Handelsblatt GovTech-Gipfel „Entscheidend für Digitalisierung und Zukunftsfähigkeit“ – Start-ups sehen beim Personal Handlungsbedarf

„Viele deutsche Start-ups und Talente freuen sich über eine frühzeitige Einbindung in staatliche Projekte“
Berlin Deutschland hinkt digital hinterher. Die Corona-Pandemie habe die Schwächen der Verwaltung in puncto Digitalisierung auf dramatische Weise offenbart, sagte Christian Miele, Präsident des Bundesverbands Deutscher Startups. „In vielen Bereichen ist die Verwaltung in Deutschland noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen.“
Auf dem GovTech-Gipfel des Handelsblatts forderten Start-ups deshalb Veränderungen, um den digitalen Rückstand aufzuholen. GovTech ist ein Sammelbegriff für alle digitale Lösungen im Kontext von öffentlichen Verwaltungen, öffentlichen Einrichtungen und öffentlichen Dienstleistungen. Aktuell gibt es etwa 300 GovTech-Start-ups mit Hauptsitz in Deutschland.
Zu diesen zählt auch Themis. Neben Investitionen in Technologie müssten wir dafür sorgen, dass die rund 4,8 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes mit den relevanten digitalen und technischen Kompetenzen ausgestattet werden, sagte Dinah Schmechel, Gründerin und CEO von Themis. „Sie sind entscheidend für die Digitalisierung und die Zukunftsfähigkeit von Staat und Verwaltung.“
Themis hat sich zum Ziel gesetzt, die digitale Kompetenz in der öffentlichen Verwaltung zu stärken. Das Start-up bietet über eine Online-Plattform Möglichkeiten zur Weiterbildung, Mentoring und Beratung durch Digitalexperten an.
Auch Isabell Nehmeyer-Srocke sieht beim Personal Handlungsbedarf: In der Verwaltung brauche es Fach- und Führungskräfte, die die nötigen Digitalisierungs- und Veränderungskompetenzen mitbringen, sagte die Mitgründerin des Querwechsler-Netzwerks. Sie fordert, 30 Prozent der relevanten Führungspositionen von außen nachzubesetzen. In dem Querwechsler-Netzwerk haben sich Menschen zusammengeschlossen, die unter anderem nach einer ersten Karriere im privaten Sektor in den öffentlichen Sektor gewechselt sind.
„Die Schaffung eines Digitalministeriums ist längst überfällig“
Bastian Nominacher schlug indes eine deutschlandweite Projektplattform zur Digitalisierung vor. Nominacher ist Mitgründer und Co-CEO von Celonis. Das Start-up bietet Unternehmenssoftware an. Im Kern geht es um die Visualisierung von unzähligen Datenpunkten. Sie soll die Analyse von Geschäftsprozessen vereinfachen.
„Viele deutsche Start-ups und Talente freuen sich über eine frühzeitige Einbindung in staatliche Projekte“, sagte Nominacher. Eine solche Plattform könnte dabei helfen, in Deutschland angesiedelte Talente und Technologien frühzeitig einzubinden und die Transformation schneller voranzutreiben.
In der Politik wird angesichts des deutlichen Rückstands bei der Digitalisierung erwogen, nach der Bundestagwahl ein Digitalministerium zu gründen.
Für Start-up-Verbandschef Miele steht fest: „Die Schaffung eines Digitalministeriums ist längst überfällig“. Wichtig sei dabei, nicht einfach neue Schilder vor ein Ministerium zu hängen. „Wir brauchen ein mit umfangreichen Kompetenzen ausgestattetes, schlagkräftiges Ministerium, das der grundlegenden Bedeutung der Digitalisierung für Wirtschaft und Gesellschaft gerecht wird“, sagte Miele.

Auf dem GovTech-Gipfel 2021 werden die Themen der Zukunft diskutiert. Digitalisierung ist eines der großen Schlagwörter.
Auch Faruk Tuncer von Polyteia sprach sich für ein Digitalministerium aus. Ein Digitalministerium könne eine skalierende Wirkung entfalten, sagte der Polyteia-Chef. „Hierfür muss es klare Kompetenzen, Verfahrensverantwortung sowie ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung haben, um die Kräfte in die unterschiedlichen fachlichen Ressorts hinein zu bündeln.“ Polyteia unterstützt Kommunen mit einer digitalen Plattform dabei, Verwaltungsdaten zusammenzuführen.
Unter bestimmten Voraussetzungen hält auch Christina Lang ein Digitalministerium für sinnvoll. Lang ist Mitgründerin und Geschäftsführerin von DigitalService4Germany, einer GmbH in Bundeshand. Die Softwareschmiede soll nicht nur IT-Talente in die Verwaltung holen, sondern auch Digitalprojekte vorantreiben – und dadurch für Beschleunigung sorgen.
Start-ups können die Innovationslücke schließen
Läge der Fokus vor allem auf der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und der Modernisierung des Staats, „könnte pilotiert werden, wie ein lernendes und agiles Ministerium eigentlich designt, ausgestattet und vernetzt sein müsste“, erläuterte die Chefin von DigitalService4Germany.
Auf diese Weise könne getestet werden, ob und wie radikale Veränderungen dazu führen können, dass die öffentliche Verwaltung tatsächlich schneller, digitaler und wirkungsvoller werde. Die bloße Ausgliederung oder Zusammenlegung bereits vorhandener Teile anderer Ressorts hält Lang für „nicht zielführend“. „Basierend auf den identifizierten Problemen sollte deshalb entschieden werden, welche Themen sinnvoll in die zentrale Zuständigkeit eines Digitalministeriums verlagert werden sollten.“
Um den digitalen Wandel zu begleiten, bieten Hunderte GovTech-Start-ups digitale Lösungen für den Staat an. Nehmeyer-Srocke vom Querwechsler-Netzwerk ist überzeugt, dass Start-ups die Innovationslücke schließen könnten. Sie seien besser in der Lage, Lösungen zu entwickeln, die die Bürgerinnen und Bürger ansprechen und ihren Bedürfnissen gerecht werden, sagte die Mitgründerin.
Dieser Ansicht ist auch Polyteia-Chef Tuncer: „Start-ups haben enorme Innovationskraft, die der öffentliche Sektor nutzen kann“, sagte Tuncer. Produkte von Start-ups seien auf dem aktuellen Stand der Technologien, stark nutzerzentriert und arbeiteten mit hoher Geschwindigkeit in kurzen Iterationszyklen.
Verbandschef-Miele sieht den Staat unter Zugzwang: Start-ups könnten mit innovativen Produkten und Dienstleistungen Prozesse der Verwaltung erleichtern und beschleunigen, sagte der Verbandschef. Das setze aber voraus, dass der Staat nicht nur Förderer, sondern auch Kunde von Start-ups wird, sagte Miele.
Mehr: Ein App-Store soll die Digitalisierung der deutschen Behörden voranbringen.
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