Interview Kassenärzte-Chef Gassen erwartet Verzögerungen beim Impfstart in Praxen

Der Chef des Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist überzeugt, dass die Impfzentren trotz des Stopps weiterhin eine flankierende Rolle spielen werden.
Nach dem Astra-Zeneca-Impfstopp warnen die Kassenärzte vor weiteren Verzögerungen bei flächendeckenden Impfungen in Arztpraxen. „Von den 60 Millionen Impfdosen, die im zweiten Quartal fest eingeplant sind, entfallen knapp 17 Millionen auf Astra-Zeneca“, sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, dem Handelsblatt. „Wenn die auch nur vorübergehend ausfallen, dann wird es schwieriger, mit dem Impfen in den Praxen zu beginnen.“
Gassen sagte, er rechne „auf jeden Fall mit Verzögerungen“. Zugleich zeigte er Verständnis für die Entscheidung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). „Was hätte Jens Spahn denn anderes entscheiden sollen?
Hätte er sich als Gesundheitsminister über die fachliche Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts hinwegsetzen sollen?“, so Gassen. „Das wäre keine echte Option gewesen. Es ist immer wohlfeil, so etwas zu fordern, wenn man das nicht selbst entscheiden muss.“
Der KBV-Chef forderte, den verschobenen Impfstoffgipfel von Bund und Ländern „sehr bald“ stattfinden zu lassen. „Schließlich wollen wir erreichen, dass wir die Bevölkerung im Sommer größtenteils durchgeimpft haben, um dann auch alle sonstigen Maßnahmen einstellen zu können“, sagte Gassen. Deshalb müssten Bund und Länder dafür sorgen, „dass die Impfstofflieferungen verlässlich in die Praxen kommen“.
Lesen Sie hier das ganze Interview:
Herr Gassen, was bedeutet die Astra-Zeneca-Aussetzung für das geplante Impfen in Praxen?
Insgesamt bremst die Entscheidung die gesamte Impfstrategie. Die Impfstofflieferungen reichen derzeit ohnehin nicht aus, und Astra-Zeneca spielt beim Gesamtumfang noch eine wichtige Rolle. Von den 60 Millionen Impfdosen, die im zweiten Quartal fest eingeplant sind, entfallen knapp 17Millionen auf Astra-Zeneca. Wenn die auch nur vorübergehend ausfallen, dann wird es schwieriger, mit dem Impfen in den Praxen zu beginnen. Auf jeden Fall rechne ich mit Verzögerungen.
Im April wird es also nichts mit dem Impfstart in den Praxen?
Eher nicht. Aber das war schon vor der Aussetzung von Astra-Zeneca unwahrscheinlich, weil es einfach noch nicht genügend zugesagte Impfstoffdosen gibt, damit die Arztpraxen flächendeckend impfen können.
Ist es richtig, mit der Verimpfung von Astra-Zeneca zu pausieren?
Was hätte Jens Spahn denn anderes entscheiden sollen? Hätte er sich als Gesundheitsminister über die fachliche Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts hinwegsetzen sollen? Das wäre keine echte Option gewesen. Es ist immer wohlfeil, so etwas zu fordern, wenn man das nicht selbst entscheiden muss.
Hätte das Paul-Ehrlich-Institut eine andere Empfehlung geben sollen?
Möglicherweise wäre es eine Option gewesen, dass man die Impfungen mit Astra-Zeneca weiterlaufen lässt und die Lage weiter beobachtet. Es handelt sich ja um sehr wenige Fälle, wo es Hinweise auf Komplikationen gibt. Jetzt müssen wir hoffen, dass die Überprüfung zügig abgeschlossen wird.
Schadet die Aussetzung dem Vertrauen in das Impfen?
Ich hoffe nicht. Es gibt sicher mehr als genug Menschen, die sich weiter mit Astra-Zeneca impfen lassen wollen. Aber wir stellen fest, dass das Vertrauen in die Pandemiebekämpfung insgesamt erschüttert ist. Auch nach fünf Monaten Lockdown haben wir es, fast erwartungsgemäß, nicht geschafft, die Fälle flächendeckend stabil auch nur in die Nähe einer Sieben-Tage-Inzidenz von 50 zu senken – trotz der harten Maßnahmen. Der beste und wohl einzige Ausweg ist nun, über das Impfen eine Herdenimmunität zu erreichen.
Hätte man die niedergelassenen Ärzte früher einbinden sollen, um das Impftempo zu beschleunigen?
Die Frage stellt sich in der Tat. Das Impfgeschäft ist eigentlich in den Praxen beheimatet. Jeden Herbst impfen Haus- und Fachärzte professionell und ohne großes Aufheben Millionen Menschen gegen die Grippe. Die Voraussetzung dabei ist aber immer, dass wir auch genügend Impfstoffdosen zur Verfügung haben. Wenn das spätestens im Mai der Fall ist, müssen die Praxen die Impfzentren als Hauptweg der Impfungen ablösen.
Und die Impfzentren sollten dann dichtgemacht werden?
Nein, sie werden weiter eine flankierende Rolle spielen. Aber die Zentren stoßen schon jetzt an Kapazitätsgrenzen. Außerdem sind sie gerade für ältere Menschen nicht immer leicht zu erreichen. Die richtigen PS bringen beim Impfen nur die Praxen mit ihrem breiten und wohnortnahen Netz auf die Straße. Für die Patienten ist das auch besser: Sie kennen ihre Haus- und Fachärzte, und die kennen ihre Patienten und deren gesundheitliche Risiken.
Welche Erwartung haben Sie an den verschobenen Impfstoffgipfel?
Das Treffen muss sehr bald stattfinden. Schließlich wollen wir erreichen, dass wir die Bevölkerung im Sommer größtenteils durchgeimpft haben, um dann auch alle sonstigen Maßnahmen einstellen zu können. Bund und Länder müssen dafür sorgen, dass die Impfstofflieferungen verlässlich in die Praxen kommen. Wir haben hier mit dem Großhandel ein Konzept ausgearbeitet, das an die üblichen Bestellwege für Medikamente und Impfstoffe anknüpft. Das ist kein Hexenwerk. Wir müssen weg von der Logik, dass sich die Länder die größten Mengen für ihre Impfzentren reservieren lassen.
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