Grünen-Fraktionschef im Interview Anton Hofreiter spürt „ganz neue Aufbruchstimmung“ bei Gesprächen mit Wirtschaft

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen hält einen Grenzausgleich beim CO2 für notwendig.
Berlin Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter kennt die Vorurteile, schon im Label „Ökopartei“ schwingen sie mit. Den Grünen, so heißt es teils heute noch, mangelt es an Wirtschaftskompetenz. Auch darum hat die Fraktion einen Kongress mit Spitzenmanagern organisiert, auf dem es an diesem Freitag um das Thema „Wohlstand von morgen“ geht.
Ökonomie und Ökologie in einer erneuerten sozialen Marktwirtschaft miteinander zu vereinen, das ist das Ziel. Unter anderem wird Parteichefin Annalena Baerbock mit Siemens-Chef Joe Kaeser über Wege zur sozial-ökologischen Marktwirtschaft diskutieren.
„Wir befinden uns in einem sehr intensiven Dialog mit der Wirtschaft“, sagt Hofreiter im Interview mit dem Handelsblatt. Viele Unternehmen müssten in den kommenden Jahren reinvestieren und ihre Anlagen erneuern. „Sie brauchen jetzt ein verlässliches politisches Signal, wohin die Reise geht.“ Den Grünen gehe es darum, dass jetzt auf Zukunftstechnologien gesetzt werde und Fehlinvestitionen vermieden würden.
Hofreiter spricht hier von drei Schwerpunkten grüner Politik: Forschung, finanziellen Hilfen, gekoppelt an einen klaren ordnungsrechtlichen Rahmen, aber auch Maßnahmen, die verhindern, dass die globalen Wettbewerbsbedingungen ungleich sind, etwa per Grenzausgleich. Dass das „Protektionismus im grünen Gewand“ sein könnte, weist er zurück. „Dass mancher das so deuten möchte, damit ist zu rechnen. Ich halte es aber für eine böswillige Interpretation.“
Der gebürtige Bayer ist Jahrgang 1970 und langjähriges Grünen-Mitglied. 2005 wurde der Biologe in den Bundestag gewählt. Seit den Bundestagswahlen 2013 steht er zusammen mit Katrin Göring-Eckardt an der Spitze der Grünen Bundestagsfraktion.
Das komplette Interview lesen Sie hier:
Herr Hofreiter, die Grünen haben in Hamburg ihren Stimmenanteil verdoppelt, aber ihr Ziel, stärkste Partei zu werden, nicht erreicht. In Wirtschaftsfragen treffen die Grünen auf alte Vorbehalte. Was tun?
Wir sind auf einem guten Weg. Wir erleben ein sehr hohes Interesse von Unternehmen und Gewerkschaften. Aber es ist klar: Vorbehalte ändern sich nur sehr langfristig. Wir haben noch viel Arbeit vor uns.
Sie sprechen sich für eine radikale Transformation der Wirtschaft aus, um die Klimaziele zu erreichen. Das scheint vielen Wählern unheimlich zu sein.
Unheimlich ist für viele Menschen eher die Vorstellung, dass die Klimakrise völlig aus dem Ruder läuft und wir der Entwicklung nur hinterherhinken. Wir wollen mit unserer Wirtschaftspolitik den Schritt in die Zukunft machen und die Industrie bei der ökologischen und sozialen Modernisierung unterstützen, damit sie auch in Zukunft stark und wettbewerbsfähig ist. Dazu braucht es Planungssicherheit. Was ich am häufigsten bei meinen Gesprächen mit Unternehmen als auch Gewerkschaftern höre, ist: Wir brauchen feste Rahmenbedingungen, dann sind wir bereit loszugehen. Es ist eine ganz neue Aufbruchstimmung zu spüren.
Was wird die Botschaft des Grünen Wirtschaftskongresses am Freitag sein?
Erstens, die sozial-ökologische Transformation ist machbar. Zweitens, die Politik muss das gemeinsam mit Gesellschaft, Gewerkschaften und Unternehmen anpacken. Drittens, die Grünen haben viele Ideen, wie wir die richtigen Anreize und stabile Rahmenbedingungen setzen können.
Was genau schwebt Ihnen vor?
Wenn wir klimafreundlichen Stahl wollen und dass die Stahlindustrie jetzt in neue Technologien investiert, dann müssen wir den Markt ankurbeln. Dazu schlagen wir eine Quote für klimafreundlich erzeugten Stahl vor, beispielsweise für die Produktion von PKWs. Diese Quoten können dann kontinuierlich ansteigen und die Umstellung von Branchen unterstützen. Investitionen in Nachhaltigkeit zahlen sich so noch schneller aus.
Das wird die Unternehmen, die im weltweiten Wettbewerb stehen, nicht gerade freuen.
Alle Branchen müssen sich mittelfristig auf eine CO2-arme und bis zur Mitte des Jahrhunderts auf eine CO2-freie Produktion einstellen. Wir haben als Weltgemeinschaft ein Klimaabkommen, dessen Notwendigkeit jedem einleuchten sollte. Natürlich wird das verschiedene Branchen ganz unterschiedlich fordern und können Verfahren, die aktuell noch ausschließlich auf fossilen Brennstoffen basieren, nicht von heute auf morgen umgestellt werden. Uns ist klar, dass die Umstellung mit erheblichen Investitionen verbunden ist. Da geht es um Milliardenbeträge.
Was tun Sie dagegen?
Damit sich eine Umstellung für die Unternehmen schon heute lohnt, können wir uns in einer Übergangsphase politische Instrumente vorstellen, mit denen die Differenz zwischen dem aktuellen CO2-Preis und den tatsächlichen CO2-Vermeidungskosten erstattet wird, die ihnen durch die Investitionen in neue Verfahren und Technologien entstehen.
Was halten Sie von einem Grenzausgleich - de facto ein Zoll auf klimaschädlich erzeugte Produkte?
Der wird nötig sein um einen fairen Ausgleich für CO2-intensive Produkte, die aus Regionen ohne vergleichbare Klimaschutzstandards kommen, beim Import nach Europa zu schaffen. Das muss aber auf europäischer Ebene geschehen. Wir erwarten dazu Vorschläge der Europäischen Kommission.
Ist das nicht Protektionismus im grünen Gewand?
Dass mancher das so deuten möchte, damit ist zu rechnen. Ich halte es aber für eine böswillige Interpretation. Es geht um fairen Handel, darum Umwelt-Dumping zu verhindern. Schließlich haben fast alle Länder zugesagt, dass Pariser Klimaabkommen einzuhalten und somit ihren Stahl mittelfristig klimafreundlich herzustellen.
Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Glauben Sie, die deutsche Industrie folgt Ihren Vorschlägen?
Viele Unternehmen müssen in den kommenden Jahren reinvestieren und ihre Anlagen erneuern. Sie brauchen jetzt ein verlässliches politisches Signal, wohin die Reise geht. Sollen sie ihr Geld in klassische Hochöfen stecken oder lieber in CO2-freie und zukunftsfähige Produktionsprozesse, auch wenn das aktuell noch teurer ist? Das ist eine Entscheidung für die lange Perspektive, für die der Markt mit seinen kurzfristigen Signalen keine klare Orientierung bietet. Uns geht es darum, dass jetzt auf Zukunftstechnologien gesetzt wird und Fehlinvestitionen vermieden werden. Deshalb wollen wir ihnen helfen.
Geld soll es also richten?
Ich sehe drei Schwerpunkte: Forschung, finanzielle Hilfen, gekoppelt an einen klaren ordnungsrechtlichen Rahmen, aber auch Maßnahmen, die verhindern, dass die globalen Wettbewerbsbedingungen ungleich sind.
Ist das die neue Partnerschaft der Grünen zur Wirtschaft? Keine Verbote, kein Gängeln, stattdessen finanzielle Anreize?
Es ist eine Mischung aus Anreizen, aber auch klarem Ordnungsrecht. Bei der Automobilindustrie sind wir weiterhin der Meinung, dass ein Rahmen, der alle Hersteller bei Neuzulassungen auf emissionsfreie Antriebe ab 2030 verpflichtet, richtig ist. Die Technologie und Kapital sind dort vorhanden. Aber es stimmt, wir befinden uns in einem sehr intensiven Dialog mit der Wirtschaft.
Haben Sie das mal durchgerechnet? Wie teuer werden ihre Pläne?
Die Kosten wollen wir über einen Klimabeitrag refinanzieren, der auf die entsprechenden Produkte aufgeschlagen wird. Ein Auto, das mit CO2-armen Stahl hergestellt werden würde, läge mit etwa 100 Euro über den heutigen Herstellungskosten. Wahrscheinlich sogar weniger. Das ist verglichen mit den Verkaufspreisen von Neuwagen überschaubar, finde ich.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.