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Interview mit BA-Vorstand Terzenbach „Warum soll ein Bankangestellter nicht zum Datenanalysten werden?“

Deutsche Bank, BASF, Ford: Unternehmen bauen in Deutschland Tausende Stellen ab. Die Arbeitsagentur appelliert an Beschäftigte, für Veränderungen offen zu sein.
01.07.2019 - 14:02 Uhr Kommentieren
Bundesagentur für Arbeit: BA-Vorstand Daniel Terzenbach im Interview Quelle: dpa
Bundesagentur für Arbeit

Arbeitsuchende und Beschäftigte müssen für neue Aufgaben qualifiziert und Fachkräfte aus Ländern außerhalb der EU angeworben werden, fordert der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Daniel Terzenbach.

(Foto: dpa)

Berlin Trotz des möglichen großen Personalabbaus bei der Deutschen Bank und in zahlreichen Industriekonzernen steht Deutschland nach Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit (BA) nicht vor einer neuen Phase der Massenarbeitslosigkeit.

Zwar stagniere die Arbeitslosigkeit und die Firmen informierten sich häufiger über Kurzarbeit, gleichzeitig seien aber immer noch rund 800.000 offene Stellen gemeldet, sagte BA-Vorstand Daniel Terzenbach im Interview mit dem Handelsblatt: „Es gibt also erste Wolken am Horizont, aber wir sehen noch keinen Grund zur Panik.“

Der Arbeitsmarkt steht vor dem Problem, dass auf der einen Seite Tausende Stellen bei Autoherstellern, Banken oder Versicherungen wegfallen, auf der anderen Seite aber dringend Pflegekräfte oder IT-Fachleute gesucht werden.

Laut Terzenbach müssen deshalb Arbeitsuchende und Beschäftigte für neue Aufgaben qualifiziert und Fachkräfte aus Ländern außerhalb der EU angeworben werden. „Warum soll ein Bankangestellter, der den Umgang mit Zahlen gewöhnt ist, nicht mit Unterstützung zu einem der dringend gesuchten Datenanalysten werden können?“, fragt der BA-Vorstand auch mit Blick auf die Entwicklung bei der Deutschen Bank. „Wir müssen da Menschen viel mehr zutrauen.“

Auch wenn Arbeitgeber nicht mehr benötigte Beschäftigte entlassen, sieht der BA-Vorstand sie in der Pflicht, bei der Vorbereitung auf neue Aufgaben mitzuwirken: „Denn sie haben jahre- oder jahrzehntelang von der Arbeitskraft und Expertise ihrer Beschäftigten profitiert.“

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Herr Terzenbach, im Mai ist die Arbeitslosigkeit im Vormonatsvergleich erstmals seit Jahren leicht gestiegen. Kommt jetzt die Trendwende und geht das Jobwunder zu Ende?
Nein, die Entwicklung von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit hat sich in den zurückliegenden Jahren stärker entkoppelt als früher. Bei der BA sind immer noch knapp 800.000 offene Stellen gemeldet – 2010 waren es nur 350.000. Gleichzeitig sehen wir, dass die Arbeitslosigkeit stagniert oder zuletzt sogar ganz leicht gestiegen ist.

Terzenbach ist seit März 2019 im Vorstand der Bundesagentur. Quelle: Bundesagentur für Arbeit
Daniel Terzenbach

Terzenbach ist seit März 2019 im Vorstand der Bundesagentur.

(Foto: Bundesagentur für Arbeit)

Aber die Unternehmen informieren sich wieder stärker über Kurzarbeit …
Wir haben steigenden Beratungsbedarf, aber noch nicht deutlich mehr Kurzarbeiter. Allerdings beobachten wir verstärkt Entlassungen in der Zeitarbeit, die als Frühindikator gilt. Es gibt also erste Wolken am Horizont, aber wir sehen noch keinen Grund zur Panik.

Experten erwarten, dass durch die Digitalisierung Zigtausende Jobs etwa bei Banken und Versicherungen oder im Handel wegfallen. Auf der anderen Seite werden händeringend Pflegekräfte oder IT-Experten gesucht. Wie soll man mit gleichzeitigem Überfluss und Mangel umgehen?
Da gibt es für mich drei Baustellen: Wir müssen das Potenzial Arbeitsuchender, das wir jetzt schon am hiesigen Arbeitsmarkt haben, noch besser heben, unter anderem indem wir hier noch mehr in nachhaltige Qualifizierung investieren.

Wir wollen daneben Unternehmen ermutigen, noch mehr in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter – insbesondere der Geringqualifizierten – zu investieren. Da können wir als BA unterstützen. Und wir müssen Fachkräfte aus dem außereuropäischen Ausland anwerben. Europäische Staaten haben selbst Fachkräfteengpässe und demographische Probleme.

Seit Jahresbeginn gilt das Qualifizierungschancengesetz. Arbeitgeber, die in Weiterbildung investieren, können sich Kursgebühren und die Lohnfortzahlung zum Teil erstatten lassen. Wie werden die Leistungen nachgefragt?
Unsere lokalen Arbeitgeberservices erhalten viele Anfragen, es gibt seitens der Unternehmen ein steigendes Interesse für das Thema Weiterbildung ihrer Beschäftigten. In einem Vorläuferprogramm, dessen Zielgruppe enger war, hatten wir im vergangenen Jahr 30.000 Förderfälle. Und wir sehen, dass das Finanzvolumen gegenüber dem Vorjahreszeitraum noch einmal zugelegt hat.

Beschäftigte haben neuerdings auch einen Anspruch auf Weiterbildungsberatung. Wie fällt hier die Resonanz aus?
Mit der lebenslangen beruflichen Beratung haben wir bisher an den drei Pilotstandorten Düsseldorf, Leipzig und Kaiserslautern/Pirmasens Erfahrungen gesammelt. Und dort war man überrascht von der hohen Nachfrage. In den zwei Jahren gab es mehr als 11.000 Beratungsgespräche. Die Beschäftigten, die in einem sich rasant wandelnden Arbeitsmarkt wissen wollen, wo sie in ein paar Jahren stehen, vertrauen uns als unabhängiger Instanz. Wir bekommen sehr gute Feedbacks. Jetzt werden wir das Angebot Stück für Stück ausbauen.

Soll es in der Digitalisierung keine Verlierer geben, müssen aus nicht mehr gebrauchten Bankkaufleuten Programmierer werden. Ist das nicht ein enormer Aufwand?
Die Arbeitgeber in der wachsenden Tech-Branche sehen es eher als ungeheure Chance. Warum soll ein Bankangestellter, der den Umgang mit Zahlen gewöhnt ist, nicht mit Unterstützung zu einem der dringend gesuchten Datenanalysten werden können? Wir müssen da Menschen viel mehr zutrauen. Natürlich löst so eine Entwicklung generell erst einmal Ängste aus. Aber jeder Beschäftigte muss sich heute fragen, ob er ausreichend veränderungsbereit und -willig ist. Wir können den Wandel unterstützen und den Menschen ein Stück weit die Angst nehmen.

Aber warum sollte die Bank in die Qualifizierung oder Umschulung von Mitarbeitern investieren, die sie selbst gar nicht mehr braucht?
Ich bin überzeugt, dass viele Beschäftigte nach einer entsprechenden Qualifizierung in anderen Bereichen desselben Unternehmens arbeiten können. Natürlich wird es auch Freisetzungen geben. Hier sehe ich die Unternehmen aber auch mit in der Pflicht, einen „Job-to-Job“-Prozess zu unterstützen, denn sie haben jahre- oder jahrzehntelang von der Arbeitskraft und Expertise ihrer Beschäftigten profitiert. Wir als BA werden auch helfen.

Arbeitsminister Hubertus Heil will prüfen, wie sich Kurzarbeit stärker mit Qualifizierung kombinieren lässt. Brauchen wir hier neue Instrumente wie das von der IG Metall vorgeschlagene Transformationskurzarbeitergeld?
Wir sollten zunächst mal Erfahrungen mit dem Qualifizierungschancengesetz sammeln, da steckt schon viel Gutes drin und dafür sind auch ausreichend Mittel da.

Wie kann es gelingen, Arbeitslose stärker für Qualifizierung zu begeistern?
Wir müssen Anreize setzen für alle, die sich auf den steinigen Weg machen wollen.

Schon heute können Arbeitslose, die sich weiterbilden, nach bestandener Zwischenprüfung bis zu 1.000 Euro bekommen …
Die liegt aber mindestens eineinhalb Jahre in der Zukunft. Wir müssen dafür sorgen, dass ein Arbeitsloser, der sich fortbildet, unmittelbar etwas davon hat. Da gibt es sicherlich verschiedene Wege, wie man das erreichen könnte, zum Beispiel ein höheres Arbeitslosengeld bei nachhaltigen Weiterbildungen.

Neben der Qualifizierung haben Sie das Einwanderungsgesetz als Mittel gegen den Fachkräftemangel genannt. Wie bewerten Sie das Gesetz?
Es ist ein erster guter Schritt, dass wir jetzt beruflich Qualifizierte und Akademiker bei der Zuwanderung gleichstellen. Und das Gesetz setzt das wichtige Signal, dass wir Fachkräfte suchen und nicht zum Beispiel geringqualifizierte Arbeitskräfte allgemein. Denn wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens über Einwanderung, und den erreichen wir nur, wenn Beschäftigte keine Verdrängungseffekte fürchten müssen.

Eine Hürde bleibt der Nachweis, dass der im Ausland erworbene Abschluss mit einem deutschen vergleichbar ist. Ist es Interessenten zumutbar, sich durch das Dickicht von 1.500 verschiedenen Anerkennungsstellen zu schlagen?
Wir bauen als Bundesagentur gerade eine Servicestelle Anerkennung auf. Diese Stelle soll eine Lotsenfunktion zwischen Interessenten aus dem Ausland und den Ländern und Kammern übernehmen, die für die Anerkennung beruflicher Abschlüsse zuständig sind. Ziel ist es, ausländischen Bewerbern eine Hilfe zu bieten und insgesamt mehr Transparenz in diesem Anerkennungsdschungel zu schaffen.

Das klingt nach viel Arbeit für Ihre Behörde …
Sie dürfen jetzt nicht erwarten, dass durch das Gesetz plötzlich Zehntausende zu uns kommen. Deutschland braucht Fachkräfte, wirbt aber noch nicht ausreichend darum. Und ein weiteres Nadelöhr neben der Anerkennung der Qualifikation bleibt die Sprache. Bis jemand im Ausland so gut Deutsch gelernt hat, dass er die Kriterien erfüllt, vergeht mindestens ein Jahr.

Verstehe ich das richtig, dass Sie sich mehr von dem Gesetz erhofft hätten?
Aus Arbeitsmarktsicht hätte man die Anforderungen an das Sprachniveau vielleicht etwas niedriger hängen können – und dann den Spracherwerb im Inland fortsetzen können. Aber das Gesetz wird ja evaluiert – da kann man dann auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse nachsteuern.

Unternehmen beklagen Fachkräftemangel, auf der anderen Seite bauen die, die schon mitten im Strukturwandel stecken, ihren Beschäftigten goldene Brücken in den Ruhestand. Wie passt das zusammen?
Generell sollten wir diese Potenziale am Arbeitsmarkt nutzen. Aber man muss sich jeden Einzelfall anschauen. Geht es um die Fachkraft mit einer Qualifikation, die in anderen Unternehmen vielleicht noch dringend nachgefragt wird? Dann macht die Frühverrentung sicher keinen Sinn. Oder geht es beispielsweise um einen 63jährigen Schriftsetzer im Druck, der in einer aussterbenden Branche arbeitet? Hier kann man ein Stück weit Verständnis dafür haben, dass ein Unternehmen und der betroffene Arbeitnehmer keine größeren Investitionen in Weiterbildung mehr tätigen möchte. Die Welt ist also nicht nur schwarz oder weiß.

Kommen wir noch einmal zur neuen Arbeitswelt. Der wichtigste Berufswunsch für Mädchen ist immer noch Frisörin, für Jungen Mechatroniker. Wird zu wenig über neue Berufsfelder wie den Social-Media-Manager informiert?
Berufswünsche werden immer noch stark von Menschen bestimmt, die vielleicht eher traditionell ticken: Eltern, Lehrer, und ja: Manchmal vielleicht auch der ein oder andere Berufsberater. Wir brauchen mehr Flexibilität und Anpassungsgeschwindigkeit, uns auf neue Berufsbilder einzustellen, die kommen, aber vielleicht auch wieder verschwinden. Ich bin sicher, dass wir in den nächsten Jahren hier immer mehr Veränderungen in den Berufswünschen der jungen Leute sehen werden. Dies geschieht aber schrittweise, nicht von jetzt auf gleich.

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    Passt zur neuen Arbeitswelt, dass vielleicht bald überall die Arbeitszeit lückenlos erfasst werden muss, wie es der Europäische Gerichtshof verlangt?
    Das Schreckgespenst, das da jetzt an die Wand gemalt wird, wird mit der nationalen Umsetzung des Urteils seinen Schrecken verlieren, da bin ich sicher. Es wird auch künftig flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice geben. Aber ganz ohne regulatorischen Rahmen wird es nicht gehen, wenn wir ehrlich Missbrauch bei der Arbeitszeit verhindern wollen.

    Brauchen wir ein Recht auf Homeoffice?
    Ich glaube, die Wirtschaft ermöglicht da heute schon sehr viel, so dass mir die Fantasie fehlt, was ein Gesetz da bringen soll. Wir haben bei der BA Mitarbeiter mit Kundenkontakt und solche ohne. Letztere können zum Teil Heimarbeit machen, erstere meist nicht oder nur in Ausnahmefällen an Tagen, an denen sie andere Aufgaben wahrnehmen. Wie wollen Sie die rechtlich gleichstellen? Aber gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels sind Unternehmen ohnehin gut beraten, ihren Mitarbeitern möglichst viel Flexibilität zu bieten.

    Sie haben sich bei der BA zum Ziel gesetzt, die Qualität der Beratung zu verbessern. Woran denken Sie da?
    In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit rund um das Jahr 2005 gab es noch viele Fachkräfte und wenige offene Stellen, die wir relativ einfach und schnell besetzen konnten. Heute äußert nahezu jede Branche höheren Fachkräftebedarf. Da müssen wir individueller werden und uns noch stärker auf jeden einzelnen Kunden einstellen. Jeder Kunde muss ein eigenes Projekt sein – bei dem wir auch unkonventionelle Wege gehen müssen.

    Es heißt, dass Valerie Holsboer als Vorstandsfrau für Personal und Finanzen vorzeitig gehen muss?
    Vorstandspersonalien sind ausschließlich Sache des Verwaltungsrats – dazu kann und werde ich mich nicht äußern.
    Herr Terzenbach, vielen Dank für das Interview.

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