Interview Länder-Arbeitgeberchef Reinhold Hilbers: „Wir wollen niemandem etwas wegnehmen“

Der TdL-Chef warnt vor einer Lohn-Preis-Spirale: „Eine dauerhaft hohe Inflation ist immer auch durch die Löhne getrieben.“
Berlin Vor dem Start der Tarifverhandlungen für die rund 1,1 Millionen Tarifbeschäftigten der Länder verweisen die Arbeitgeber auf die angespannte Finanzlage. „Die Steuereinnahmen liegen immer noch deutlich unter dem Vorkrisenniveau“, sagt der Vorsitzende der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), Niedersachsens Finanzminister Reinhold Hilbers, im Interview mit dem Handelsblatt. „Wenn wir die Lücke schließen und rasch zu ausgeglichenen Haushalten ohne Schulden zurückkehren wollen, dann wird das nur mit strukturellen Einsparungen und Wachstum gelingen.“
Angesichts der Finanzlage und vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung seien die Gewerkschaftsforderungen „illusorisch“, betonte der CDU-Politiker. Verdi und der Beamtenbund fordern für die Beschäftigten ein Entgeltplus von fünf Prozent, mindestens aber 150 Euro, bei einer Laufzeit von einem Jahr. Die Löhne und Gehälter im Gesundheitswesen sollen um 300 Euro angehoben werden.
Die Arbeitgeber beziffern das Volumen der Gewerkschaftsforderung auf 7,5 Milliarden Euro, wenn der Abschluss – wie von den Gewerkschaften gefordert – auch auf die Beamten und Versorgungsempfänger in den Ländern und Kommunen übertragen würde. Insgesamt wären dann rund 3,5 Millionen Beschäftigte und Pensionäre betroffen.
TdL-Chef Hilbers betonte die Entschlossenheit der Arbeitgeber, über das Thema Arbeitsvorgang reden zu wollen. Dabei geht es um die Eingruppierung von Beschäftigten. Die Gewerkschaften fürchten starke Herabstufungen und zeigen sich bisher nicht gesprächsbereit. „Es kann nicht sein, dass nur über die Gewerkschaftsforderungen verhandelt wird und unsere eigenen außen vor bleiben“, sagte Hilbers dazu.
Es gehe nicht darum, Arbeitnehmer schlechterzustellen: „Wir wollen niemandem etwas wegnehmen.“
Lesen Sie hier das vollständige Interview mit dem TdL-Vorsitzenden Reinhold Hilbers:
Mit Ihrer Fünf-Prozent-Forderung sind die Gewerkschaften bescheidener als vor zwei Jahren. Trotzdem warnen Sie davor, „illusorische Erwartungen“ zu wecken.
Neben der prozentualen Steigerung von fünf Prozent fordern die Gewerkschaften für dieses Jahr einen Mindestbetrag von 150 Euro, in der Pflege sogar 300 Euro. Die höchste Steigerung liegt deshalb bei 7,3 Prozent, im Pflegebereich sogar bei 12,8 Prozent. Das ist zweieinhalbmal so hoch wie die geforderten fünf Prozent. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung sind diese Forderungen illusorisch. Sie würden die Länder mit jährlich 7,5 Milliarden Euro zusätzlich belasten. Das sind Summen, die die Haushalte nicht verkraften können. Die Finanzsituation ist sehr angespannt.
Die Verbraucherpreise haben zuletzt um knapp vier Prozent angezogen. Glauben Sie nicht, dass die Gewerkschaften dies einpreisen?
Die aktuell hohen Werte sind stark von temporären Effekten getrieben. Ich erwarte, dass die Inflation sich zunächst wieder abschwächt, wir aber mittelfristig etwas höhere Werte haben werden. Umso mehr müssen wir aufpassen, keine Lohn-Preis-Spirale in Gang zu setzen. Eine dauerhaft hohe Inflation ist immer auch durch die Löhne getrieben.
Auch die Gewerkschaften sehen natürlich, dass die Steuereinnahmen durch Corona eingebrochen sind. Für die Jahre 2021 bis 2025 erwarten die Steuerschätzer aber einen Anstieg von durchschnittlich 3,8 Prozent pro Jahr. Da müsste doch Spielraum für Entgelterhöhungen da sein, oder nicht?
Die Steuereinnahmen liegen immer noch deutlich unter dem Vorkrisenniveau, in Niedersachsen 2022 voraussichtlich um 1,3 Milliarden Euro. Wenn wir die Lücke schließen und rasch zu ausgeglichenen Haushalten ohne Schulden zurückkehren wollen, dann wird das nur mit strukturellen Einsparungen und Wachstum gelingen. Deshalb muss der Anstieg der Kosten unter dem Anstieg der Einnahmen liegen. Und dass die Personalkosten, die 40 bis 50 Prozent unserer Gesamtkosten ausmachen, daran einen Anteil haben müssen, ist klar.
Die Länder haben für die Rückzahlung der Coronaschulden sehr unterschiedliche Tilgungspläne vorgelegt, die von drei Jahren in Sachsen-Anhalt bis zu 50 Jahren in NRW reichen. Inwieweit wird diese Mehrbelastung in den Verhandlungen eine Rolle spielen?
Zunächst ist für mich wichtig, wie die strukturellen Einnahmen aussehen. Aber natürlich müssen auch die Kredite getilgt werden. Wir in Niedersachsen machen das in 25 Jahren, was den Haushalt mit jährlich rund 200 Millionen Euro belastet.
Verdi und Beamtenbund wollen für Beschäftigte des Gesundheitswesens Sonderkonditionen aushandeln und an einem separaten „Tisch“ verhandeln. Machen Sie da mit?
Wir haben bei der letzten Lohnrunde 2019 für die Pflege und den Sozial- und Erziehungsdienst sehr viel getan und attraktivere Entgelttabellen ausgestaltet. In kaum einem Bereich hat es so starke Entgeltsteigerungen gegeben wie bei Pflege und Gesundheit. Deshalb sind wir gut beraten, die Einheitlichkeit der Tarifpolitik zu bewahren und nur auf Spitzenebene und nicht für bestimmte Berufe gesondert zu verhandeln.
Sie haben eine Neuregelung des Arbeitsvorgangs zur Bedingung für den Abschluss gemacht – ein rotes Tuch für die Gewerkschaften. Laufen Sie da nicht sehenden Auges in einen Arbeitskampf hinein?
Das weiß ich nicht, aber es kann nicht sein, dass nur über die Gewerkschaftsforderungen verhandelt wird und unsere eigenen außen vor bleiben.
Worum geht es genau?
Im Kern geht es darum, dass anspruchsvolle Tätigkeiten höher vergütet werden als weniger anspruchsvolle Tätigkeiten. Um das zu ermessen, waren wir uns mit den Gewerkschaften jahrzehntelang einig, dass der Arbeitsvorgang in möglichst kleine Bewertungseinheiten zerlegt werden soll. Das Bundesarbeitsgericht nimmt nun aber inzwischen regelmäßig an, dass das gesamte Aufgabengebiet eines Beschäftigten ein großer einheitlicher Arbeitsvorgang ist.
Und was bedeutet das?
Schon wenn darin nur einige wenige anspruchsvolle Tätigkeiten enthalten sind, muss das Entgelt nach der Spitzengruppe bezahlt werden. Das ist für die Länder nicht nur mit erheblichen Mehrkosten verbunden, sondern hemmt auch die Weiterentwicklung der Beschäftigten. Denn wenn Arbeitgeber künftig auch für einfache Tätigkeiten viel mehr bezahlen müssen, nur weil sie den Beschäftigten ab und zu eine komplexere Aufgabe anvertrauen, dann werden sie eher alle einfachen Arbeitsplätze von komplexeren Aufgaben entrümpeln, als mehr Geld zu bezahlen.
Sie haben nach der jüngsten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum Arbeitsvorgang sogar Verfassungsbeschwerde eingelegt. Haben Sie schon Rückmeldung, ob diese angenommen wird?
Nein, noch nicht. Aber ich würde gern den Streit auch außerhalb des Gerichts auf dem Verhandlungswege lösen. Wir werden jedenfalls über strukturelle Fragen wie Verbesserungen für einzelne Beschäftigtengruppen nur reden, wenn die Gewerkschaften mit uns auch über den Arbeitsvorgang verhandeln.
Die Gewerkschaften werfen Ihnen vor, in Wahrheit auf eine massive Verschlechterung vieler Eingruppierungen abzuzielen, was letztendlich weniger Geld für die Beschäftigten bedeutet.
Wir wollen niemandem etwas wegnehmen, sondern nur den Konsens wiederherstellen, den es bei der Bewertung des Arbeitsvorgangs lange gab. Wir verhindern damit vielleicht, dass das, was das Bundesarbeitsgericht jetzt entschieden hat, in einzelnen Bereichen in Anspruch genommen werden kann. Damit stellen wir aber nur den vorherigen Zustand wieder her.
Hessen, das nicht mehr der Tarifgemeinschaft angehört, wird in diesem Jahr wahrscheinlich eher einen Abschluss erzielen als Sie. Fürchten Sie nicht, dass die Latte da hoch gelegt wird?
Wir verhandeln für 15 Länder mit sehr unterschiedlicher Haushalts- und Einnahmensituation. Das ist komplexer, als nur für ein Bundesland einen Abschluss zu erzielen. Ich werde mich von hessischen Ergebnissen nicht leiten lassen – sonst würde ja der Schwanz mit dem Hund wedeln.
Hessen wäre gern in die TdL zurückgekehrt, durfte aber nicht, Berlins Mitgliedschaft ist wegen des Streits um eine Berlinzulage ruhend gestellt. Steht die Tarifgemeinschaft vor der Erosion?
Die TdL ist stark und tritt geeint auf. Dass Hessen wieder eintreten wollte, zeigt ja, dass wir hochattraktiv sind. Nur hat Hessen Sonderregelungen, die über unsere Abschlüsse hinausgehen. Will das Land wieder rein, muss es sich zumindest mittelfristig an das TdL-Niveau anpassen. Berlin kann wieder Vollmitglied werden, wenn es bei der nächsten Gehaltserhöhung die umstrittene Umlage abschmilzt – und ich hoffe, dass das Land von dem Angebot Gebrauch macht.
Haben wir eher einen Länder-Tarifabschluss oder eher eine neue Bundesregierung?
Ich glaube, dass die möglichen Partner einer Ampel noch sehr weit auseinanderliegen und es vielleicht noch längere Jamaika-Verhandlungen gibt. Wir werden jedenfalls versuchen, noch in diesem Jahr einen Abschluss zu erzielen.
Sollte die Union im Bund weiter eine Regierungsbeteiligung anstreben oder nach dem Wahldebakel in die Opposition gehen?
Wir haben keinen Anspruch und auch keinen Auftrag, die Regierung zu bilden. Aber weil die Positionen bei der Ampel doch sehr weit auseinanderliegen, sollte man ein Jamaika-Bündnis nicht völlig aufgeben. Denken Sie bei der Ampel nur an die Rolle des Staates. Die SPD-Linken wollen einen starken Staat, der sehr expansiv Geld ausgibt und sich intensiv ins Wirtschaftsgeschehen einmischt. Die FDP setzt dagegen sehr stark auf die Kräfte des Marktes, auf Freiheit, Deregulierung und die Senkung von Kosten und Steuern. Das passt nicht zusammen. Wir machen als Union das Angebot, dass mit uns eine Mehrheit möglich ist, die auf bürgerlichen Grundsätzen fußt.
Egal ob Ampel oder Jamaika – die Grünen sind sehr wahrscheinlich an der nächsten Bundesregierung beteiligt und haben die Schuldenbremse infrage gestellt. Glauben Sie, dass sie fällt?
Nein, denn ich sehe nicht die für die Grundgesetzänderung erforderliche Zweidrittelmehrheit. Es wäre auch das völlig falsche Signal, das Investoren abschrecken würde und nicht generationengerecht wäre. Wir haben Inflationstendenzen und durch die Pandemie eine expansive Fiskalpolitik. Da ist es zwingend notwendig, zu soliden Staatsfinanzen ohne Nettokreditaufnahme zurückzukehren.
Mehr: Länder-Tarifrunde: Arbeitgeber stellen selbst Forderungen – und provozieren so einen Arbeitskampf
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