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Interview Grünen-Vize Jamila Schäfer: Eine zukunftsfähige Regierung „ist die Messlatte“

Die Grünen-Parteivize Jamila Schäfer setzt erste inhaltliche Akzente für die Sondierungen in den kommenden Tagen. Zeitdruck will sie dabei jedoch vermeiden.
30.09.2021 - 18:37 Uhr Kommentieren
Schäfer ist in München mit einem Direktmandat in den Bundestag gewählt worden. Quelle: dpa
Jamila Schäfer

Schäfer ist in München mit einem Direktmandat in den Bundestag gewählt worden.

(Foto: dpa)

Berlin Die per Direktmandat neu in den Bundestag gewählte Grünen-Vize Jamila Schäfer fordert, bereits bei den Sondierungen in den nächsten Tagen Themen nicht auszuschließen, in denen zwischen Grünen, FDP und SPD die größten Differenzen bestehen. „Wir müssen auch über die schwierigeren Punkte sprechen, um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen“, sagte Schäfer dem Handelsblatt.

Es sei „inhaltlich eine Herausforderung, mit der FDP, aber auch der SPD“ etwa beim Klimaschutz weiterzukommen. „Die SPD muss es hinter sich lassen, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gegeneinander auszuspielen“, sagte sie weiter. Der FDP kaufe sie ab, die Dringlichkeit des Themas erkannt zu haben. Das Problem sei, dass die Liberalen diese Dringlichkeit mit ihren Maßnahmen aber nicht hinterlegt hätten.

Schäfer ist seit 2018 Mitglied des sechsköpfigen Grünen-Bundesvorstands. Zwischen 2015 und 2017 war sie Bundessprecherin der Grünen Jugend. Bei den Bundestagswahlen vergangenen Sonntag gelang ihr ein historischer Erfolg: Als erste Politikerin der Grünen errang die 28-Jährige ein Direktmandat in Bayern – im Wahlkreis München-Süd.

Von einem Erfolg der Gespräche mit FDP und SPD ist sie überzeugt. „Es ist doch deutlich geworden, dass sich viele Menschen eine moderne Politik wünschen, Aufbruch und Veränderung“, sagte Schäfer. Eine Koalition mit der Union will sie jedoch nicht ausschließen.

„Wir wollen auf dem Parteitag am Samstag beschließen, dass die Grünen für eine zukunftsfähige Regierung bereitstehen“, sagte sie auf die Frage, ob die Parteibasis einer Koalition mit der Union zustimmen würde. „Das ist die Messlatte – auch für ein Bündnis mit der Union.“

Die Grünen trügen die Verantwortung, dafür zu sorgen, „dass eine neue Regierung genau das im Auge hat“. Man merke jedoch schon vor den Sondierungen atmosphärisch, „dass auch die anderen Gesprächspartner Lust haben, etwas zu verändern“, sagte sie weiter. „Das ist schon mal eine gute Grundlage.“

Lesen Sie hier das vollständige Interview

Frau Schäfer, steht am Sonntag die Ampel?
Es kommt jetzt nicht darauf an, Zeitdruck aufzubauen. Wichtig ist, dass wir uns über die gemeinsame Substanz einigen. Zudem treffen wir uns erst am Sonntagnachmittag das erste Mal mit der SPD.

Wie optimistisch sind Sie, dass die Gespräche zu einer Regierungsbeteiligung der Grünen führen?
Es ist doch deutlich geworden, dass sich viele Menschen eine modernere Politik wünschen, Aufbruch und Veränderung. Wir Grüne haben die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass eine neue Regierung genau das im Auge hat. Das Thema Klimaschutz ist entscheidend, und der muss sozial gerecht umgesetzt werden. Außerdem müssen wir wirtschaftspolitisch in eine progressive Richtung vorankommen. Und bislang bin ich ganz zuversichtlich, dass wir das in den nächsten Wochen auch hinbekommen. Man merkt schon vor den Sondierungen atmosphärisch, dass auch die anderen Gesprächspartner Lust haben, etwas zu verändern. Das ist doch schon mal eine gute Grundlage.

Was ist Ihr Wunsch an die Gespräche am Freitag?
Es gibt Punkte, bei denen wir schneller zusammenkommen – also beispielsweise gesellschaftspolitische Fragen, ein Einwanderungsgesetz, die Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche und ein Cannabiskontrollgesetz. Hier sehe ich viele Schnittmengen mit der FDP, über die wir Einigung erzielen können. Es wird allerdings auch um schwierigere Punkte gehen.

Zum Beispiel?
Etwa den Klimaschutz, den wir am Freitag hoffentlich ernsthaft besprechen. Wir müssen auch über die schwierigeren Punkte sprechen, um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen.

Welche Fallstricke sehen Sie?
Wir haben ambitioniertere Pläne, das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten. Es ist also inhaltlich eine Herausforderung, mit der FDP, aber auch mit der SPD, beim Klimaschutz weiterzukommen. Die SPD muss es hinter sich lassen, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gegeneinander auszuspielen. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam vorankommen. Deutschland ist schließlich völkerrechtlich dazu verpflichtet, das Pariser Abkommen einzuhalten, und dafür braucht es endlich Maßnahmen auf der Höhe der Herausforderungen.

Mögliche Kompromisse

Die FDP nimmt den Klimaschutz auch so ernst, wie sich die Grünen das vorstellen?
Ich kaufe es der FDP ab, dass sie die Dringlichkeit des Themas erkannt hat. Das Problem ist, dass die FDP diese Dringlichkeit mit ihren Maßnahmen nicht hinterlegt. Ein Emissionshandel wird in der Praxis den CO2-Ausstoß nicht schnell genug senken, da die dafür nötige europäische Einigung sehr, sehr viel Zeit benötigt. Und ein CO2-Deckel ohne vorausschauende Maßnahmen würde zu großen sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen führen – und ist damit kein seriöser Vorschlag. Das Produzieren von Überschriften in der Klimapolitik muss beendet werden, wenn die Bürgerinnen und Bürger eine neue Regierung ernst nehmen sollen.

Und in der Finanzpolitik? Da sind die Unterschiede groß.
Ich verstehe bis heute nicht, wie die FDP ein Programm vorlegen konnte, das Besserverdiener entlastet und damit große Lücken in den Haushalt reißt, und gleichzeitig an der Schuldenbremse festhält. Und das, obwohl wir genau jetzt große Zukunftsinvestitionen zu leisten haben. Da gibt es also einige schwierige Punkte.

Wäre ein Investitionsfonds ein denkbarer Kompromiss?
Das werden wir uns ansehen. Mir geht es nicht um das Instrument, sondern darum, dass die notwendigen Investitionen endlich getätigt werden können.

Wie könnte die eine Geschichte lauten, die eine Ampel tragen könnte?
Wir brauchen eine neue Art des Politikmachens, eine Vision von der Zukunft – und keinesfalls eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners. Es braucht einen Rahmen, in dem unser Wirtschaften klimaneutral stattfinden kann und sich die Menschen bestmöglich entfalten können. Die Herausforderung ist dann, diese große Erzählung mit den erforderlichen Maßnahmen unter einen Hut zu bekommen. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingen kann, weil ich auch bei FDP und SPD die Bereitschaft erkenne, eine Modernisierung des Landes hinzubekommen.

Verhältnis zur Union

Wäre beim Klimaschutz die Union nicht der leichtere Partner? Die SPD hat sich in der Vergangenheit ziemlich hartleibig gezeigt.
Wir haben vor der Wahl gesagt, wir sprechen mit allen demokratischen Parteien. Und wir haben auch klargemacht, die nächste Regierung muss eine Klimaregierung sein. Nur scheint die Union ja im Moment nicht besonders verhandlungsfähig.

Jamaika schließen Sie aus, wie es etwa die Grüne Jugend fordert?
Es wäre jedenfalls eine Koalition mit einem Wahlverlierer. Das macht es nicht gerade einfacher. Aber wir sind gesprächsbereit. Es geht jetzt nicht darum, irgendetwas auszuschließen. Sondern darum, wie wir der Verantwortung gerecht werden können, die Klimaziele einzuhalten, die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen, Zukunftsinvestitionen vorzunehmen und eine glaubwürdige Außenpolitik hinzubekommen. Ich glaube aber, dass die Ampelkoalition die wahrscheinlichere und geeignetere Option ist.

Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, dass die Basis einer möglichen Jamaika-Koalition zustimmt?
Wir wollen auf dem Parteitag am Samstag beschließen, dass die Grünen für eine zukunftsfähige Regierung bereitstehen. Das ist die Messlatte – auch für ein Bündnis mit der Union. Eine Zustimmung würde deswegen sehr stark von dem Programm abhängen, das wir aushandeln.

Welche Verhandlungsmasse sehen Sie abseits von Fachthemen? Katrin Göring-Eckardt wird etwa als Bundespräsidentin gehandelt.
Ich halte es für absurd, jetzt Posten zu verteilen, bevor Koalitionsverhandlungen begonnen haben.

Uns ist aufgefallen, dass Ihr Verhandlungsteam nicht wirklich divers ist.
Wir haben ein engeres Sondierungsteam, um die Verhandlungen zu führen, und ein breiteres, um die Verhandlungen vorzubereiten und die Verankerung in der Partei sicherzustellen. Das 24-köpfige Team repräsentiert aufgrund seiner Größe differenzierter als das engere Team die Breite der Partei.

Was sind Ihre Forderungen auf die Zusammensetzung der nächsten Regierung?
Es ist absolut wichtig, dass wir in der Regierungsarbeit Menschen mit Migrationsgeschichte einbinden. Das ist bisher zu wenig passiert. Und zum Thema Diversität allgemein: Mit Awet Tesfaiesus ist die erste schwarze Frau in der Geschichte des Parlaments über unsere Fraktion eingezogen. Dass das jetzt erst möglich wurde, zeigt, dass wir noch längst nicht da sind, wo wir sein müssten.

Mehr: Wie andere Länder Mehr-Parteien-Koalitionen bilden

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