Hilfsprogramme Betrugsverdacht bei Corona-Hilfen: Regierungskreise rechnen mit weniger als 15 Millionen Euro Schaden

Sein Ressort bemüht sich, die Wogen zu glätten.
Berlin Bei dem Betrugsverdacht im Zusammenhang mit Corona-Hilfszahlungen soll es um einen Schaden von weniger als 15 Millionen Euro gehen. Dies erfuhr das Handelsblatt aus Regierungskreisen. Außerdem werde gegen drei mögliche Tatverdächtige ermittelt, von denen sich einer fälschlicherweise als Anwalt ausgegeben haben soll.
Einer der Tatverdächtigen sei von Berlin aus tätig geworden, ein anderer aus Westdeutschland. Von wo der dritte Tatverdächtige tätig wurde, ist unklar.
Das von Peter Altmaier (CDU) geführte Bundeswirtschaftsministerium hatte bereits am vergangenen Freitag die Abschlagszahlungen bei mehreren Corona-Hilfsprogrammen gestoppt. „Es besteht in einigen Fällen der Verdacht, dass unrechtmäßig staatliche Hilfsgelder bei den Corona-Hilfen erschlichen wurden“, sagte eine Ministeriumssprecherin. Offenbar hatten sich Unbekannte mit falschen Identitäten als Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer ausgegeben, um so an Gelder zu kommen, wie zuerst das Portal „Business Insider“ berichtet hatte.
Wie es in den Regierungskreisen weiter hieß, habe sich zumindest einer der Verdächtigen fälschlicherweise als Anwalt ausgegeben. Die Fälle seien der Financial Intelligence Unit, der Geldwäschespezialeinheit des Bundesfinanzministeriums, Ende vergangener Woche aufgefallen.
Das Bundeswirtschaftsministerium wollte sich unter Verweis auf laufende Ermittlungen nicht äußern. Die Schadenshöhe und die Zahl der Tatverdächtigen ließen sich noch nicht abschließend beziffern. Die Abschlagszahlungen würden aber in den nächsten Tagen wieder aufgenommen, teilte das Ressort mit.
Berufsverbände der Selbstständigen und der Freiberufler hatten eine schnelle Wiederaufnahme der Zahlungen gefordert. Der Zahlungsstopp dürfe jetzt nicht zu dem Reflex führen, jeden Antragsteller an den Pranger zu stellen und per se betrügerische Absicht zu unterstellen, sagte der Präsident des Bundesverbands der Freien Berufe (BFB), Wolfgang Ewer, dem Handelsblatt. „Die Auszahlungen, die ohnehin sehr schleppend sind, müssen zügig wieder anlaufen und die Verdachtsfälle schnellstmöglich aufgearbeitet werden.“
November- und Dezemberhilfen und die Überbrückungshilfe III können Antragsteller nur über sogenannte „prüfende Dritte“, also Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer oder Rechtsanwälte, stellen. Diese müssen sich dafür bei dem Online-Antragsportal registrieren.
Wirtschaftsministerium stoppt Abschlagszahlungen mehrerer Corona-Hilfsprogramme
So wollte die Bundesregierung verhindern, dass es erneut zu einem Missbrauch kommt. Bei den zu Beginn der Corona-Pandemie ausgezahlten Soforthilfen hatte es bereits Betrugsfälle in großer Zahl gegeben.
Schon zum zweiten Mal kam es zu Betrugsfällen
Es sei brisant, dass das Bundeswirtschaftsministerium nun schon zum zweiten Mal in größerem Umfang Opfer von Betrügern geworden sei, sagte der Vorstandsvorsitzende des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD), Andreas Lutz, dem Handelsblatt.
Und ausgerechnet die Maßnahme, die Betrug verhindern sollte – nämlich die Vergabe nur über prüfende Dritte – sei nun zum Einfallstor für Betrüger geworden. Offenbar habe man den einmal registrierten, angeblichen „Steuerberatern“ blind vertraut und die Bankverbindungen nicht ausreichend geprüft.
Die aktuellen Betrugsfälle „schockierten“ ihn, sagte dazu der Präsident der Bundessteuerberaterkammer, Hartmut Schwab. „Vor Cyberkriminalität ist anscheinend niemand gefeit.“ Das Beantragungsportal für die Corona-Hilfen sei, wie man der Kammer versichert habe, sehr anspruchsvoll. Es würden hohe Anforderungen an die Authentifizierung der prüfenden Dritten gelegt. „Bei den aktuellen Betrugsfällen handelt es sich daher wahrscheinlich nur um Einzelfälle“, betonte Schwab.
Das Bundeswirtschaftsministerium bemühte sich am Mittwoch darum, die Wogen zu glätten. Berichte, wonach die Zahlungen fast aller Programme gestoppt seien, seien „unzutreffend und so schlicht falsch“, sagte eine Sprecherin. „Die regulären Zahlungen durch die Länder laufen normal weiter.“ Nur die Abschlagszahlungen seien vorläufig angehalten worden – „als vorläufige und rechtlich notwendige Sicherheitsmaßnahme“. Auch diese Abschlagszahlzungen würden „in Kürze“ wieder anlaufen.
Die regulären Auszahlungen der Corona-Hilfen finden nach Angaben des Ministeriums weiter vollständig statt, die Bearbeitung und Auszahlung der Überbrückungshilfe II sowie der November- und Dezemberhilfen würden im regulären Fachverfahren durch die Bewilligungsstellen der Länder planmäßig vorgenommen. Auch die Neustarthilfe laufe normal weiter.
Der Bund hat laut Ministerium bei der November- und Dezemberhilfe mittlerweile über 96 Prozent der Abschlagszahlungen geleistet, die regulären Auszahlungen seien nun seit einigen Wochen Sache der Länder. Das bedeutet, dass bei den Abschlagszahlungen der November- und Dezemberhilfe das Gros der Abschläge und Teilauszahlungen gezahlt sei und diese nicht von dem kurzfristigen Anhalten betroffen seien, heißt es aus dem Ministerium.
Die Opposition stellt das nicht zufrieden: „Immer wieder dasselbe – die Corona-Hilfen der Bundesregierung sind zum Verzweifeln“, kritisierte die mittelstandspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Claudia Müller. Im Wirtschaftsausschuss des Bundestags sei noch erklärt worden, dass Abschlagszahlungen nur an Kontonummern gehen könnten, die den Finanzämtern bekannt seien.
Außerdem sollte die Betrugsanfälligkeit durch die Einschaltung von Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern gesenkt werden. „Das hat offenbar nicht funktioniert“, sagte Müller.
Einbeziehung der Finanzämter hätte Betrug verhindern können
„Der Skandal hinter dem Skandal ist meines Erachtens aber, dass man alle diese Betrugsfälle hätte verhindern können, wenn man die Finanzämter für die Auszahlung der Hilfen zuständig gemacht hätte“, sagt VGSD-Chef Lutz. Dies fordert sein Verband schon seit März 2020. Von daher stelle sich jetzt nochmals dringlicher als bisher die Frage: „Wer ist dafür verantwortlich, dass die Vergabe der Hilfen nicht über die Finanzämter stattfinden konnte? War das die Entscheidung von Bundesfinanzminister Olaf Scholz?“
Die offizielle Begründung der Regierung lautet, dass man für die Einschaltung der Finanzämter erst eine gesetzliche Grundlage hätte schaffen müssen. Außerdem seien die Finanzämter nicht ausreichend digitalisiert. Kleinere Hilfszahlungen bis 5000 Euro können Soloselbstständige ohne einen Steuerberater direkt beantragen. Hier kann sich der Antragsteller mit einem von der Steuerverwaltung vergebenen Elster-Zertifikat anmelden und muss dann nur die IBAN seiner Bankverbindung angeben, die bereits beim Finanzamt bekannt ist.
Interessant wird sein, welche Sicherheitsmaßnahmen das Ministerium ergriffen hat, um die Identität der Steuerberater zu prüfen. Als bei der Überbrückungshilfe I erstmals Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zwischengeschaltet wurden, war es zu erheblichen Verzögerungen gekommen, weil E-Mai-Adressen verwendet wurden, die der Steuerberaterkammer zum Teil nicht bekannt waren.
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