Innovationsstandort Deutschland Wie Grüne und FDP Wissenschaft und Wirtschaft besser verzahnen wollen

Aus dem Labor auf den Markt: Grüne und FDP haben Konzepte entwickelt, damit das schneller und erfolgreicher gelingt.
Berlin Es war ein großer Tag. Vor Ostern verlieh Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Biontech-Gründern Özlem Türeci und Ugur Sahin das Bundesverdienstkreuz. Die beiden wurden geehrt für die enorm schnelle Entwicklung des Corona-Impfstoffes. Zugleich stehen sie für den gelungenen Transfer von Grundlagenforschung in die Wirtschaft. Ein Vorgang, der in Deutschland viel zu selten gelingt.
Um das zu ändern, macht die Opposition nun mobil: Die Grünen haben kürzlich das Konzept für eine neue Agentur „D.Innova“ präsentiert. Die FDP wirbt schon länger für eine „Deutsche Transfergemeinschaft“. Das Ziel ist das gleiche. Interessante Forschungsergebnisse sollen so schneller zu Innovationen mit ökonomischem Erfolg werden.
Die Vorstöße könnten schon bald relevant werden, denn beide Parteien haben Chancen, nach der Bundestagswahl in einer neuen Regierung mitzugestalten. Allerdings stoßen sie bei Experten nicht nur auf Zustimmung.
Angetrieben werden die Initiativen von einem alten Problem: Deutschland hat eine hervorragende Forschung, die jährlich mit zig Milliarden Euro gefördert wird. Das Land schafft es aber viel zu selten, Forschungsergebnisse in die Wirtschaft zu transferieren, um damit auch Geld zu verdienen. Beim jüngsten Innovationsindikator des Bundesverbands der Deutschen Industrie lag Deutschland international zwar auf Platz vier. Der große Abstand zur Spitzengruppe aus Schweiz, Singapur und Belgien ist aber noch größer geworden.
Zum Trauma geriet etwa der Fall des MP3-Players: Erfunden in Deutschland, das große Geschäft machten jedoch Japaner, US-Amerikaner und Schweden. Aktuell droht diese Entwicklung auch bei der sogenannten Genschere. Dahinter steckt die Entwicklung von Pflanzen, die resistenter und damit ertragreicher sind.
Es gelinge schlicht viel zu selten, „das ,Tal des Todes' von der Wissenschaftsförderung in die Wirtschaft zu überwinden“, sagt Rafael Laguna, also „aus der sehr guten Forschungsleistung der Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen neue Produkte und Unternehmen zu formen, die zum volkswirtschaftlichen Wohlstand bei uns beitragen“. Laguna versucht genau das als Chef der neuen, vom Bund finanzierten unabhängigen Agentur für Sprunginnovationen SPRIND an vorderster Front. Doch auch er kann nur einige wenige Top-Start-ups finanzieren.
Grüne wollen Mittelstand und Hochschulen zusammenbringen
Die von den Grünen anvisierte Agentur „D.Innova“ soll daher nach dem Vorbild solcher Agenturen in der Schweiz, Schweden und Großbritannien ein bundesweites Netzwerk schaffen – und vor allem Hochschulen und den Mittelstand zusammenbringen. „Unabhängig von Ministerialbürokratie“ soll sie nicht nur klassische Förderprogramme auflegen, sondern selbst Ideen anregen, skizzieren die Grünen Anna Christmann und Kai Gehring das Konzept. Dazu sollten Innovationsmanager vor Ort mögliche Partner in Wissenschaft und Wirtschaft ansprechen und vernetzen.
Die Grünen bauen auf einer Idee der Liberalen auf, die schon länger eine „Deutsche Transfergemeinschaft“ (DTG) nach dem Vorbild der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) fordern. Die Organisation der Wissenschaft fördert unabhängig vom Staat herausragende Forschung mit mehreren Milliarden Euro Steuergeld jährlich.
Die FDP will allerdings keine komplette Neugründung, sondern zunächst eine Organisation unter dem Dach von Wirtschafts- und Forschungsministerium. Später könne dann eine „unabhängige Organisationsform der sinnvolle nächste Schritt sein“, heißt es im Antrag der Fraktion. Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Forschungsministerin Anja Karliczek (beide CDU) zeigten sich bislang jedoch desinteressiert. Auch Innovationsexperten sehen die Pläne von FDP und Grünen teilweise skeptisch.
So lehnt der Vorsitzende der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), Uwe Cantner, den zentralen Ansatz der Transfergemeinschaft ab. Sowohl die Suche nach geeigneten Partnern als auch die Entwicklung einer Idee zur „Transfer-Reife“ seien tendenziell vor Ort und lokal zu lösen. „Eine zentrale One-Size-Fits-All-Lösung ist nicht angebracht und könnte Transfers sogar verhindern“, warnt der Innovationsberater der Kanzlerin im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Daneben löse eine Transfergemeinschaft nicht das Problem, dass es für die meisten Wissenschaftler zu wenig Anreize gebe, sich um die praktische Anwendung und Vermarktung ihrer Forschungsergebnisse zu bemühen. Hier könnten nur die Hochschulen selbst und der Gesetzgeber Abhilfe schaffen, fordert Cantner.
Sinnvoller ist nach Ansicht des EFI-Chefs das Konzept der Grünen, weil es auf eine neuartige, agile, missionsgetriebene Innovationspolitik ziele. Auch die EFI selbst drängt in ihrem jüngsten Gutachten auf neue Strukturen - „von temporären Taskforces über Neuzuschnitte von Ministerien bis hin zu Agenturlösungen“.
Gegen neue große, bürokratische Organisation
Cantner sieht jedoch die Gefahr, dass auch die „D.Innova“ der Grünen am Ende zu groß und bürokratisch gerät - und damit „dem aktuellen Forschungsministerium gar nicht so unähnlich.“ Zudem dürfe bei einer Agenturlösung keinesfalls „die Grundlagenforschung auf der Strecke bleiben“, warnt der Jenaer Ökonom. Gerade der Fall Biontech zeige, „dass eine frühzeitige Förderung der Grundlagenforschung zu hervorragenden Innovationen zum richtigen Zeitpunkt führen kann“.
Der Präsident des Stifterverbandes, Andreas Barner, ist jedoch froh über die Vorstöße von Grünen und FDP, denn sie „erkennen eine wichtige Förderlücke und weisen den Weg für eine bessere Nutzung der Innovationspotenziale Deutschlands“.
Die britische Agentur NESTA etwa zeige vorbildlich, wie man „ein neues Innovationsverständnis gesellschaftlich breit verankert“, sagte der Stifterverbandspräsident dem Handelsblatt. SPRIND-Chef Laguna fordert zudem, dass sich etwas in der Ausbildung ändere. „Wir sollten unternehmerisches Denken schon sehr früh bei der Ausbildung der Kinder verankern.“
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