Gigafactory Tesla in Grünheide: Länderbericht warnt vor Wohnungsmangel in der Region

Die abschließende umweltrechtliche Genehmigung für die Ansiedlung durch das Land Brandenburg steht bisher noch aus.
Berlin Seitdem Tesla sich das brandenburgische Grünheide als Standort für seine vierte Gigafactory ausgeguckt hat, rückt die Region zunehmend in den Fokus von Entwicklern und Investoren. Die Ansiedlung des US-Autobauers wird in den nächsten Jahren zu einer erheblichen Nachfrage nach Wohn- und Gewerberäumen führen. Die Länder Brandenburg und Berlin stehen damit vor großen Herausforderungen.
In einem 214 Seiten starken Bericht zur Entwicklung des Umfelds der Tesla-Gigafactory, der an diesem Dienstag in Potsdam vorgestellt wurde, werden die Chancen und Risiken des Vorhabens skizziert. „Wir reden von einem der größten Automobilstandorte in Deutschland“, sagte Brandenburgs Infrastrukturminister Guido Beermann (CDU).
Tesla in bebaut am Standort Grünheide 300 Hektar und könnte am Ende, so die Prognosen, 40.000 Mitarbeiter beschäftigen. Zum Vergleich: VW hat in Wolfsburg 600 Hektar mit 60.500 Beschäftigten, Audi in Ingolstadt 270 Hektar mit 44.500 Beschäftigten und Daimler in Sindelfingen 300 Hektar mit 35.000 Beschäftigten.
Der Länderbericht ist in Abstimmung mit 22 Kommunen, Kreisen und dem Berliner Bezirk Treptow-Köpenick von der Gemeinsamen Landesplanungsabteilung der Länder Berlin und Brandenburg erarbeitet worden. „Im näheren Umfeld des Tesla-Werks ist ein Mehrbedarf an Wohnraum zu erwarten, der mit den zur Verfügung stehenden Potenzialen nicht abgedeckt werden kann“, heißt es darin. „Es wird deutlich: Sicher müssen gerade in den Jahren 2021 und 2022 erste Wohnraumangebote schnell entwickelt werden.“
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Zwar werde dieses Problem „wahrscheinlich“ noch nicht für den ersten Bauabschnitt auftreten. Für den ersten Bauabschnitt werden rund 8000 Wohnungen benötigt, dann aber für den Endausbau 25.000. Diese Annahmen sprächen für einen „signifikanten Handlungsbedarf“.
Die Fabrik soll im Juli die Produktion aufnehmen, und pro Jahr sollen hier bis zu 500.000 Fahrzeuge vom Band laufen. Tesla-Chef Elon Musk will auf dem Gelände auch die weltgrößte Batteriefabrik errichten.
Tesla plant perspektivisch mit 40.000 Arbeitskräften
Die abschließende umweltrechtliche Genehmigung für die Ansiedlung durch das Land Brandenburg steht bisher noch aus. Der Bau der ersten Gigafactory in Europa ist dennoch weit fortgeschritten, denn Tesla baut in einzelnen Schritten über vorzeitige Zulassungen.
Der Bericht stützt sich mit Blick auf die Entwicklung des Wohnungsmarktes auf Teslas Pläne zum Umfang der Autoproduktion und den dafür angepeilten Arbeitskräftebedarf. Mit einbezogen worden sind zudem durch Tesla ausgelöste Wachstumseffekte, etwa die Ansiedlung weiterer Unternehmen. Auch die infolge der Ansiedlung gestiegene Wertschöpfung in der Region spielt eine Rolle, also das Wachstum bei Dienstleistern, Handwerkern, Einzelhändlern.
Das Unternehmen plant perspektivisch am Werksstandort in Grünheide mit 40.000 Arbeitskräften. Für die erste Ausbaustufe der Fabrik wird mit bis zu 12.000 Beschäftigten gerechnet. Zum bislang geplanten Produktionsstart im Sommer wird von etwa 6500 Arbeitskräften ausgegangen.
Vor diesem Hintergrund hat das Cima-Institut für Regionalwirtschaft für Berlin und Brandenburg die verschiedenen Auswirkungen auf die Region untersucht. Im Fokus standen dabei der Arbeitsmarkt, die möglichen Gehaltsstrukturen bei Tesla sowie die Zahl künftiger Zuzügler und deren Bedarf an Wohnraum.
Die wichtigsten Antworten zu Tesla Jobs und den Wohnungsmarkt im Überblick:
Wie hoch ist der erwartete Mehrbedarf an Wohnraum?
In einem Szenario mit bis zu 12.000 Mitarbeitern wird mit gut 11.000 zusätzlichen Haushalten in Berlin und Brandenburg gerechnet, wobei der Zuzug einen Schwerpunkt in den nächsten beiden Jahren haben wird. Zwar wird es eine Reihe von Mitarbeitern geben, die bereits in der Region ansässig sind und lediglich ihren Arbeitgeber wechseln. Dann allerdings werden andere Zuzügler frei gewordene Stellen bei den vorhandenen regionalen Unternehmen neu besetzen. Der sogenannte Erweiterungseffekt – etwa durch neue Jobs bei Zulieferern – wird weitere Zuzüge auslösen.
Wohin konzentriert sich die Nachfrage?
Rund 70 Prozent des erwarteten Zuzugs werden sich auf den Korridor von Berlin nach Frankfurt (Oder) erstrecken, wobei Berlin mit 40 Prozent der Zuzüge den mit Abstand größten Anteil auf sich zieht, heißt es in der Cima-Studie. Damit erhöhe die Tesla-Ansiedlung den Druck auf den bereits angespannten Berliner Wohnungsmarkt zusätzlich. Diese Entwicklung unterstreiche die Notwendigkeit politischer Steuerung. „Auch wenn die Tesla-Mitarbeiter aufgrund des zu erwartenden Einkommens noch über eine vergleichsweise günstige Ausgangslage verfügen, wird es ihnen nicht leichtfallen, geeigneten Wohnraum in der Bundeshauptstadt zu finden.“
Was bedeutet der Zuzug für Mietpreise und Wohnkosten?
Konkrete Steigerungen werden in der Studie nicht genannt. Mietpreise und Wohnkosten in Berlin und seinem erweiterten Speckgürtel stehen jedoch bereits heute unter enormem Druck. Dieser werde sich weiter verstärken, heißt es. Mit den vergleichsweise niedrigsten Preisen ist im östlichen Teil Brandenburgs zu rechnen. Die Nachfrage nach Zweitwohnsitzen wird sich dagegen auf das unmittelbare Umland konzentrieren; dort werden die Preise vermutlich höher sein.
Wie sieht es mit den Preisen für Wohneigentum aus?
In dem Länderbericht werden für das Berliner Umland Baulandpreise von 200 bis 300 Euro pro Quadratmeter genannt. Dies sei voraussichtlich für einen Großteil der Geringverdiener „nur schwer finanzierbar“. Anders sieht es demnach in Ost-Brandenburg aus, wo der Erwerb von Wohneigentum auch für diese Einkommensgruppe „eher realistisch“ sei.
Die in Grünheide ansässige Immobilienmaklerin Barbara Schrobback wies jüngst darauf hin, dass auf Immobilienportalen Grundstücke in Grünheide mit Quadratmeterpreisen von 360 bis 1000 Euro angeboten würden. Das sei aber nicht realistisch. „Nach den jüngsten Auswertungen des Immobilienverbands liegt der Quadratmeterpreis in der Gemeinde Grünheide etwa bei 190 Euro“, sagte Schrobback dem Sender RBB. „Wer ein normal großes Grundstück mit einem gut erhaltenen Haus kaufen will, muss mit rund 400.000 Euro kalkulieren.“
Gibt es ausreichend Flächen für neuen Wohnraum?
Gerade in den Jahren 2021 und 2022 müssen erste Wohnraumangebote schnell entwickelt werden, so die Erkenntnis in Berlin und Brandenburg. Hierfür sollten vor allem die Flächen aktiviert werden, bei denen bereits Baurechte bestünden oder kurzfristig geschaffen werden könnten.
Schon Anfang Februar hatte Landesminister Beermann im Gespräch mit dem Handelsblatt von Flächen in einer Größenordnung von 600 Hektar gesprochen, die kurz- und mittelfristig für den Wohnungsbau genutzt werden könnten. Nun listet der Länderbericht sämtliche für Wohnen und gewerbliche Nutzungen geeignete Bauflächen auf. Konkret geht es um etwa 3.300 Flächen für den Wohnungsbau und 286 für die gewerbliche Nutzung. Für die Schaffung von neuem Wohnraum sind demnach kurz- bis mittelfristig mehr als 900 Hektar Bauflächen aktivierbar. Das entspricht über 40.000 zusätzlichen Wohneinheiten. Langfristig können den Angaben zufolge noch weitere Flächen genutzt werden.
Wo liegen die Hürden?
Ein Problem besteht etwa darin, dass die Gemeinden die Schulentwicklungs- oder Kindertagesstätten-Planung, die sich durch Tesla-Zuzügler ergibt, finanziell nicht schultern können, „weil die gemeindlichen Haushalte die notwendigen Investitionen nicht ermöglichen“. Eine Erhebung bei den Kommunen habe ergeben, „dass gegenwärtig die meisten Kapazitäten an Kindertagesstätten ausgenutzt sind und Zuzüge entsprechende Erweiterungen voraussetzen würden“.
Da Kommunen aber gesetzlich dazu verpflichtet seien, Plätze an Kindertagesstätten anzubieten, bestehe „das Risiko vor allem in Kommunen mit angespannter Haushaltslage, dass notwendige Beschlüsse in den Gemeinderäten zur Schaffung von neuem Wohnraum nicht gefasst werden, da Planung, Bau und Betrieb notwendiger Versorgungskapazitäten nicht gewährleistet werden können“. Um das landesplanerische Konzept umzusetzen, seien daher Lösungen gefragt. „Andernfalls könnten viele der identifizierten Wohnraumpotenzialflächen ungenutzt bleiben und der für die Tesla-bedingten Zuzüge erforderliche Wohnraum würde nicht geschaffen werden.“
Woher kommen die Arbeitskräfte für Tesla?
Laut der Studie des Cima-Instituts rekrutiert sich das überregionale Arbeitskräftepotenzial aus drei verschiedenen Personengruppen. Zum einen sogenannte „langfristige Pendler“, die eine tägliche Pendelzeit von über 60 Minuten pro Wegstrecke in Kauf nehmen. Außerdem sogenannte „Wohnstandortwechsler“, die ihren Erstwohnsitz in das regionale Einzugsgebiet des Tesla-Werks verlagern und teils aus weit entfernten Regionen Deutschlands oder Europas kommen. Und schließlich Fernpendler mit Nebenwohnsitz, die einen Zweitwohnsitz im regionalen Einzugsgebiet unterhalten, um die tägliche Pendelzeit zu reduzieren, in der arbeitsfreien Zeit jedoch in ihre Heimat zurückkehren.
Welche Anforderungen stellt Tesla an seine Beschäftigten?
Da genaue Informationen für den Standort Grünheide nicht vorliegen, legen die Autoren der Studie die durchschnittlichen Strukturen im ostdeutschen Fahrzeugbau zugrunde. Danach werden rund 82 Prozent der Beschäftigten eine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Die Experten erwarten, dass aufgrund des Produktionsschwerpunkts des Werks der Akademikeranteil unter den Beschäftigten eher gering ausfallen wird. Fachspezifische Berufsabschlüsse sind demnach auch kein zwingendes Einstellungskriterium. Gleichwohl seien technische und handwerkliche Vorqualifikationen von „enormem Vorteil“, heißt es in dem Gutachten.
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— Elon Musk (@elonmusk) February 1, 2021
Wird es einen Zuwachs an Beschäftigten bei Zuliefern bei Tesla geben?
Die Studienautoren rechnen mit sogenannten indirekten Effekten durch die Tesla-Ansiedlung. „Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass bei einem Hersteller von Elektrofahrzeugen die gleichen Beschäftigungseffekte anzusetzen sind wie bei einem klassischen Fahrzeughersteller“, heißt es in dem Gutachten. Die Experten verweisen auf eine Studie zum Tesla-Werk in Fremont im Bundesstaat Kalifornien. Diese habe ergeben, dass auf einen Tesla-Beschäftigten 0,7 Beschäftigte bei Zulieferern kommen.
Profitieren auch andere Branchen?
Das ist möglich. Durch den privaten Konsum der Haushalte und deren erhöhtes Einkommen würden zusätzliche Effekte etwa im Einzelhandel oder im Bereich haushaltsnaher Dienstleistungen ausgelöst. Laut der Untersuchung zum Werk in Fremont kommen demnach auf einen Tesla-Beschäftigten 0,8 weitere Arbeitsplätze in anderen Branchen.
Wie sieht die Bezahlung bei Tesla aus?
Für Tesla wäre als Branchentarifvertrag der Vertrag der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg ausschlaggebend. Nach derzeitigem Stand will sich das Unternehmen zwar keinem Tarifvertrag unterwerfen, sich in der Entlohnung jedoch daran orientieren. In ihrer Studie gehen die Experten davon aus, dass Tesla, um sich insbesondere für Fachkräfte aus anderen Betrieben oder Branchen attraktiv zu machen, ein leicht überdurchschnittliches Gehalt anbieten werde.
Wie sieht die Einkommensstruktur bei Tesla aus?
Die Studienautoren gehen von einem hohen Bedarf an Fachkräften in der Produktion aus. Die Experten schätzen, dass ein Großteil der Beschäftigten in diesem Bereich ein Bruttomonatsgehalt zwischen 3000 und 4000 Euro erhalten dürfte. „Dies ist im Vergleich mit der ostdeutschen Automobilindustrie, aber insbesondere auch mit den anderen Branchen in Ostdeutschland, ein überdurchschnittliches Gehalt“, heißt es in der Studie.
Spitzengehälter von 5000 Euro und mehr sind bei Tesla aufgrund der „schlanken Führungsebene“ dagegen kaum zu erwarten. Die Forscher merken als Besonderheit an, dass selbst ohne Zuschläge und Sonderzahlungen Vollzeitbeschäftigte in Helfertätigkeiten ein Bruttomonatsgehalt von über 2000 Euro erhalten könnten.
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