Handelsblatt Energie-Gipfel Scharfe Kritik am Fahrplan für den Kohleausstieg
„Das ist eine freundliche Warnung“
Berlin Das Klimagewissen ist 15 Jahre alt und malt die drohende Entwicklung in düsteren Farben: „Wir sind am Anfang von einem Aussterben, das diese ganze Erde betrifft“, sagt die Fridays-for-Future-Aktivistin Franziska Wessel beim Handelsblatt-Energiegipfel. Und obwohl auch in Deutschland seit einem Jahr Schüler auf die Straße gingen, tue die Politik zu wenig, mahnt die 15-Jährige.
„Das vergangene Jahr begann am 25. Januar mit einem komplett unzureichenden Kohlekompromiss und endet mit einem Australien, das brennt, und einem Anstieg des globalen CO2-Ausstoßes“, kritisiert Wessel.
Und beim Weltwirtschaftsforum in Davos berieten gerade 3.000 Brandstifter, wie die Feuer möglichst gewinnbringend gelöscht werden könnten. Politik und Wirtschaft müssten endlich Verantwortung übernehmen, um den Planeten zu retten: „Vor dieser Verantwortung könnt ihr euch nicht verstecken, also werdet ihr gerecht.“
Deutschland handelt, hat den Kohleausstieg beschlossen, 2038 soll der letzte Meiler vom Netz gehen. So hat es die Kohlekommission empfohlen, die vor einem Jahr ihren Bericht vorgelegt hatte. Mittlerweile steht auch ein konkreter Fahrplan. Bund, Länder und Versorger hatten sich vergangene Woche auf Details verständigt. So sollen etwa die Braunkohleversorger für den Ausstieg im Westen Entschädigungen von 2,6 Milliarden und im Osten von 1,75 Milliarden Euro bekommen. Festgelegt wurde zudem, wann genau welches Kraftwerk abgeschaltet werden soll. Das Gesetzgebungsverfahren dazu soll im ersten Halbjahr 2020 abgeschlossen werden.
Doch nicht nur die Fridays-for-Future-Aktivisten halten den Fahrplan für bei Weitem nicht ausreichend. Wenn die Regierung eine Kommission einberufe, dann wäre wünschenswert, wenn sie sich auch an deren Empfehlungen orientiere, sagte die Co-Vorsitzende der Kohlekommission, die Wissenschaftlerin Barbara Praetorius. Doch der Ausstiegspfad bis 2038 sei nicht stetig und nicht geeignet, die deutschen Klimaziele zu erreichen.
In den 2020er-Jahren würden nur besonders alte Kraftwerke vom Netz genommen und das ließen sich die Betreiber auch noch teuer vergüten, kritisierte die Professorin für Nachhaltigkeit, Umwelt- und Energieökonomie und -politik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Die Bundesregierung verpasse so die Chance, einen gesellschaftlichen Konflikt zu befrieden.
Acht der 28 Kommissionsmitglieder veröffentlichten eine Stellungnahme, in der sie den Bundestag aufrufen, zum vereinbarten Pfad zurückzukehren. Sie kritisieren unter anderem, dass die Bund-Länder-Einigung allein durch die Braunkohlekraftwerke, die länger laufen, bis 2030 zu einem zusätzlichen Ausstoß von etwa 40 Millionen Tonnen CO2 komme.
RWE verspricht Klimaneutralität
RWE-Chef Rolf Martin Schmitz verteidigte in der Diskussion mit Praetorius und IG-Metall-Vorstandsmitglied Wolfgang Lemb den in der vergangenen Woche vereinbarten Ausstiegsfahrplan. Daran solle man sich halten, weil auch die soziale Komponente berücksichtigt werden müsse. Wenn RWE 300 Megawatt vom Netz nehme, dann seien das 400 Arbeitsplätze.
„Sie sollten sich ab und zu die Dimension bewusst machen“, sagt Schmitz durchaus gereizt an die Adresse von Praetorius. RWE werde in drei Jahren ein Drittel seiner Kohlekraftwerkskapazität vom Netz nehmen, bis 2030 sogar zwei Drittel. Bis 2040 solle RWE klimaneutral sein. „Als Unternehmen sind wir vielleicht schneller als die Politik.“ Ein Punkt, den fast zeitgleich auch Allianz-Vorstandschef Oliver Bäte beim Weltwirtschaftsforum in Davos ansprach.
Wie Schmitz warnte auch Gewerkschafter Lemb davor, durch einen überstürzten Ausstieg den sozialen Frieden im Land zu gefährden: „Wir müssen die Belegschaften in diesen Veränderungsprozessen auch mitnehmen.“ Sonst drohe nur der rechte Rand gestärkt zu werden.
„Die CO2-Bepreisung ist das einzige Instrument, das funktioniert”
In den vom Kohleausstieg betroffenen Regionen müssten auch Industriearbeitsplätze erhalten werden, forderte der IG Metaller. Das Strukturfördergesetz gehe in die richtige Richtung, aber in den vom Ausstieg betroffenen Regionen fehlten teilweise noch tragfähige Konzepte.
Wenn man sehe, wie viel Geld jetzt in den Kohleausstieg investiert werde, dann zeige sich die Dimension der Herausforderung, die gesamte Wirtschaft auf Klimaneutralität umzustellen. Hier seien jährliche Investitionen von 45 Milliarden Euro erforderlich, rechnete Lemb vor.
Lob vom Falschen
Einigkeit herrschte auf dem Podium in der Frage, dass Klimaneutralität nur mit einem Ausbau der erneuerbaren Energien erreicht werden kann. Die Energieerzeugung werde sich grundlegend wandeln, ist RWE-Chef Schmitz überzeugt. Erneuerbare Energien seien heute wirtschaftlich und würden sich deshalb auch durchsetzen.
Dagegen vermisst Wissenschaftlerin Praetorius klare politische Leitplanken, damit das Ziel, bis 2030 zwei Drittel des Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen, auch erreicht wird. Der Wirtschaftsstandort Deutschland könne seine Wettbewerbsfähigkeit nur erhalten, wenn ausreichend bezahlbarer Strom aus erneuerbaren Quellen vorhanden sei.
Auch Gewerkschafter Lemb forderte einen klaren Rahmen, um auch den Energieanlagenbauern Planungssicherheit zu geben. Wenn das nicht gelinge, werde nach der Solarindustrie auch der Windenergieanlagenbau als vielversprechender Industriezweig aus Deutschland verschwinden. Faktisch ist der Windkraftausbau in Deutschland nahezu zum Erliegen gekommen. Und die neue Abstandsregelung von 1000 Metern zur nächsten Bebauung, die Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) durchsetzen wollten, hätte ihn weiter gebremst.
Fridays-for-Future-Aktivistin Wessel, die am Vormittag von Altmaier in seiner Rede noch für ihren Klimaeinsatz gelobt worden war, ist denn auch nicht gut auf den Wirtschaftsminister zu sprechen: „Wenn Herr Altmaier mir ein Kompliment macht, macht mich das nur traurig“, sagt die Schülerin auf dem Handelsblatt-Energiegipfel. „Weil Herr Altmaier der Minister ist, der die Windkraft blockiert.“
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