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Interview Merck-Vorstand: „Wenn von einem ,solidarischen Lockdown‘ die Rede ist, dann verschlägt es mir den Atem“

Der Präsident des Chemiearbeitgeberverbands BAVC, Kai Beckmann, hat wenig Verständnis für Neiddebatten beim Impfen. Angst vor einer grünen Kanzlerin hat er nicht.
05.05.2021 - 08:05 Uhr Kommentieren
Start eines Pilotprojekts zur Einbeziehung von Betriebsärzten in die Impfkampagne. Quelle: dpa
Merck-Vorstand Kai Beckmann (Mitte) mit Vorstandschefin Belén Garijo und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier

Start eines Pilotprojekts zur Einbeziehung von Betriebsärzten in die Impfkampagne.

(Foto: dpa)

Berlin In einem Pilotprojekt bei mehreren Pharmaunternehmen in Hessen beteiligen sich ab dieser Woche auch Betriebsärzte an der Corona-Impfkampagne. Höchste Zeit, sagt Kai Beckmann, Mitglied der Geschäftsleitung von Merck und Präsident des Bundesarbeitgeberverbands Chemie (BAVC).

Er fordert, beim Impfthema von einer Gerechtigkeits- und Neiddebatte stärker zu einer Sachdebatte zu kommen. Die Leitfrage laute doch, wie wir so schnell wie möglich unser gesellschaftliches Leben und unsere Freiheitsrechte zurückbekommen. „Wie wollen Sie einem Gastwirt erklären, dass er Geimpfte nicht ins Lokal lassen darf?“, fragt der Manager. „Soll er lieber pleitegehen, nur damit unserem Gerechtigkeitsempfinden Genüge getan ist?“

Für die zum Teil harte Kritik an der Rolle der Wirtschaft in der Pandemie hat der BAVC-Präsident wenig Verständnis: „Eine polarisierende Diskussion nach dem Motto ,Unternehmen gegen den Rest der Gesellschaft‘ erlebe ich nur in Deutschland“, sagt er.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Herr Beckmann, es gab erbitterten Streit über die Testpflicht in Unternehmen, bis sie dann doch schließlich gesetzlich kam. Hat das Verhältnis von Politik und Wirtschaft in der Coronakrise gelitten?
Wir haben bei Merck im März 2020 unser Testcenter eröffnet. Dann ein Jahr später von der Politik erklärt zu bekommen, wie wichtig Tests sind, ist schon befremdlich. Natürlich gibt es Unternehmen, die noch zu wenig tun. Aber die Debatte hat sich zu sehr an solchen negativen Ausreißern festgebissen.

In Talkshows wird gern auf die Wirtschaft gezeigt: Im privaten Leben wird alles heruntergefahren, in den Unternehmen läuft alles weiter wie zuvor …
... wir sind als Unternehmen auf der ganzen Welt aktiv, beispielsweise in Taiwan, Korea oder den USA. Eine polarisierende Diskussion nach dem Motto „Unternehmen gegen den Rest der Gesellschaft“ erlebe ich nur in Deutschland. Wenn da von einem „solidarischen Lockdown“ die Rede ist, dann verschlägt es mir den Atem.

Man kann einen Chemiebetrieb nicht auf Knopfdruck schließen und dann einfach wieder hochfahren. Dafür braucht man im Zweifel mehr Personal als für den Normalbetrieb. Außerdem wird der Beitrag der Wirtschaft – nicht nur zur Bewältigung der Krise – gern unterschlagen. Sie sorgt dafür, dass die Regale voll sind und die Sozialkassen Einnahmen haben. Unternehmen haben Arbeitsschutzmaßnahmen implementiert oder entwickeln und produzieren Impfstoffe.


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Sie haben sich früh für eine Einbindung der Betriebsärzte in die Impfkampagne starkgemacht. Nun geht es ab Juni los. Sind Sie froh?
Ich halte es für absolut zweckdienlich, jetzt das Impfen zu beschleunigen. Und da können Betriebsärzte einen wichtigen Beitrag leisten, weil etwa die Terminvereinbarung in Unternehmen deutlich effizienter und reibungsloser möglich ist. Weil wir zur kritischen Infrastruktur zählen, sind wir bei Merck seit dieser Woche Pilotunternehmen in Hessen für die Impfung durch die Betriebsärzte.

Sind alle offenen Fragen für die Einbindung der Betriebsärzte inzwischen gelöst, etwa die der Haftung?
Wir führen bei uns im Unternehmen jedes Jahr die Grippeschutzimpfung durch, ohne dass wir die Haftung gesondert diskutieren müssen. Viele Fragen waren nur vermeintlich offen. Was wir geklärt haben wollten, ist die Frage der Impfpriorisierung, aber die soll ja spätestens im Juni sowieso aufgehoben werden.

Können Sie nachvollziehen, dass es beim Impfen jetzt zu Neiddebatten kommt?
Wir müssen von einer Gerechtigkeits- und Neiddebatte stärker zu einer Sachdebatte kommen. Und die Leitfrage lautet: Wie bekommen wir so schnell wie möglich unser gesellschaftliches Leben und unsere Freiheitsrechte zurück?

Wenn Sie sich heute für bestimmte Dinge freitesten können, wäre es doch hanebüchen zu sagen, ein Geimpfter muss weiter draußen bleiben. So binden Sie wertvolle Testkapazitäten. Und wie wollen Sie einem Gastwirt erklären, dass er Geimpfte nichts ins Lokal lassen darf? Soll er lieber pleitegehen, nur damit unserem Gerechtigkeitsempfinden Genüge getan ist?

Das Wiederanlaufen der Wirtschaft nach der Krise braucht Zeit

Corona hat die Debatte über Versorgungssicherheit neu entfacht. Laut Ifo-Institut klagen 45 Prozent der Industrieunternehmen aktuell über Engpässe bei Vorprodukten. Macht Ihnen das Sorgen?
Das Wiederanlaufen nach einer Krise ist ein hochkomplizierter Prozess, das war schon nach der Finanzkrise so. Denken Sie nur an die aktuelle Knappheit von Containerkapazitäten. Und wenn dann noch tagelang ein Schiff im Suezkanal querliegt, wird es eng.

Müssen wir nicht die Produktion von Medikamenten oder auch Halbleitern wieder stärker nach Europa holen, um unabhängiger von Zulieferungen aus Drittstaaten zu sein?
Bemühungen, die Halbleiterfertigung wieder stärker nach Europa zu holen, machen per se natürlich Sinn. Aber das darf nicht nur subventionsgetrieben sein, sondern muss auch organisch wachsen. Wir haben selbst stark in Molsheim im Elsass und in Darmstadt unsere Produktion von Einweg-Bioreaktoren und Membranen ausgebaut – beides braucht man für die Medikamenten- und Impfstoffherstellung.

Aber selbst wenn Sie sagen würden, Sie pressen jetzt alle Tabletten in Deutschland, sind Sie nicht eigenständig. Denn die Abhängigkeit von einer Vielzahl von Rohstoffen, die es hier nicht gibt, die bleibt.

Gibt es Engpässe auch bereits wieder bei Fachkräften?
Das ist ein Thema, das dauerhaft wichtig ist, auch wenn uns Panikmache nicht weiterbringt. Dabei denke ich aber keineswegs nur an Data-Analysten mit Hochschulstudium. Auch an der Frage, ob der Chemikant ein attraktiver Ausbildungsberuf bleibt, entscheidet sich am Ende, ob wir genügend Fachkräfte in Deutschland haben.


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Viele warnen vor einer Generation Corona etwa auf dem Ausbildungsmarkt.
Im vergangenen Jahr haben Chemie- und Pharmaunternehmen mehr als 9000 Ausbildungsplätze angeboten, nur zwei Prozent weniger als im langjährigen Schnitt. Aber es gibt natürlich Branchen, die stark unter dem Lockdown leiden und in denen es anders aussieht. Hier ist jede Unterstützung durch die Politik hilfreich.

Die Bundestagswahl steht vor der Tür. Haben Sie schon Fleißkärtchen an Arbeitsminister Hubertus Heil verteilt, weil er kurz vor Ende der Legislaturperiode noch das Lieferkettengesetz, das Betriebsrätestärkungsgesetz und die Regulierung der sachgrundlosen Befristung auf den Weg gebracht hat?
Die Unternehmen sind alle in einer Situation, in der sie sich extrem anstrengen müssen. Es gilt, in Arbeitsschutz zu investieren und möglichst ohne Personalabbau durch die Krise zu kommen. Da ist jede zusätzliche regulatorische Gestaltungsfreude aus den Ministerien nicht gerade hilfreich, um es vorsichtig zu sagen. Und es ist auch nicht hilfreich, wenn die Regierung bei der Pandemiebekämpfung nicht an einem Strang zieht, sondern der ein oder andere schon Wahlkampf macht.

Die Grünen könnten bei der Bundestagswahl erstmals stärkste Kraft werden. Beunruhigt Sie das als Wirtschaftsvertreter?
Ich komme aus Darmstadt mit einem grünen Oberbürgermeister und lebe im Land Hessen mit einem grünen Wirtschaftsminister. Ich habe also eine gewisse Erfahrung mit grüner Politik.

Eine grüne Bundeskanzlerin würde Sie also nicht schrecken?
Es gibt wenige Dinge, die mich schrecken.

Mehr: Neue Merck-Chefin Belén Garijo im Interview: „Die mRNA-Technologie bietet neue Möglichkeiten – zum Beispiel bei der Krebsbehandlung“

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