Infektionsschutzgesetz Ausgangssperren sind schwer umzusetzen – diese Erfahrungen von Ländern und Kommunen zeigen es

In Köln gelten seit Samstag Ausgangsbeschränkungen.
Berlin Wenn mit der von der Bundesregierung geplanten „Bundes-Notbremse“ auch einheitliche Ausgangssperren kommen, will Landrat Joachim Streit (Freie Wähler) vor Gericht ziehen. Streit leitet den Eifelkreis Bitburg-Prüm in Rheinland-Pfalz, eine dünn besiedelte Gegend. „Hier kann man stundenlang geradeaus gehen, ohne einem Menschen zu begegnen“, sagt er.
„Eine Ausgangssperre kann ich weder meinen Bürgern erklären, noch kann ich sie kontrollieren.“ Dafür gebe es nicht genügend Mitarbeiter in der Verwaltung und bei der Polizei. „Eine Klage vor dem Verfassungsgericht ist der einzige Weg, dem beizukommen.“
Streit musste die Ausgangssperre bereits Anfang April verhängen. Damals lag die Sieben-Tage-Inzidenz drei Tage in Folge über 100. Die rheinland-pfälzischen Corona-Regeln sehen in diesem Fall bereits jetzt vor, dass Bürger abends nicht mehr vor die Tür dürfen. „Die Maßnahme dauerte nur wenige Tage an, aber wir haben gemerkt, dass wir sie nicht umsetzen können“, sagt Streit.
Die Ausgangssperre soll mit der Bundes-Notbremse bald in ganz Deutschland zwischen 22 und fünf Uhr bei einer Sieben-Tage-Inzidenz ab 100 gelten. Joggen und Spaziergänge würden bis Mitternacht erlaubt bleiben, allerdings nur allein.
Doch nicht nur in der Eifel zeigt sich, dass die Regel teils schwer umzusetzen ist. Vielerorts haben Länder, Städte und Kommunen mit diesem Instrument bereits Erfahrungen gesammelt – und große Probleme festgestellt. „Eine Ausgangssperre zu beschließen ist eine Sache, sie umzusetzen eine ganz andere“, sagt Landrat Streit.
Flächendeckende Kontrollen nicht möglich
Allein in Rheinland-Pfalz gilt in 25 kreisfreien Städten und Landkreisen die Regel. Das zuständige Innenministerium räumt ein, dass eine lückenlose Kontrolle nicht möglich ist. „Es liegt in der Natur der Sache, dass eine lückenlose Kontrolle nächtlicher Ausgangssperren im Bereich kreisfreier Städte oder kompletter Landkreise grundsätzlich nicht gewährleistet werden kann“, teilte ein Sprecher mit. Die Polizei konzentriere sich daher auf stichprobenhafte Kontrollen sowie örtliche Brennpunkte. Insgesamt hat das Land 3600 Verstöße gegen die Regel registriert.
Auch in Niedersachsen gibt es bereits eine Ausgangssperre, wie sie nun durch die Bundes-Notbremse vorgesehen ist. Zwar beurteilt das dortige Innenministerium die Lage grundsätzlich positiv. Es stünden genügend Einsatzkräfte bereit, um die Corona-Maßnahmen zu kontrollieren, teilte ein Sprecher mit. Da Aufgaben wie etwa bei Konzerten und Fußballspielen wegfallen würden, sei der Aufwand zu bewältigen.
Wer allerdings in den Städten nachfragt, erhält ein anderes Bild. Beispiel Hannover: Dort galt vom 1. bis zum 6. April die Ausgangssperre, bis sie vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht aufgehoben wurde.
Wer in dieser Zeit nachts unterwegs war, musste mit keinen Konsequenzen rechnen. „Die Verfahren wurden nicht weiterverfolgt. Daher wurden auch keine Bußgelder verhängt“, teilte ein Sprecher der Stadt mit.
Die erfolgreiche Kontrolle der Ausgangssperre setze voraus, dass die Polizei einen „erheblichen Teil“ ihrer Kräfte einsetze. „Das ist problematisch, weil insbesondere die kommunalen Ordnungsdienste nachts kaum unterwegs sind.“
Zudem stelle man fest, dass die Akzeptanz der Maßnahmen schwinde. „Damit laufen die Verordnungen de facto ins Leere“, heißt es. „Wenn der Normbruch die Regel ist, ist die Norm in einer demokratischen Gesellschaft nur schwer durchsetzbar.“
Die Frage könnte auch vor Gericht entscheidend sein. An mehreren Fronten bildet sich juristischer Widerstand gegen die Maßnahme. Unter anderem hält die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sie für verfassungswidrig und will sie vor Gericht zu Fall bringen.
Die Verfassungsrechtlerin Anna Katharina Mangold, die für die GFF ein Rechtsgutachten erstellt hat, sieht unter anderem ein Problem darin, dass effektive Kontrollen unwahrscheinlich seien. Der zulässige Spaziergang dürfte sich nur schwer vom verbotenen Nachhauseweg von der Privatparty unterscheiden lassen, heißt es.
Sorge vor wärmerem Wetter
Das Problem dürfte sich in den kommenden Wochen noch verschärfen. Einige Städte blicken mit Sorge auf die warmen Frühlings- und Sommermonate. Etwa in München: Durch die Vorschriften sind hier jeden Tag 100 bis 200 Polizeibeamte zusätzlich im Dienst, teilte ein Polizeisprecher mit. Die Ausgangssperre gilt in der Stadt mit Unterbrechungen seit Anfang Dezember. Bislang stellte die Polizei rund 2500 Anzeigen wegen Verstößen, die in München mit 500 Euro geahndet werden.
Der Großteil der Bevölkerung habe sich zwar an die Ausgangssperre gehalten. Wie sich die Regelung in den warmen Sommermonaten umsetzen lasse, müsse sich aber noch zeigen.
Es sei davon auszugehen, dass sich dann wieder mehr Menschen draußen aufhalten würden. „Wir werden unser einsatztaktisches Verhalten wie auch letztes Jahr in den sommerlichen Monaten daran anpassen“, heißt es aus München.
Auch Hamburg sieht die Ausgangssperre durch die warmen Monate gefährdet. Dort gilt die nächtliche Ausgangsbeschränkung seit Anfang April, der Senat spricht gar von ersten Erfolgen durch die Maßnahme.
Bei besserem Wetter sei allerdings mit mehr Personengruppen im öffentlichen Raum zu rechnen, teilte ein Polizeisprecher mit. „Welche Auswirkungen dies mit sich bringt, muss beobachtet werden.“ Insgesamt habe sich ein Großteil der Bevölkerung an die Maßnahmen gehalten.
Mehr: Was die Bundes-Notbremse bringt: Das sagen Virologen und Aerosolforscher
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