Insolvenzverwalter Jörn Weitzmann „Zombie-Unternehmen leben auf Pump“

„Wenn es den alten Überschuldungsbegriff noch gegeben hätte, wären die Insolvenzen von Air Berlin oder Germania viel früher gekommen.“
An diesem Donnerstag kommen in Berlin alle wichtigen Fachleute für Insolvenzrecht und die Sanierung von Unternehmen zusammen. Die Branche richtet aus ihrer Sicht wichtige Anliegen an die Politik. Wer auch immer Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD), die nach Brüssel wechselt, im Amt nachfolgt, sollte gut zuhören.
Herr Weitzmann, auf dem Insolvenzrechtstag an diesem Donnerstag werden Sie fordern, die Insolvenzordnung nachzuschärfen. Warum?
Es greift zu kurz, wenn man sich nur darüber freut, dass die Zahl der Insolvenzen stetig zurückgeht. Es ist an der Zeit, die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den Blick zu nehmen. Nach der Lehman-Krise, also während der vergangenen zehn Jahre, haben wir eine deutliche Veränderung der EZB-Politik gesehen. Es ist die Politik des lockeren Geldes, die zur Blasenbildung führt und ganz erhebliche volkswirtschaftliche Folgewirkungen mit sich bringt.
Was heißt das konkret?
Ein Beispiel: Hamburg und Schleswig-Holstein erwägen, der Norddeutschen Landesbank (NordLB) faule Schiffskredite im Umfang von bis zu 4,8 Milliarden Euro abzunehmen. Das läuft außerhalb eines gesetzlichen und richterlich kontrollierten Verfahrens. Zum Vergleich: Laut Statistischem Bundesamt liegen die Insolvenzschäden 2018 bei 21 Milliarden Euro.
Wenn das mal in Relation gesetzt wird, dann sieht man die volkswirtschaftliche Bedeutung. Warum ging es denn Deutschland so gut in der Vergangenheit? Weil Unternehmen, die in die Krise kamen, rechtzeitig in den Turnaround gebracht wurden oder aber zum Marktaustritt. Das hat dazu geführt, dass die gesunden Unternehmen nicht weiter infiziert wurden. Diesen Regelmechanismus muss man sich aktuell mal wieder vor Augen führen.
Was sind besonders riskante Entwicklungen?
Zombie-Unternehmen, die auf Pump leben, sind ein gefährliches Phänomen. Nach OECD-Definition sind das Unternehmen, die mindestens zehn Jahre alt sind und es seit mehr als drei Jahren nicht mehr schaffen, ihren Schuldendienst aus operativem Gewinn zu begleichen. Sie haben eine negative Rendite und sind zumindest latent ausfallgefährdet. Nach den Gesetzen des Marktes müssten sie längst tot sein.
Warum ist das denn problematisch, wenn die Banken bereit sind, Kredite immer wieder zu verlängern?
Das Verhalten der Banken nennt man Evergreening. Sie verlängern ihre Kredite, obwohl sie diese eigentlich schon abschreiben müssten. Das ist häufig aus der Not heraus geboren. Oft sind es schwache Banken, die denken, sie könnten es sich nicht leisten, solche Kredite in voller oder gebotener Höhe abzuschreiben. Deshalb entscheiden sie sich zum Schutz ihrer eigenen Bankbilanzen, die Kredite zu verlängern. Insofern kommt es zur Blasenbildung: Zombie-Unternehmen wachsen, auch in Deutschland. Das zeigen Daten der OECD und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich.
Sie schimpfen auf die Banken. Aber die Lage scheint doch stabil.
Der Luftballon ist so lange stabil, bis er platzt. Es ist vielleicht eine temporär stabile Situation, aber volkswirtschaftlich nicht gesund. Das Kapital wird unproduktiv gebunden. Bei den Zombie-Unternehmen gibt es ein geringeres Wachstum und eine geringere Produktivität. Das führt gleichzeitig dazu, dass kreative Neu-Unternehmen von dem Markt ferngehalten werden.
Sie glauben, mit quasi staatlich gestützten Unternehmen ohnehin nicht mithalten zu können. Auf lange Sicht führt das zu sozialistischen Ineffizienzen. Es gibt dann keinen Leistungswettbewerb mehr, sondern einige Unternehmen haben trotz bestehender Ineffektivität faktisch Bestandskraft. Die Firmenlenker werden zusätzlich falsch angeleitet: Sie kümmern sich nicht um zusätzliche Produktivität und damit um die Sicherheit der Arbeitsplätze, sondern sorgen eher dafür, dass der Liquiditätsfluss weiterläuft.

„Wenn es den alten Überschuldungsbegriff noch gegeben hätte, wären die Insolvenzen von Air Berlin oder Germania viel früher gekommen.“
Welche Rolle spielen die Gläubiger?
Wichtig ist, dass in einem Markt Transparenz herrscht. Nur so können marktwirtschaftlich die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Gläubiger halten Zombie-Unternehmen häufig ungewollt künstlich am Leben. Deshalb ist es wichtig, dass die Beteiligten über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens Bescheid wissen.
Wenn Sie sich die hohen Insolvenzausfälle anschauen, auch bei großen Unternehmen, wo es um Milliardenschäden geht, werden Sie feststellen, dass diese Unternehmen zuletzt von Jahr zu Jahr deutlich steigende Verluste verbucht haben. Die Beteiligten wissen oft gar nicht, wie schlecht es um das Unternehmen steht und zeichnen Anleihen. Doch es gibt bereits zahlreiche Unternehmensanleihen, die ausgefallen sind. Da wird viel Kapital vernichtet.
Kritiker könnten meinen, die Zunft der Insolvenzverwalter sucht neue Geschäftsfelder.
Insolvenzrecht ist auch Verbraucherschutzrecht. Die beste Insolvenz ist die, die gar nicht stattfindet, weil vorher eine Sanierung gelingt. Hier geht es aber um Insolvenzverschleppung. Wer für die Insolvenz die wirtschaftliche Lage verantwortlich macht, müsste auch den Feuerwehrmann für den Brand verantwortlich machen. Die Firmenlenker haben lange vorher Zeit gehabt, die Krisenursachen zu erkennen und umzusteuern. Wenn sie das nicht geschafft haben, dann führt das dazu, dass Gläubiger das Steuer übernehmen und zusehen, was noch zu retten ist.
Was erwarten Sie in dieser Sache von der neuen Justizministerin, die ins Amt kommt, sobald die amtierende Ministerin Katarina Barley ins Europäische Parlament wechselt?
Die Nachfolgerin könnte darüber nachdenken, welche positiven Erfahrungen mit dem alten Überschuldungstatbestand gemacht wurden. Wenn ein Unternehmen überschuldet ist, also das Aktivvermögen nicht mehr ausreichend ist zur Abdeckung der Verbindlichkeiten, musste es in die Insolvenz. Als Folge der Finanzkrise wurde mit dem Finanzmarktstabilitätsgesetz der Überschuldungstatbestand temporär ausgesetzt. Jetzt ist der Insolvenzgrund der Überschuldung zunächst aufgeschoben, wenn die Unternehmensleitung erwartet, dass ein positiver Liquiditätszufluss für das laufende und das kommende Jahr da ist. Das führt zur Insolvenzverschleppung.
Gibt es dafür konkrete Beispiele?
Wenn es den alten Überschuldungsbegriff noch gegeben hätte, wären die Insolvenzen von Air Berlin oder Germania viel früher gekommen. Da bin ich mir sicher. Aus meiner Sicht hat sich dieser Teil des Finanzmarktstabilitätsgesetzes überholt. Allenfalls über Ausnahmen für die Finanz- und Versicherungswirtschaft ließe sich nachdenken. Das Ganze steht und fällt natürlich auch mit dem billigen Geld der EZB, das nicht risikoadäquat bereitgestellt wird. Hier muss die EZB wieder dringend den Leistungswettbewerb stützen.

Jörn Weitzmann ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein (DAV), die jährlich den Deutschen Insolvenzrechtstag veranstaltet.
Gerade wurde eine neue EU-Richtlinie für präventive Restrukturierungsrahmen beschlossen. Wird das Auswirkungen auf Zombie-Unternehmen haben?
Ja, denn die EU-Richtlinie verlangt Frühwarnsysteme. Wenn ein Unternehmen den Buchhaltungspflichten nachkommt, dann können Firmenlenker relativ schnell erkennen, wo sie stehen. Aus Gläubigerschutzgründen halte ich es für dringend notwendig, dass Unternehmen frühzeitig in die Sanierung gehen und, wenn das nicht gelingt, in die Insolvenz. Dadurch werden auch Dritte wie die Sozialversicherungskassen und der Fiskus geschützt.
Was muss die Politik hierzulande noch tun?
Die Justiz muss mehr in die Ausstattung der Insolvenzgerichte und der Beschwerdekammern stecken. Da gibt es im personellen Bereich deutlichen Nachholbedarf. Was nutzt es, wenn die Beschwerde gegen einen Insolvenzplan 18 Monate liegenbleibt? Dann ist das Unternehmen tot. Da ist eine schnelle und zügige Verfahrensabwicklung erforderlich. Nachholbedarf gibt es auch im sachlichen Bereich. Wer auf die digitale Akte umsteigen will, sollte vielleicht auch für WLAN im Gericht sorgen.
Herr Weitzman, vielen Dank für das Interview.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.
Achja Air Berlin, da hat man die Lufthansa zugunsten Niki Laudas massiv abgezockt.