Industrie legt Sieben-Punkte-Plan vor BDI will gezielte technologische Durchbrüche – Kanzleramt soll mit eigenem Budget koordinieren

Der BDI-Chef fordert eine Stelle im Kanzleramt „mit eigenem Budget und Personal“, um Innovationen zu fördern.
Berlin Kurz vor der Wahl hat der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) seine Vorstellungen für eine bessere Innovationsförderung durch die künftige Bundesregierung formuliert. „Das deutsche Innovationssystem benötigt dringend einen Modernisierungsschub“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm dem Handelsblatt.
Ansonsten drohe Deutschland „in der Post-Corona-Gesellschaft Wohlstand und gut bezahlte Arbeitsplätze einzubüßen“, heißt es in einem Sieben-Punkte-Plan des BDI, der dem Handelsblatt exklusiv vorliegt. „Statt eine Vielzahl von Maßnahmen nach dem Gießkannen-Prinzip zu fördern, muss die deutsche Politik gezielt ausgewählten technologischen Missionen zum Durchbruch verhelfen“, fordert Russwurm – beispielsweise dem autonomen Fahren, der Luft- und Raumfahrttechnologie und dem 6G-Standard für das Mobilfunknetz. Die Forschungsförderung müsse dann gezielt in Richtung der Missionen erfolgen.
Funktionieren könne dies aber nur, wenn künftig das Kanzleramt die Fäden in die Hand nehme. Dazu brauche es dort eine Stelle „mit eigenem Budget und Personal“, das die Missionen vorantreibe und sicherstelle, dass Expertinnen und Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft rechtzeitig eingebunden würden.
Ein neues „Zukunftsministerium“, wie es unlängst Digital-Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) vorgeschlagen hatte, lehnt der BDI hingegen ab. Sämtliche Ressorts müssten selbst zukunftsfähig sein. Dafür müsse die Innovationsförderung „von der Idee bis zum Markteintritt agiler und flexibler werden, sonst verliert Deutschland im Wettlauf insbesondere mit China und den USA seinen Platz als Hochtechnologiestandort“, warnt Russwurm.
Diese „Missionsorientierung“ entspricht der Linie der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), die die Kanzlerin berät. Ihr Vorsitzender Uwe Cantner hatte Anfang des Jahres im Gespräch mit dem Handelsblatt „klare Missionen, technologieoffene Lösungen und eine viel engere Koordination der Ministerien“ gefordert. Früher hätten einzelne Förderprogramme genügt, heute müsse Innovationspolitik „stärker vorausschauend verschiedene, aufeinander abgestimmte Förderprogramme auf den Weg bringen“.
Erhöhung der Forschungszulage dringend nötig
Um auch größere Unternehmen stärker bei Innovationen zu unterstützen, fordert der BDI eine Aufstockung der neuen Forschungszulage. Die CDU verspricht in ihrem Wahlprogramm eine Verdopplung dieser steuerlichen Forschungsförderung auf bis zu zwei Millionen Euro pro Jahr und Unternehmen.
Die Grünen hingegen wollen die Förderung wieder mehr auf kleine und mittelgroße Unternehmen konzentrieren, sogenannte KMU. Auch die EFI hatte schon die Erhöhung auf eine Million gerügt, weil dies nur großen Unternehmen zugutekomme.
Mehr Freiheit und die Anbindung im Kanzleramt fordert der BDI für die neue Agentur für Sprunginnovationen, SprinD, die im Auftrag des Bundes nach bahnbrechenden Erfindungen sucht. In diesem Punkt ist sich die Industrie mit CDU, Grünen und EFI einig.
Zur neuen Innovationskultur gehört nach Vorstellung des BDI auch der breite Einsatz von Reallaboren und Experimentierklauseln in allen forschungs- und innovationspolitischen Vorhaben. Diese sollen praktische Erfahrungen ermöglichen, bevor Gesetze geändert werden. Um nachhaltige Mobilität auszuprobieren, wurden etwa in Stuttgart für drei Monate ohnehin knappe Parkflächen für andere Zwecke wie Bänke, Spielplätze, Pflanzen oder Fahrradständer umgewidmet. Das Bundeswirtschaftsministerium nutzt das Instrument zur Erprobung digitaler Innovationen.
Industrie will Zugang zu Datenschatz des Staates
Deutschlands Unternehmen sollten zudem „einen besseren Zugang zu öffentlichen Daten erhalten, um auf dieser Basis mehr digitale Innovationen entwickeln zu können“, fordert Russwurm. Hochwertige Daten in großer Zahl sind für viele Innovationen der entscheidende Rohstoff. Die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) der Bundesregierung, die die bessere Datennutzung ohnehin vorliegender Daten zum Ziel hat, sei hier nur ein „bei Weitem nicht ausreichender erster Schritt“, heißt es im Papier. Das hatten zuletzt auch die Grünen kritisiert.
Es geht etwa um Forschungsdaten aus Bildung, Gesundheit und Klima, die zwar beim Staat vorhanden sind, aber nicht genutzt werden können. Grund ist oft, dass sie nicht aufbereitet sind, nicht zusammengeführt werden, unterschiedliche Software verwendet wird oder Daten nach Beendigung von Forschungsprojekten in der Versenkung verschwinden. Bisher gibt es im Rahmen der NFDI zwei Arbeitsgruppen zu Gesundheitsdaten und zu Chemie- und die Ingenieurwissenschaften. Bis Ende 2022 sollen es insgesamt 30 Konsortien sein. Die Homepage des NFDI ist immer noch "im Aufbau". Der BDI bietet nun an, gemeinsam mit der Bundesregierung eine „Taskforce Forschungsdaten“ aufzusetzen, „um Bedarfe und Potenziale noch vor der neuen Legislaturperiode vorzubereiten“.
Schließlich brauche es dringend ein „Nationales Kompetenzmonitoring“, fordert die Industrie. Nur so könne man frühzeitig herausfinden, welche Kompetenzen Deutschland in Zukunft brauche, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Mehr: Wissenschaftler haben entschlüsselt, wie Innovationen weltweit gelingen.
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