IG-Metall-Bezirksleiter Köhlinger im Interview Streiks in der Metall- und Elektroindustrie: „Wir sind auch über Ostern hinaus kampfbereit“

Trotz der Corona-Beschränkungen ruft die IG Metall nun zu Warnstreiks auf.
Berlin In der Tarifrunde für die rund 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie wird es ab der kommenden Woche erste Warnstreiks geben. Auch in der vierten Verhandlungsrunde hätten die Arbeitgeber keine konkreten und verbindlichen Vorschläge zu den Themen Beschäftigungssicherung, Zukunftstarifverträge und Entgelt gemacht, teilte der IG-Metall-Bezirksleiter in Nordrhein-Westfalen, Knut Giesler, am Mittwoch mit.
Deshalb sei ein Arbeitskampf nach Ende der Friedenspflicht nun unausweichlich. „Unsere Planungen sind abgeschlossen. Wir werden in NRW ab 2. März die Beschäftigten zu Warnstreiks aufrufen“, kündigte Giesler an. Auch in Corona-Zeiten sei die Gewerkschaft kampffähig.
Auch in den anderen Tarifgebieten hat es bei den regional geführten Verhandlungen keine wirkliche Annäherung gegeben. Die IG Metall fordert ein Volumen von vier Prozent, das in den Betrieben je nach Lage unterschiedlich eingesetzt werden kann. Beispielsweise könnten Unternehmen, die zur Beschäftigungssicherung auf eine Viertagewoche gehen, nach Vorstellung der Gewerkschaft damit einen Teillohnausgleich finanzieren. Bei Betrieben, die nicht in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken, kann das Volumen dagegen für eine Lohnerhöhung genutzt werden.
Die Arbeitgeber sehen angesichts der weiter schwierigen Lage vieler Betreibe für dieses Jahr keinen Verteilungsspielraum. Nach einer Gesamtmetall-Umfrage gehen nur knapp 40 Prozent der Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie davon aus, bis Ende 2021 das Produktionsniveau vor der Rezession Ende 2018 wieder erreicht zu haben. Ein Fünftel aller Betriebe rechnet damit, dass der Umsatz in diesem Jahr noch einmal deutlich niedriger ausfallen werde als im Corona-Krisenjahr 2020.
Die Arbeitgeber pochen deshalb auf eine Nullrunde für 2021. Für das kommende Jahr haben sie einen Mix aus einer Einmalzahlung und einer Tabellenerhöhung angeboten, ohne beides näher zu beziffern. Umstritten ist aber auch das Thema Zukunftstarifverträge.
Die Gewerkschaft will Mitsprache bei Investitions-, Standort- oder Qualifizierungsfragen. Solange die Arbeitgeber hier auf ihrer „Herr im Haus“-Haltung beharrten, komme man da nicht weiter, sagt Jörg Köhlinger, Leiter des IG-Metall-Bezirks Mitte, im Gespräch mit dem Handelsblatt. Der Bezirk umfasst Hessen, Rheinland-Pfalz, das Saarland mit seiner starken Autozuliefererindustrie und Thüringen.
Lesen Sie hier das komplette Interview mit IG-Metall-Bezirksleiter Jörg Köhlinger:

„Mitbestimmung darf sich nicht in der Festlegung der Kantinenordnung erschöpfen.“
Herr Köhlinger, die Arbeitgeber sagen, angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage der Metall- und Elektroindustrie gebe es keinen Verteilungsspielraum.
Die Arbeitgeber schauen nur in den Rückspiegel und haben verhandlungstaktisch eine diebische Freude an den schlechten Zahlen aus dem zweiten Quartal. Seither geht es aber bergauf, wir sehen in ganz vielen Betrieben eine V-förmige Erholung.
Die IG Metall will künftig bei Zukunftsfragen wie Standortsicherung oder Investitionen stärker mitreden. Warum sollten sich die Arbeitgeber darauf einlassen?
Ich wundere mich über den allergischen Schock, den wir auslösen, wenn wir über Zukunftstarifverträge reden. Wir tun das in bester Absicht. Die Debatten, ob Gewerkschaften sich als Co-Management oder politische Gegenmacht verstehen, sind doch längst entschieden. Betriebsräte vertreten die Interessen der Belegschaften und arbeiten dabei auch kritisch-konstruktiv mit dem Management zusammen – zum Wohle von Beschäftigung und Betrieb. Das geht aber natürlich nicht ohne Konfliktfähigkeit.
Was schwebt Ihnen genau vor?
Wir wollen, dass mit uns über Standortfragen, Qualifizierungsbedarfe, Investitionen und Beschäftigungssicherung geredet wird, ohne dass es einen Abschlusszwang gibt. Die Arbeitgeber müssen also nicht gleich fürchten, dass dann auf Betriebsebene gestreikt wird, wenn wir nicht weiterkommen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Bei Continental haben wir einen Qualifizierungsanspruch für ungelernte Beschäftigte durchgesetzt. Das ist auch aus arbeitsmarkt- und sozialstaatlicher Sicht höchst sinnvoll.
Aber leider beharren viele Arbeitgeber auf ihrem Herr-im-Haus-Standpunkt, sodass solche Lösungen nicht überall möglich sind.
Automatische Abweichung vom Flächentarif ist höchst umstritten
Die Arbeitgeber wollen, dass Unternehmen automatisch vom Flächentarif abweichen dürfen, wenn bestimmte betriebswirtschaftliche Kennzahlen unterschritten werden. Was sagen Sie dazu?
Wir werden nicht zulassen, dass freihändig aufgrund nicht näher definierter Kennziffern in Tarifverträge eingegriffen wird. Es ist schließlich keine Kunst, ein Unternehmen oder einzelne Standorte armzurechnen. Und der Pforzheim-Prozess, der Abweichungen vom Flächentarif erlaubt, ist ein tragfähiges Instrument und funktioniert gut.
Die IG Metall hat eine neue „Initiative Mitbestimmung“ beschlossen. Was versprechen Sie sich davon?
Mitbestimmung darf sich nicht in der Festlegung der Kantinenordnung erschöpfen. Das, was wir heute haben, stammt aus den 50er- bis 70er-Jahren. Mit Blick auf die Landtagswahlen, die Bundestagswahl und die Betriebsratswahlen im kommenden Jahr sollten wir das Thema breiter diskutieren. In der Coronakrise sind Unternehmen mit staatlichen Mitteln gerettet worden. Das wäre doch ein guter Anlass, über mehr Demokratie im Betrieb zu reden.
Was schwebt Ihnen genau vor?
Die Debatte, ob das doppelte Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden und damit die Übermacht der Kapitalseite noch angemessen ist, wurde ja bereits angestoßen. Und warum sollen nicht Standortentscheidungen im Aufsichtsrat nur mit Zweidrittelmehrheit getroffen werden dürfen, so wie es im VW-Gesetz geregelt ist? Ein VW-Gesetz für alle – warum denn nicht?
Zurück zur Tarifrunde: Wie optimistisch sind Sie, dass nach den angekündigten Warnstreiks eine Einigung gelingt?
Wir versuchen, bis Ostern eine Lösung zu finden, sind aber auch darüber hinaus kampfbereit, falls es nötig sein sollte.
Herr Köhlinger, vielen Dank für das Interview.
Mehr: IG Metall verliert in der Coronakrise Mitglieder – und gibt sich trotzdem kampfbereit
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Ein hervorragendes Foto. Die AHA Vorsichtsmaßnahmen werden voll eingehalten.
Ansonsten ist die Ankündigung von Streiks genau das richtige Mittel um die angeschlagende Wirtschaft wieder zu alter Stärke und damit sicheren Arbeitsplätzen zu bringen.