Hohe Infektionszahlen Streit über verlängerte Ferien für Schüler: „Länder umgehen so das Infektionsschutzgesetz“

Drohen wieder flächendeckende Schulschließungen?
Berlin Noch vor Kurzem galt für die Schulen: Anders als in früheren Coronawellen sollen sie nicht wieder geschlossen werden, während Erwachsene noch Konzerte besuchen oder in Restaurants gehen. Mit den steigenden Infektionszahlen bröckelt dieses Versprechen.
So hat Brandenburgs Kultusministerin Britta Ernst (SPD), die derzeit der Kultusministerkonferenz vorsitzt, wegen der Pandemie in ihrem Bundesland bereits den Beginn der Weihnachtsferien um vier Tage vorgezogen. Den gleichen Weg geht Sachsen-Anhalt.
Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zeigt sich nun offen für längere Ferien. Und Sachsens Kultusministerium teilt mit, man plane zwar derzeit kein Vorziehen der Weihnachtsferien, schließe es aber auch nicht aus.
„Die Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr zeigen jedoch, dass die Wirkung derartiger Maßnahmen begrenzt ist, der Ärger in der Elternschaft wegen fehlender Betreuung der Kinder hingegen groß“, hieß es im Ministerium in Dresden.
Schon vor einem Jahr war wegen stark steigender Coronazahlen über eine „Notbremse“ und auch verlängerte Weihnachtsferien diskutiert worden. Sachsen schloss damals als erstes Land seine Schulen, andere zogen nach.
Der Lockdown galt zunächst bis 10. Januar, wurde dann verlängert und später nur in kleinen Schritten wieder aufgehoben. Jüngere Schüler und diejenigen, die vor Prüfungen standen, durften Schritt für Schritt zurück, manche Altersklassen saßen bis Mai zu Hause.
Kritik an vorgezogenen Weihnachtsferien
Nun jedoch „umgehen die Länder mit den verlängerten Ferien das Infektionsschutzgesetz“, kritisiert die Bochumer Juristin Andrea Kießling, Autorin eines juristischen Kommentars zum Infektionsschutzgesetz (IfSG).
Denn „das IfSG erlaubt es den Ländern nicht, flächendeckend die Schulen zu schließen beziehungsweise auf Distanzunterricht umzustellen. Möglich ist die Schließung nur bei Ausbrüchen an einzelnen Schulen“, sagte sie dem Handelsblatt. „Dass es sich um Ferien handelt, die aus Gründen des Infektionsschutzes verhängt werden, ändert daran nichts. Der Bund kann den Ländern dieses Vorgehen nicht verbieten.“
Kießling stört vor allem, dass die Kinder bei dieser Strategie gar keinen Unterricht haben, denn es sind ja Ferien. Bei Schulschließungen nach dem Infektionsschutzgesetz hingegen müssten sie zumindest Distanzunterricht erhalten.
Das sei „absurd“, schrieb die Juristin auf Twitter. Der Bund sollte daher überlegen, ob er Schulschließungen doch wieder ins IfSG aufnehme, aber dafür sehr strenge und konkretere Voraussetzungen aufstelle. „Was der Bund in der Begründung der letzten Änderung des IfSG zu Schulen sagt, ist ein Witz, es gibt fast keine Erläuterung – man bekommt den Eindruck, er wollte sich auf einem solch politisch heiklen Feld raushalten“, moniert Kießling.
Doch der Druck auf die Schulen nimmt zu. So dringt nicht nur Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus auf verlängerte Weihnachtsferien, sondern auch Grünen-Chef Robert Habeck.
Selbst die höchste Instanz der Wissenschaft, die nationale Akademie Leopoldina, empfahl am Wochenende vorgezogene Weihnachtsferien. Eine Aussetzung der Präsenzpflicht und ein Wechselunterricht an Schulen sowie die Schließung von Kitas jedoch „sollten möglichst vermieden werden“, erklärte die Akademie weiter.
Länder wie Sachsen und Brandenburg haben allerdings die Präsenzpflicht für die meisten Schüler bereits aufgehoben – ausgenommen sind etwa Abschlussklassen. Andere Länder erwägen diese Maßnahme.
Designierte Bundesbildungsministerin gegen längere Ferien
Die künftige Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hält coronabedingte Schulschließungen aktuell für nicht angebracht. „Sie dürfen nicht das Erste sein, sondern müssen das Letzte sein“, sagte sie dem Sender RTL/ntv. Mit Blick auf die neue Corona-Virusvariante Omikron betonte sie allerdings, dass man die Entwicklung noch nicht absehen könnte.
„Stand heute“ seien Schulschließungen jedoch nicht angebracht. Das gelte auch für vorgezogene Weihnachtsferien: „Wir können durch Masken, Hygienevorschriften, konsequentes Impfen und vor allen Dingen Boostern in den Schulen verhindern, dass solche Maßnahmen getroffen werden müssen.“
Ähnlich argumentiert die künftige KMK-Präsidentin, Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU), die das Amt 2022 übernimmt: Die Studienlage zeige, „dass das geordnete Setting in den Schulen eher hilft, Infektionen zu vermeiden“. Daher gebe es auch „keinen sachlichen Grund, die Ferien zu verlängern, Kinder zu Hause sitzen zu lassen und Eltern mit Betreuungsproblemen im Stich zu lassen“.
Auch Bayerns Kultusminister Michael Piazolo lehnt – anders als sein Ministerpräsident – längere Ferien als kontraproduktiv ab. Nach den einwöchigen Allerheiligenferien Anfang November seien die Inzidenzen bei den Schülern sprunghaft angestiegen – „die Infektionen hierzu müssen vor allem in den Ferien, also im Freizeitbereich, stattgefunden haben“, sagte sein Sprecher. Danach seien die Infektionen in den Grundschulen wieder deutlich zurückgegangen.
In Bayern nur drei von 5900 Schulen im Distanzbetrieb
Aktuell sind in ganz Bayern nur drei von 5900 Schulen wegen Corona im vollständigen Distanzbetrieb. Präsenzunterricht mit regelmäßigen Tests helfe also, das Infektionsgeschehen einzudämmen. Als Beleg verweist Piazolo auf eine entsprechende Studie des Instituts zur Zukunft der Arbeit. Eine Untersuchung des Fraunhofer-Instituts hatte zudem im Juni 2021 ergeben, dass Tests in den Schulen einen wesentlichen Beitrag zum Brechen der dritten Welle geleistet hätten.
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, Sprecher der SPD-Länder, sagt: Angesichts der niedrigen Infektionen in der Hansestadt „stellt sich die Frage von vorgezogenen Weihnachtsferien bei uns nicht“.
Zudem habe Hamburg „bundesweit die höchsten Sicherheitsstandards in Schulen, darunter die durchgängige Maskenpflicht und mobile Luftfiltergeräte, die es in vielen anderen Bundesländern nicht gibt“. Entscheidend sei aber „nicht eine Aufhebung der Präsenzpflicht und nicht eine Verlängerung von Schulferien, sondern dass sich impfunwillige Erwachsene endlich impfen lassen“, sagte er dem Handelsblatt.
Ifo: Andere EU-Länder schränken Unterricht nicht so schnell ein wie Deutschland
Das Ifo-Institut warnt in einer neuen Studie davor, dass Deutschland erneut Unterricht einschränkt, anstatt vorrangig Kontakte der Erwachsenen zu reduzieren. Der Vergleich der Corona-Bildungspolitik zwischen Deutschland und sechs weiteren europäischen Ländern zeige: „Schulschließungen müssen nicht die wesentliche Maßnahme zur Pandemiebekämpfung sein“, sagte Ifo-Forscherin Larissa Zierow.
„Andere Länder in Europa legten größeren Wert darauf, die Schulen weitgehend offen zu halten. Zugleich waren die anderen Länder für digitalen Fernunterricht besser gerüstet.“ So seien die Schulen in den Niederlanden, in Spanien und in Schweden deutlich kürzer geschlossen gewesen als in Deutschland.
Zudem waren in Deutschland die Einschränkungen für Schulkinder oft größer als für Arbeitnehmer. In Frankreich etwa galt eine Homeoffice-Pflicht, wenn Arbeit von zu Hause aus möglich war. Außerdem waren Ausgangsbeschränkungen für Erwachsene strenger als für Schulkinder.
Und weil Deutschland bei der Schul-Digitalisierung so weit zurückliegt, sind die Corona-Lernlücken gerade für Leistungsschwächere besonders hoch. „Erneute Schulschließungen hätten insbesondere für benachteiligte Schulkinder drastische Konsequenzen“, warnt Ifo-Forscherin Zierow.
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