Interview mit Ex-Finanzminister Steinbrück „Vielleicht hätten wir in der Tat mehr Banken verstaatlichen sollen“
Berlin Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise hatte der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) einen der wichtigsten Auftritte seiner Karriere. Die Bevölkerung machte sich große Sorgen um ihre Ersparnisse, zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte er ein wirksames Statement abgeben. „Die Sparerinnen und Sparer in Deutschland werden nicht befürchten müssen, einen Euro ihrer Einlagen zu verlieren“, sagte Steinbrück damals – was für eine gewisse Beruhigung sorgte. Im Interview mit dem Handelsblatt spricht Steinbrück über die Details der Lehman-Pleite, die darauf folgende Krise – und verrät, wie sehr die Bundesregierung 2008 unter Stress stand.
Herr Steinbrück, wissen Sie noch, wann und wo Sie von der Lehman-Pleite erfahren haben?
Es war an einem Montag, als ich im Finanzministerium darüber informiert wurde. Das löste sofort ein heftiges Treiben aus. Wir wussten zwar von den Schwierigkeiten bei Lehman. In der Woche vorher hatten wir auch beim Treffen der EU-Finanzminister in Nizza darüber gesprochen. Wir hielten es da aber für ausgeschlossen, dass die US-Regierung Lehman wirklich fallen lassen würde.
Und dann geschah es doch…
Ja. Auch ich habe die Auswirkungen anfänglich unterschätzt. Ich hatte nicht erwartet, dass eine Krise ausgehend von Hypothekendarlehen in den USA derartig große Dominoeffekte auf den gesamten Weltfinanzmarkt haben könnte. Das erwies sich als Fehleinschätzung. Wir waren dann aber sehr schnell handlungsfähig in Deutschland und in Europa.
Handlungsfähig? Wirklich?
Ja, eindeutig! Ich kann mir nicht vorstellen, dass man ein Gesetz schneller als das Finanzmarktstabilisierungsgesetz beschließen kann, als wir es damals in drei Wochen geschafft haben. Es war die stressigste Zeit, die ich als Politiker erlebt habe. Und es gab auch Momente, da dachte ich, es entgleitet uns. Aber ich habe in dieser Zeit die Politik als außerordentlich handlungsfähig erlebt. Drei weitere Gesetze zur Stabilisierung der Finanzmärkte und Verbesserung der Finanzaufsicht sind bis zum Sommer 2009 gefolgt.
Am Tag nach der Lehman-Pleite wurde es ja noch dramatischer, als der weltgrößte Versicherer AIG ebenfalls wankte.
Ja, es war die Frage, ob die US-Regierung die Lehman-Entscheidung im Fall der AIG wiederholen würde. Das wäre der GAU geworden. Dann wären wir in eine noch viel dramatischere Lage geraten. Das alles spielte sich innerhalb von 48 Stunden ab, von Montag auf Mittwoch. Die Telefonverbindungen liefen heiß zwischen den europäischen Finanzministern mit dem US-Finanzminister Hank Paulson – und ebenso dem damaligen EZB-Präsident Jean-Claude Trichet.
Wie hat Paulson denn auf die wachsende Panik reagiert? War dem das egal?
Nein. Ich glaube: Lehman in die Pleite zu schicken war eine sehr bewusste Entscheidung, nach dem Motto: Wir zeigen jetzt allen, die sich da mit hochkomplexen Finanzprodukten verzockt haben, mal ein Stoppschild. Aber alle haben unterschätzt, dass die Pleite dieser relativ kleinen Investmentbank als Auslöser einer Weltfinanzkrise reichte. Plötzlich haben sich die Banken untereinander überhaupt keinen Kredit mehr gegeben. Der Interbankenmarkt brach zusammen. Das wurde dann ja schnell das Problem der Hypo Real Estate.
Wann war Ihnen klar, dass es sich um eine weltweite Krise handelt?
Spätestens mit den Krisenwochenenden zur Rettung der Hypo Real Estate. Es zeigte sich sehr schnell, dass wir mit fallweisen Banken-Rettungsaktionen nicht weiterkommen würden. Weshalb wir ja sehr schnell das Finanzmarktstabilisierungsgesetz auf den Weg gebracht haben, um den deutschen Bankenmarkt zu stabilisieren. Und die anderen Europäer taten das Ihrige parallel.
Wie liefen Ihre Gespräche mit den Banken?
Sehr ernsthaft. Wir hatten ein Jahr vorher ja einen kleinen Vorgeschmack mit der IKB gehabt. Ich kann mich erinnern, wie ich mich im Sommer 2007 auf den Standpunkt stellte: Wir haben Marktwirtschaft, dann geht diese Bank eben pleite.
Warum haben Sie das nicht durchgezogen?
Weil mein gesamtes Umfeld, alle Bankenverbände, die Bundesbank, die Bankenaufsicht und auch die Experten des Ministeriums auf mich einredeten und sagten: Das sollten Sie nicht tun! Sie wissen nicht, was aus dem Vertrauensverlust entstehen, welche Infektionskanäle sich öffnen und welchen Schaden dann der Bankenplatz Deutschland erleiden kann, wenn Sie der Erste sind, der eine Bank abstürzen lässt.
Wenn man es aus heutiger Sicht betrachtet: Wäre es nicht besser gewesen, wenn auch in Deutschland wie in den USA und Großbritannien die Banken vom Staat zwangsweise kapitalisiert worden wären?
Was glauben Sie, wie dann einige Kommentare der Wirtschaftspresse gelautet hätten? Der ordnungspolitische Widerstand dagegen war in Deutschland hoch.
Die USA und Großbritannien, die Mutterländer des Kapitalismus, haben Banken sogar verstaatlicht. Damit hätte man doch argumentieren können, oder?
Nee Freunde! Das galt in Deutschland als sozialistisches Teufelszeug. Der Widerstand war enorm, aus den Wirtschaftsforschungsinstituten, aus der Wirtschaftspresse, aus dem Kabinett. Herr Schäuble zum Beispiel war lange dagegen, dass ich die Hypo Real Estate verstaatlichte. Die Angloamerikaner waren darin viel pragmatischer.
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Guter Kommentar von Herrn Peter. Welches Unternehmen laeuft besser nach dem es
verstaatlicht wurde? Und ja, das Prozedere ist so komplex, dass die Banken es selbst
nicht mehr verstehen. Beispiele die IKB, die KfW (da sagte die Vorstandsvorsitzende
"hunderte Seiten AUF ENGLISCH!" etc.
WIE BITTE - VERSTAATLICHEN?
Die Banken, die die giftigen asset backed securities kauften, waren STAATLICHE BANKEN!!!!
Die Banken, die sich vernünftig verhielten, waren private Banken.
Es ist ungefähr so: Peter baut mist, dafür wird Paula verhaftet!
Steinbrück ist extrem niedrig qualifiziert, er ist ein Ideologe, der Macht bei der Politik gerne sieht, obwohl sehr viele Politiker nur unfähig sind!
Was stimmt: Nicht nur beim normalen Bankgespräch sind unzählige Formulare Pflicht. Es widerspricht den Umweltschutz - viele Bäume sterben, doch keiner liest die Papiere. Sie sind zu viele und zu komPlex. Man versteht sie nicht. Ein Freund schloss einen Kreditvertrag ab - es waren über hundert Seiten - er las sie nicht und bat mich, ich solle sie lesen. Ich wollte nicht.
Mit dieser ausufernden Bürokratie, die keinen nutzt, macht man ein vernünftiges Geschäft für beide Seiten zunichte. Viele Menschen, die gerne Geschäfte mit den Banken machen möchten, irritieren die vielen Seiten der unverständlichen Verträge. Da muss sich etwas ändern. Verträge müssen einfacher werden!
Wer investiert schon gerne, wenn er hunderte, schwer verständliche Seiten lesen muss?
Da geht man lieber das Risiko bei Investitionen nicht ein.
Ich fordere eine internationale europäische Bank, die vor allem europäische Investoren und Unternehmer im internationalen Umfeld bei Investitionen und Handelsaktivitäten unterstützt.
Die extrem teuere Regulierung kostet den Banken extrem viel Geld, bindet interne Ressourcen und schränkt eine sinnvolle Geschäftstätigkeit unverhältnismäßig ein.
Die ReGulierung muss auf ein vernünftiges, übersichtliches Mass zurückgestutzt werden!
Wichtig ist auch, dass der EZB Einlagezins wieder posItiv wird. Im internationalen Umfeld leiden die europäischen Banken massiv darunter.
Der 10 jährige amerikanische Zins der FED liegt bei fast 3 Prozent!
Die europäischen Banken verdienen kaum an Zinsen. Zudem führt der niedrige Zins zu schlechten Investitionen!