Infektionsschutzgesetz Spahn legt Alternative für Inzidenzwert vor – Was hinter der Hospitalisierungsinzidenz steckt

Die Pläne der Bundesregierung, den Inzidenzwert aus dem Infektionsschutzgesetz zu streichen, sind umstritten.
Berlin Das Bundesgesundheitsministerium von Jens Spahn (CDU) hat einen ersten Vorschlag zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes vorgelegt. Dabei handelt es sich um eine Formulierungshilfe des Ministeriums an die Regierungsfraktionen von Union und SPD. Laut dem Vorschlag soll statt der Fallzahlen besonders die „Hospitalisierungsinzidenz“ herangezogen werden, um zu bemessen, welche Schutzmaßnahmen nötig sind.
Die Hospitalisierungsinzidenz zeigt die im Krankenhaus aufgenommenen Corona-Patienten je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Am Montag dieser Woche hatte die Bundesregierung beschlossen, künftig auf die Krankenhausbelegung als maßgeblichen Gradmesser im Infektionsschutzgesetz zu setzen.
Der Schwellenwert, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen, sei „jeweils unter Berücksichtigung der regionalen stationären Versorgungskapazitäten festzusetzen mit dem Ziel, eine drohende Überlastung der regionalen stationären Versorgung zu vermeiden“, heißt es in dem Dokument, das dem Handelsblatt vorliegt. Einbezogen werden könnten etwa auch die Infektionsdynamik und wie viele Menschen geimpft sind.
Das bedeutet, dass der Bund die Pandemiebekämpfung wieder stärker den Bundesländern überlässt. „Entscheiden müssen die Länder“, sagte Spahn dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Sie behalten auch alle anderen Pandemiekriterien im Blick und können damit die Lage in ihrer Region am besten beurteilen.“
RKI weist noch keine regionalen Zahlen aus
Das Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlicht die Hospitalisierungsinzidenz täglich für die Bundesebene und wöchentlich auf Landesebene. „Kreisdaten werden bislang nicht veröffentlicht“, teilte das Institut dem Handelsblatt mit. Die Berichtsformate würden aber kontinuierlich überprüft und bei Bedarf angepasst.
„Die Daten auf Kreisebene liegen in den Kreisen auch selbst vor, das RKI bekommt sie ja von den Kreisen übers Land“, erklärte eine Sprecherin. So hat das Land Niedersachsen beispielsweise bereits auf ein dreistufiges Warnsystem umgestellt. Es beinhaltet neben der Infektionsinzidenz, die Corona-Fälle auf Intensivstationen und die Hospitalisierungsinzidenz und weist diese auf der jeweiligen Kreisebene aus.
Deutschlandweit lag die Hospitalisierungsinzidenz laut dem täglichen RKI-Lagebericht am Donnerstag bei 1,56 – Tendenz steigend. Die Zahl der registrierten Corona-Intensivpatienten lag am Mittwoch bei 832, ebenfalls mit einem täglichen Anstieg, der fast nur auf Ungeimpfte zurückgeht. Zum Vergleich: Anfang Januar lagen während der zweiten Welle 5745 Menschen auf den Intensivstationen. Das war der höchste Stand seit Beginn der Pandemie.
Die Pläne der Bundesregierung, den Inzidenzwert aus dem Infektionsschutzgesetz zu streichen, sind umstritten. „So wie wir seit Wochen sagen, dass die Inzidenz nicht alleiniger Indikator sein kann, so gilt das jetzt auch für die Hospitalisierung“, sagte der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, dem RND.
Ähnlich äußerte sich Gernot Marx, Chef der DIVI (Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) gegenüber dem Handelsblatt: „Es reicht aber nicht, sich rein auf die Covid-19-Patienten im Krankenhaus zu konzentrieren – im Fokus müssen insbesondere die schweren Fälle auf den Intensivstationen stehen“, sagte er.
Die Infektionszahlen gelten als Frühindikator, da es meist einige Wochen dauert, bis Infizierte tatsächlich ins Krankenhaus müssen. Für die Planung in den Krankenhäusern ist es aber schon zu spät, wenn allein die Hospitalisierung Indikator ist, so die Sorge der Intensivmediziner.
Die Fallzahlen sind in dieser Woche rapide gestiegen. Das RKI meldete am Donnerstag 12.626 neue Infektionen. Das sind 4226 mehr als am Donnerstag vor einer Woche. Besonders hoch sind die Zahlen in Nordrhein-Westfalen, das eine Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 122 hat.
Arbeitsministerium verlängert Corona-Arbeitsschutzverordnung
Unterdessen bereitet das Bundesarbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) die Verlängerung der Sars-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung vor, die am 10. September ausgelaufen wäre. Laut Referentenentwurf, der dem Handelsblatt vorliegt, müssen die Arbeitgeber den Beschäftigten künftig ermöglichen, sich während der Arbeitszeit impfen zu lassen. Außerdem werden sie verpflichtet, Betriebsärzte organisatorisch und personell zu unterstützen.
Neu ist, dass Arbeitgeber bei Maßnahmen des betrieblichen Infektionsschutzes, also beispielsweise den Vorgaben zur Kontaktreduzierung, Geimpfte und Genesene außen vor lassen können. „Ein Auskunftsrecht des Arbeitgebers über den Impf- oder Genesenenstatus der Beschäftigten ergibt sich aus dieser Bestimmung jedoch nicht“, heißt es im Referentenentwurf. Die Arbeitnehmer können also freiwillig mitteilen, ob sie geimpft sind.
Die Arbeitgeber sind weiter verpflichtet, Beschäftigten, die nicht ausschließlich von zu Hause aus arbeiten, zweimal wöchentlich einen kostenfreien Corona-Test anzubieten. Im Entwurf wird aber klargestellt, dass sie keine Bescheinigung über das Testergebnis ausstellen müssen, die die Mitarbeiter dann für private Zwecke nutzen könnten.
Mit Agenturmaterial
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