Genehmigungsverfahren

Die erste europäische Fabrik in Grünheide, die auf 500.000 Fahrzeuge jährlich ausgelegt ist, ist eine wichtige Säule der Zukunftsstrategie von Tesla.
Berlin Die drohenden Verzögerungen beim Zeitplan des US-Konzerns Tesla für seine Elektroautofabrik in Grünheide bei Berlin befeuern die Debatte um Genehmigungsverfahren in Deutschland. „Die Verzögerungen bei der Ansiedlung des neuen Tesla-Werks in Brandenburg sind nicht nur peinlich für die Hauptstadtregion, sondern offenbaren erhebliche Defizite im deutschen Planungs- und Genehmigungsrecht“, sagte der Generalsekretär des Wirtschaftsrats der CDU, Wolfgang Steiger, dem Handelsblatt. „Wenn Deutschland führende Industrienation bleiben will, müssen dringend bürokratische und rechtliche Hürden abgebaut werden.“
Ähnlich äußerte sich der Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Theurer. „Dass selbst mit großer politischer Rückendeckung das Verfahren länger dauert als der Bau, wirft ein Schlaglicht auf das, was Mittelständler tagtäglich ohne eine solche Protegierung erleiden müssen“, sagte Theurer dem Handelsblatt. „Eine massive Planungs- und Prozessbeschleunigung sowie spürbarer Bürokratieabbau sind dringend nötig.“
In dem nun nicht mehr sicheren Zeitplan für die Gigafactory sieht Theurer ein „Alarmsignal“. „Denn die Ansiedlung des E-Auto-Bauers ist längst zu einem Vorzeige- und Prestigeprojekt geworden.“
Ursprünglich hatte Tesla geplant, in seiner neuen Gigafactory in Grünheide im Juli dieses Jahres mit der Produktion von E-Autos zu beginnen. Nun beabsichtigt der Autobauer aber, den Genehmigungsantrag für die Fabrik abzuändern, wie das brandenburgische Umweltministerium am Dienstag mitteilte. „In den geänderten Antrag wird auch die Errichtung und der Betrieb einer Anlage zur Batteriezellherstellung einbezogen“, hieß es.
Weil aus diesem Grund Antragsunterlagen für das Vorhaben nun wohl erneut ausgelegt werden müssen, drohen Verzögerungen. Dass sich der bisherige Produktionsstart nicht mehr halten lassen dürfte, deutet der Konzern auch selbst an.
Sollte die durchaus wahrscheinliche Neuauslage des Antrags zur Genehmigung des Vorhabens nötig sein, sei es „weiter unser Ziel (...), so schnell wie möglich in diesem Jahr mit der Produktion zu beginnen“, hieß es am Mittwoch in Unternehmenskreisen. In seinem aktuellen Geschäftsbericht für das erste Quartal 2021 sprach Tesla bereits erstmals davon, mit der Produktion und Auslieferungen Ende 2021 zu beginnen.
Autoexperte Dudenhöffer: Start der Gigafactory auch erst 2022 denkbar
Der Starttermin für die Gigafactory war wegen des schleppenden Genehmigungsverfahrens seit Längerem unsicher gewesen. Das Verfahren läuft seit Dezember 2019. Einen Monat zuvor hatte Tesla-Chef Elon Musk die Entscheidung verkündet, in Grünheide bei Berlin die erste europäische Gigafactory des Konzerns errichten zu wollen.
Tesla baut derzeit über vorläufige Genehmigungen nach Paragraf 8a des Bundesimmissionsschutzgesetzes. Das heißt: Das Unternehmen baut auf eigenes Risiko. Sollte die endgültige Baugenehmigung durch das Landesamt für Umwelt (LfU) nicht erteilt werden, muss der Konzern auf eigene Kosten das Gelände wieder in den Ursprungszustand versetzen.
Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) hatte für den Fall einer notwendigen neuen Auslegung der Antragsunterlagen der Fabrik eine Verzögerung von etwa drei Monaten für den Start für denkbar gehalten. Auch wenn der genaue Umfang der Änderungen der Genehmigungsbehörde noch nicht bekannt sei, gehe man davon aus, dass eine erneute Beteiligung der Öffentlichkeit erforderlich werde, erklärte das Umweltministerium.
„Es rollt dann das erste Auto vom Band, wenn die endgültige Genehmigung vorliegt und das Werk fertiggebaut ist“, betonte Steinbach am Dienstag. „Wann das Genehmigungsverfahren abgeschlossen sein wird, dazu kann hier und heute kein konkretes Datum benannt werden.“ Es gelte ganz klar der Grundsatz „Qualität vor Schnelligkeit“.
Ferdinand Dudenhöffer, Chef des Center Automotive Research (CAR), hält sogar eine noch deutlichere Startverzögerung für möglich. „Ich würde auch Mitte 2022 und später als Start nicht ausschließen“, sagte Dudenhöffer dem Handelsblatt.
„Erstens sieht es danach aus, als hätte Elon Musk die Genehmigungs- und Baugeschwindigkeiten in Deutschland falsch eingeschätzt.“ Zweitens hat nach seiner Einschätzung Tesla sein Wachstum im Vertrieb überschätzt.
Im ersten Quartal 2021 habe der Autobauer 185.000 Fahrzeuge verkauft. Auf das Jahr umgerechnet seien das etwas mehr als 750.000. „Tesla hat aber nach eigenen Angaben bestehende Kapazitäten von 1,05 Millionen Fahrzeugen“, so Dudenhöffer.
„Damit wären die bestehenden Kapazitäten bei Weitem nicht ausgelastet, und es macht Sinn, den Anlauf neuer Werke zu schieben, um die dünnen Renditen – sieht man vom Verkauf der CO2-Zertifikate ab – nicht zu belasten.“
Tesla profitiert von Investition in die Kryptowährung Bitcoin
Die erste europäische Fabrik in Grünheide, die auf 500.000 Fahrzeuge jährlich ausgelegt ist, ist eine wichtige Säule der Zukunftsstrategie von Tesla. Aktuell läuft es aber auch mit dem Stammwerk in Kalifornien und der Fabrik in China gut. Tesla schaffte nach früheren hohen Verlusten das siebte Vierteljahr mit schwarzen Zahlen in Folge.
Ein wichtiger Geldbringer war jedoch abermals der Handel mit Abgaszertifikaten, die andere Autobauer benötigen, um ihre Emissionsbilanz aufzubessern und so gesetzliche Vorgaben etwa in Kalifornien oder Europa zu erfüllen. Außerdem profitierte die Bilanz von einer Investition in die Kryptowährung Bitcoin, mit der das Unternehmen im Februar Schlagzeilen gemacht hatte.
In Deutschland sorgt indes das Genehmigungsprozedere um das Werk in Grünheide für Unmut – nicht nur in der Politik, sondern auch bei Tesla selbst. Im April hatte der Konzern offen kritisiert, dass 16 Monate nach dem Antrag die endgültige Genehmigung für den Bau der Fabrik noch ausstehe. Gleichzeitig schloss der Konzern eine Verzögerung des Produktionsstarts nicht aus.
Die Aufnahme des Betriebs wäre „ohne finale immissionsschutzrechtliche Genehmigung nicht möglich, auch wenn die grundsätzliche Zulässigkeit des Projekts (…) wiederholt bestätigt worden ist“, heißt es in der Stellungnahme.
Das Unternehmen beklagte zudem, einen langen „Trial and Error“-Prozess durchlaufen zu haben, um zu einer endgültigen Liste der zu erfüllenden Standards und Anforderungen sowie der einzureichenden Dokumentationen zu gelangen. Tesla kommt zu dem Schluss, dass eine solche Liste, die den erforderlichen Detaillierungsgrad der Dokumentation festlegt, von Anfang an als Standardpraxis zur Verfügung stehen sollte.
Die Arbeiten auf dem Werksgelände wurden wiederholt nach dem juristischen Vorgehen von Umweltverbänden unterbrochen. Unter anderem ging es dabei um die Umsiedlung von Tieren. Weil Tesla bei der Versickerung von Regenwasser umgeplant hat, fordern nun mehrere Initiativen, die Pläne abermals öffentlich zugänglich zu machen.
Umweltschützer drängen auf erneute Auslegung von Planungsunterlagen
Umweltverbände und Naturschützer hatten wiederholt kritisiert, dass Tesla seine Planungen mehrfach verändert habe, was die Transparenz des Projekts erschwere und eine zügige Abarbeitung verzögere. Wolfgang Steiger vom CDU-Wirtschaftsrat sagte dazu: „Unser Land muss sich die kritische Frage stellen lassen: Sind wir wirklich so satt geworden, dass wir selbst bei einer mit so viel Vorschusslorbeeren ausgestatteten Ansiedlung wie der von Tesla Sektierern erlauben können, sie zu verhindern?“
Umweltrechtler wie Thorsten Deppner weisen dagegen darauf hin, dass Naturschützer nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hätten, naturschutzrechtlich problematische Verfahren prüfen zu lassen. Umweltverbände seien nicht Ursache des Problems, sondern sie wiesen lediglich auf Notwendigkeiten und den rechtlichen Rahmen hin, sagte Deppner, Anwalt des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) und der Grünen Liga Brandenburg, bereits Ende des vergangenen Jahres.
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Aus Sicht der Umweltschützer ist eine dritte Auslegung der Unterlagen unvermeidlich, auch um mehr Transparenz in das Verfahren zu bringen. „Dem LfU als Genehmigungsbehörde liegen seit Längerem ausführliche Stellungnahmen zu den kritischen Fragen des Störfallrechts und des Niederschlagsversickerungskonzepts vor, aus denen sich aus fachlicher, aber auch aus rechtlicher Sicht die Notwendigkeit einer Neuauslage der wesentlich geänderten Planungsunterlagen ergibt“, sagten Christiane Schröder, Geschäftsführerin des Nabu Brandenburg, sowie Michael Ganschow, Geschäftsführer der Grünen Liga, dem Handelsblatt.
Mehr: Tesla in Grünheide: Länderbericht warnt vor Wohnungsmangel in der Region
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In Deutschland eine Fabrik bauen? Der Musk hat echt Vorstellungen. Eher baut der eine auf dem Mars.
Herzlich Willkommen in Deutschland, dem Land der Bürokratie und der Bedenkenträger!
Was in Brandenburg unter "Qualität vor Schnelligkeit" verstanden wird, konnten wir alle am neuen Hauptstadtflughafen bewundern. Elon Musk hätte es wissen können... Schade eigentlich.
Wir sollten endlich zugeben: schnell geht in Deutschland nicht! Ausserdem sind diverse Umweltverbände nicht wirklich an Elektromobilität interessiert- Hier geht es um Geld machen und Blockade, um noch mehr Geld zu machen!