Interview Karl Lauterbach zur Cluster-Identifizierung: „So können wir die Pandemie schneller und gezielter eindämmen“

Lauterbach sieht die Cluster-Problematik als europaweites Problem an. Man müsse sich an Länder wie Japan und Korea halten, die schon frühzeitig reagiert hätten, fordert der Gesundheitsexperte.
Bund und Länder wollen heute über den bundesweiten Einsatz der App Luca in allen Gesundheitsämtern entscheiden. Die Corona-Tracing-App verspricht direkten Zugriff auf Personen, die sich an den gleichen Orten wie ein Infizierter aufgehalten haben, etwa gemeinsame Büros, Restaurants oder Kinos.
Die Nutzer checken sich vor Ort mit einem QR-Code ein, die Daten werden verschlüsselt und direkt ans Gesundheitsamt übermittelt. So kann das Gesundheitsamt Cluster, in denen einzelne Infizierte eine Vielzahl von anderen anstecken, auch Hotspots genannt, schneller erkennen. So können Betroffene gewarnt beziehungsweise gebeten werden, zu Hause zu bleiben und nicht noch mehr Menschen anzustecken.
Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte der SPD, hatte bereits im vergangenen Sommer betont, wie wichtig diese Cluster-Identifikation ist. Jedoch sei in Deutschland diese Art der Verfolgung bisher zu selten angewendet worden.
Das Problem sei oft die Software in vielen Gesundheitsämtern, erklärt der SPD-Politiker jetzt im Handelsblatt-Interview. Viele der Anwendungen könnten Daten, zum Beispiel den Namen der Schule, gar nicht vernünftig aufnehmen, sodass keine Cluster-Identifizierung möglich sei.
Lauterbach sieht die Cluster-Problematik als europaweites Problem. Man müsse sich an Länder wie Japan und Korea halten, die schon frühzeitig reagiert hätten, fordert er.
Lesen Sie hier das ganze Interview:
Herr Lauterbach, kennen Sie die App Luca?
Ich kenne die App, ich habe mich schon intensiv mit Smudo und dem Luca-Team ausgetauscht. Ich denke, Luca kann einen wesentlichen Beitrag für die Corona-Bekämpfung leisten.
Warum?
Die App hat das Potenzial, Cluster zu erkennen. Wenn sich zum Beispiel die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben und die Schülerinnen und Schüler in der Klasse mit dem QR-Code einchecken, bilden sich automatisch Cluster, die die App erkennt.
Warum ist die Cluster-Identifizierung so wichtig?
Wir wissen, wo sich vermutlich eine größere Personenzahl angesteckt hat und können reagieren. Wir können dann etwa immer das ganze Cluster, also zum Beispiel eine ganze Schulklasse, in Quarantäne schicken und testen, wenn wir wissen, dass dort eine Person war, die mit Corona infiziert ist. Statt die ganze Schule nach Hause zu schicken oder die Ausbreitung des Clusters zu verpassen. So können wir die Pandemie schneller und gezielter eindämmen, als wenn wir uns um Tausende Einzelfälle kümmern müssen.
Haben wir diese Information nicht schon heute?
Wir haben in Deutschland viel zu wenig bis gar keine Cluster-Identifizierung. Dabei wird sie vor dem Hintergrund der Mutationen, etwa der britischen B 1.1.7, noch wichtiger. Mit der Mutation sind Infizierte nicht nur noch ansteckender, sondern auch wahrscheinlich für einen längeren Zeitraum ansteckend. Damit werden die Cluster noch größer. Deswegen ist es so wichtig, sie rechtzeitig zu erkennen und zu handeln.
Warum haben wir diese Information nicht?
Das Problem ist unter anderem die Software vieler Gesundheitsämter, mit der sie gar nicht in der Lage sind, Cluster zu erkennen. Sie nehmen viele Daten wie zum Beispiel den Namen des Betriebs oder der Schule nicht auf. Und selbst wenn, ist es schwierig, sie übereinanderzulegen. Weil der Name des Unternehmens etwa nicht immer gleich geschrieben wird. Deswegen findet Cluster-Identifizierung mit Ausnahme einiger Schulklassen nicht statt.
Ist das in anderen Ländern anders?
Ich kenne in Europa kein einziges Land, das sich wie einige asiatische Staaten intensiv mit der Cluster-Identifikation beschäftigt hat. Da haben Länder wie Japan oder Korea deutlich eher reagiert.
Einige Länder berechnen auch den sogenannten K-Wert, also welcher Anteil der Bevölkerung den anderen ansteckt. Wieso machen wir das in Deutschland nicht?
Der K-Wert ist so wertvoll wie die Datengrundlage, auf der er berechnet wird. Und weil wir in Deutschland eben nicht genug Daten zu Clustern haben, wäre der K-Wert wahrscheinlich sehr schwer zu interpretieren. In der Corona-Pandemie hat das RKI nicht alles richtig gemacht, aber das kann man dem Institut nicht vorwerfen. Die Berechnungsgrundlage ist zu dünn.
Braucht es für die Cluster-Identifikation wirklich eine neue App?
Eine Cluster-Identifikation, wie Christian Drosten und ich sie schon im vergangenen Sommer für die Bekämpfung der zweiten Welle gefordert haben, hätte damals auch schon ohne App funktioniert. Aber vielleicht hilft ja die Diskussion rund um die App, dieses Thema wieder stärker in den Fokus zu rücken.
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