Institut für Weltwirtschaft Felbermayr-Nachfolge: Die deutsche Wirtschaftswissenschaft steckt in einem fundamentalen Dilemma

Der Ökonom hinterlässt eine große Lücke am Institut für Weltwirtschaft.
Berlin Der Abgang ihres Präsidenten war für viele Mitarbeiter ein Schock. Im April hatte Gabriel Felbermayr angekündigt, das Institut für Weltwirtschaft (IfW) nach bloß zweieinhalb Jahren wieder zu verlassen. Felbermayr gilt als derjenige, der das altehrwürdige Institut an der Förde von seiner Lethargie befreit hat.
Der 45-Jährige ist vergangene Woche Richtung Wien an das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) abgezogen. Das IfW muss nun eine Interimslösung für den Posten des Präsidenten installieren. Stefan Kooths und Holger Görg werden aller Voraussicht nach an die Spitze des Instituts rücken, wie das Handelsblatt aus informierten Kreisen erfahren hat. Der offizielle Beschluss steht noch aus, gilt aber als Formsache. Ein Sprecher des IfW wollte die Personalien nicht kommentieren.
Kooths und Görg gelten als renommierte Ökonomen. Zweifel an ihrer Qualifikation für den vorübergehenden Spitzenposten gibt es nicht. „Die werden das gut machen, dafür lege ich meine Hand ins Feuer“, sagt ein Wegbegleiter. Doch allein die Notwendigkeit einer Interimslösung zeugt von einem Kardinalproblem der deutschen Ökonomie.
Verkrustete Strukturen verkomplizieren die Arbeit an den Instituten, erst recht an ihren Spitzenposten. Das ist weniger die Schuld der Verantwortlichen als die der Architektur der Einrichtungen. Das gilt besonders für die sechs größten Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland, die unter dem Dach der Leibniz-Gemeinschaft firmieren und von Bund und Ländern getragen werden.
Allein sich auf einen Kandidaten für ein Spitzenamt zu einigen, ist Schwerstarbeit. Als Stiftung des öffentlichen Rechts sprechen im Falle des IfW nicht bloß die Institutsverantwortlichen, sondern auch das Land Schleswig-Holstein, die Bundesregierung, die Leibniz-Gemeinschaft und die Kieler Christian-Albrechts-Universität mit. Erst gibt es eine Findungs-, danach eine Berufungskommission.
Institutspräsident im engen Korsett
Dass es dem IfW nicht gelingen würde, innerhalb eines halben Jahres eine Felbermayr-Nachfolge zu präsentieren, war den Verantwortlichen von Anfang an klar. Denn es handelt sich um ein strukturelles Problem. Dass es nun nicht einmal gelungen ist, die Interimslösung rechtzeitig offiziell zu machen, stößt umso mehr auf. „In so mancher Behörde verspüren die Mitarbeiter nicht den Druck, den das Institut verspürt, einen sinnvollen Übergang hinzubekommen“, sagt ein Beteiligter.

Der Konjunkturforscher wird voraussichtlich einer von zwei interimsmäßigen Präsidenten am Institut für Weltwirtschaft.
Ähnlich komplex ist die Lage am Institut für Finanzmarktforschung (SAFE). Die Frankfurter wurden im vergangenen Jahr in die Leibniz-Gemeinschaft aufgenommen, Jan Pieter Krahnen leitet bislang als wissenschaftlicher Direktor die Geschicke. Doch das Präsidentenamt ist noch vakant, nachdem die Bewerbungsfrist im Februar abgelaufen ist. Interessenten für die Stelle gibt es einige. Der Bonner Makroökonom Moritz Schularick etwa soll seit geraumer Zeit mit dem SAFE verhandeln – bislang ohne Einigung.
Neben dem langwierigen Verfahren ist die Suche nach einem geeigneten Kandidaten kein leichtes Unterfangen. Ein Institutspräsident muss mehr mitbringen, als ein guter Ökonom zu sein. Er muss führen können, einen guten Draht in die Belegschaft haben und das Institut nach außen präsentieren können. „Man muss vielseitig sein und es auch wollen, sich mit administrativen Aufgaben auseinanderzusetzen“, sagt Reint Gropp, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Christoph Schmidt, Präsident des Essener Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), nennt das Amt „eine ebenso herausfordernde wie faszinierende Aufgabe“.
Die Überzeugung des Auserkorenen ist die nächste Bürde. Viele wollen sich nicht in das enge Korsett zwängen, das eine Institutspräsidentschaft mit sich bringt. Da schickt es sich, auf der Ebene der Abteilungsleitung zu bleiben und sich auf sein Hauptaugenmerk in der Forschung fokussieren zu können.
Und immer mehr veranlagte Ökonomen wandern in die USA ab, zeigt das aktuelle Ökonomenranking des Handelsblatts. Neun von zehn nach ihrer Publikationsleistung führende Volkswirte unter 40 Jahren arbeiten an angelsächsischen Spitzenuniversitäten wie Yale, in Chicago oder London.
Einer von ihnen, Maximilian Kasy aus Harvard, sieht als Grund für die Abwanderung vor allem eine geringere Attraktivität der Forschungslandschaft. In Deutschland sei die Volkswirtschaftslehre intellektuell wie politisch deutlich konservativer als in den USA: „Das verhindert intellektuelle Vielfalt und ist für Nachwuchsforscher, die an intellektuellem Neuland interessiert sind, weniger attraktiv.“
„Wahrlich kein Ruhmesblatt“
In Kiel bereiten die komplexen Strukturen zunehmend Sorge. Ohne eine starke Person an der Spitze droht das 1914 gegründete IfW in alte Zeiten zurückzufallen. Als der Österreicher Felbermayr 2019 die Führungsposition übernahm, war die Einrichtung kaum von Gewicht. Der gut vernetzte Felbermayr änderte das. Mit klarer Artikulation gegenüber der Öffentlichkeit wie auch der Politik wusste er zu überzeugen, so erzählen es Ökonomen aller Couleur.
Es glaubt zwar keiner, dass unter Kooths und Görg die alten Zeiten direkt wieder ausbrechen. Doch trotz ihres guten Rufs ist klar, dass es möglichst schnell eine dauerhafte Lösung braucht. Görg, der den Bereich internationaler Handel und Investitionen verantwortet, ist öffentlich wenig sichtbar. Er hat sich vielmehr durch seine empirischen Arbeiten einen Namen gemacht.

Der Außenhandelsexperte wird voraussichtlich einer von zwei interimsmäßigen Präsidenten am Institut für Weltwirtschaft.
Konjunkturchef Kooths ist vor allem als Vorsitzender der Hayek-Gesellschaft bekannt, benannt nach dem Ökonomen Friedrich August Hayek, einem der bedeutendsten Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Hayekianer Kooths ist als marktliberaler Kommentator in der Fachöffentlichkeit anerkannt. „Das Format eines Felbermayrs und die Drähte in die Politik bringen beide aber nicht mit“, sagt ein Beteiligter.
Es ist nicht so, dass es an adäquatem Ersatz mangeln würde. Der Düsseldorfer Arbeitsmarkts- und Regionalexperte Jens Südekum, die Frankfurter Ökonomin Nicola Fuchs-Schündeln oder Bruegel-Chef Guntram Wolff waren zum Beispiel gehandelt worden. Mit manchen Kandidaten sollen die Gespräche noch andauern, andere hätten bereits deutlich gemacht, keine Lust auf die Einschränkungen als Institutschef zu haben.
Und so ist die Besetzung der Spitzenposition weiter komplett offen, heißt es. In Kiel rechnet man nicht damit, dass sich das noch in diesem Jahr ändern wird. Die komplizierte Suche sei „wahrlich kein Ruhmesblatt“ für die Beteiligten, sagt ein Insider.
Trotz ihres eingeschränkten Einflusses auf die Rahmenbedingungen, einen Schritt wollen die Kieler jetzt gehen. Es soll laut Handelsblatt-Informationen zu einer Satzungsänderung kommen, damit der Präsident nicht mehr allein haftet. Stattdessen soll IfW-Geschäftsführerin Birgit Austen-Bosy gleichgestellt werden. Austen-Bosy verantwortet dann die finanziellen Geschicke, der Präsident die wissenschaftlichen – wie auch immer er oder sie demnächst heißen mag.
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