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Interview mit Kay Scheller Bundesrechnungshof-Präsident kritisiert Haushaltspläne der Ampel: „Verfassungsrechtlich problematisch“

Kay Scheller nennt die von der Ampel geplanten Haushaltstricks verfassungsrechtlich problematisch. Er findet aber auch lobende Worte.
25.11.2021 - 18:40 Uhr 1 Kommentar
„Der Lackmustest steht noch bevor, wenn die Koalition den neuen Haushalt für das Jahr 2022 vorlegt. Dann muss sie Farbe bekennen.“ Quelle: Photothek/Getty Images
Bundesrechnungshof-Präsident Kay Scheller

„Der Lackmustest steht noch bevor, wenn die Koalition den neuen Haushalt für das Jahr 2022 vorlegt. Dann muss sie Farbe bekennen.“

(Foto: Photothek/Getty Images)

Berlin Der Präsident des Bundesrechnungshofs, Kay Scheller, hat die Pläne der Ampelkoalition kritisiert, milliardenschwere Rücklagen für zukünftige Investitionen zu bilden. „Das ist verfassungsrechtlich problematisch“, sagte Scheller dem Handelsblatt. Der oberste Rechnungsprüfer bezog sich auf das im Koalitionsvertrag genannte Vorhaben, nicht genutztes Geld aus dem Etat des laufenden Jahres im Energie- und Klimafonds (EKF) zu parken.

„Normalerweise hätte man den Kreditbedarf in diesem Jahr einfach gesenkt, wenn man das Geld nicht braucht“, sagte Scheller. „Jetzt sollen die Schulden trotzdem aufgenommen werden, um Spielräume für die Zukunft zu haben.“ Im Haushalt 2021 ist wegen der Corona-Pandemie eine Rekordverschuldung von 240 Milliarden Euro geplant. Im Bundesfinanzministerium geht man mittlerweile davon aus, dass aber nur 180 Milliarden Euro benötigt werden.

Der Rest könnte nach Angaben aus der Ampelkoalition als Rücklage in den EKF gesteckt werden. „Die Mittel waren für die Pandemie-Bekämpfung vorgesehen, nun sollen sie für Klimainvestitionen in den kommenden Jahren genutzt werden“, kritisierte Scheller. „Da fehlt dann der Bezug zu der Notlage, mit der die Aussetzung der Schuldenbremse begründet wurde.“

Ebenfalls kritisch sieht der Präsident des Bundesrechnungshofs das Vorhaben der Ampel, die Corona-Schulden später zu tilgen. „Belastungen werden weiter in die Zukunft und auf die nächste Generation verschoben“, sagte Scheller. Damit steige auch das Risiko, dass sich die Zinsen erhöhten und die Kreditlasten für den Staat insgesamt zunehmen würden.

Scheller lobte die Ampel für ihr Bekenntnis zur Schuldenbremse. „Das Bekenntnis zu soliden Finanzen finde ich gut“, sagte er. Vor allem, weil es unterlegt sei mit der Zusage, ab 2023 wieder die Schuldenbremse einzuhalten. „Das Festhalten an der Schuldenbremse ist eine wichtige und gute Entscheidung für das Land und insbesondere für die kommende Generation.“

Den Plan der Ampel, bestehende Ausgaben zu überprüfen und Subventionen abzubauen, stößt ebenfalls auf Schellers Zustimmung. Allerdings hält er das Bekenntnis zur Konsolidierung für zu „vage“. „Ich hätte mir einige konkrete Dinge gewünscht, die man streichen will“, sagte Scheller.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Herr Scheller, im Koalitionsvertrag bekennen sich SPD, Grüne und FDP zur Schuldenbremse. Wie sehr haben Sie sich gefreut, als Sie das gelesen haben?
Das Bekenntnis zu soliden Finanzen finde ich gut. Vor allem, weil es unterlegt ist mit der Zusage, ab 2023 wieder die Schuldenbremse einzuhalten. Das Festhalten an der Schuldenbremse ist eine wichtige und gute Entscheidung für das Land und insbesondere für die kommende Generation.

Ist es für die jungen Menschen nicht viel wichtiger, dass die Koalition massiv in den Klimaschutz investiert?
Diese Investitionen sind notwendig und stehen auch im Koalitionsvertrag. Aber sie müssen doch nicht zwingend mit Krediten finanziert werden. SPD, Grüne und FDP haben Haushaltskonsolidierung angekündigt, wollen Ausgaben überprüfen und neu priorisieren. Sie haben auch einen verstärkten Kampf gegen Steuerbetrug angekündigt; Subventionen sollen abgebaut werden. Das kann die Einnahmen verbessern.

Das haben vor der Ampel schon andere Koalitionen angekündigt, passiert ist dann wenig. Warum sollte es jetzt anders werden?
Da haben Sie leider recht. Mir ist das Bekenntnis zur Konsolidierung auch zu vage. Ich hätte mir einige konkrete Dinge gewünscht, die man streichen will. Gerade die Grünen hatten in der Vergangenheit Listen vorgelegt mit klimaschädlichen Subventionen, die sie abbauen wollen. Es ist schade, dass sich dazu wenig Konkretes im Koalitionsvertrag findet. Insofern steht der Lackmustest noch bevor, wenn die Koalition den neuen Haushalt für das Jahr 2022 vorlegt. Dann muss sie Farbe bekennen.

Die Ampel greift auch in die Trickkiste, um die vielen Ausgabenwünsche trotz Schuldenbremse zu erfüllen. Sie will milliardenschwere Kreditermächtigungen, die sie in diesem Jahr nicht braucht, nutzen, um eine Klima-Rücklage für die kommenden Jahre aufzubauen. Was halten Sie von diesem Vorhaben?
Das ist verfassungsrechtlich problematisch. Normalerweise hätte man den Kreditbedarf in diesem Jahr einfach gesenkt, wenn man das Geld nicht braucht. Jetzt sollen die Schulden trotzdem aufgenommen werden, um Spielräume für die Zukunft zu haben.

Warum ist das verfassungsrechtlich fragwürdig?
Die Große Koalition hat wegen der Coronapandemie für dieses Jahr eine Rekordverschuldung von 240 Milliarden Euro geplant. Das war nur möglich, weil die Vorgaben der Schuldenbremse wegen der Notlage ausgesetzt wurden. Wenn die 240 Milliarden Euro nun aber gar nicht komplett benötigt werden, sinkt die Notlagenkreditaufnahme, die Verschuldung entsprechend. Stattdessen wird nun das Geld in ein Sondervermögen gesteckt.
Die Mittel waren für die Pandemiebekämpfung vorgesehen, nun sollen sie für Klimainvestitionen in den kommenden Jahren genutzt werden. Da fehlt dann der Bezug zu der Notlage, mit der die Aussetzung der Schuldenbremse begründet wurde.

Die Ampel will auch die Coronaschulden später tilgen, als bisher vorgesehen war. Statt 2023 will man die Kredite erst ab 2028 zurückzahlen und sich dann bis 2058 Zeit lassen. Auch damit verschaffen sich SPD, Grüne und FDP zusätzlichen Spielraum.
Das sehe ich kritisch. Die Belastungen werden weiter in die Zukunft und auf die nächste Generation verschoben. Damit steigt auch das Risiko, dass sich die Zinsen erhöhen und die Kreditlasten für den Staat insgesamt zunehmen. Wir sollten nicht vergessen, dass der Bund mittlerweile Schulden in Höhe von 1,5 Billionen Euro angehäuft hat.

Wie groß ist das Zinsänderungsrisiko?
Derzeit sind die Zinsen niedrig, aber wir haben es mit einer massiven Teuerung zu tun, die voll in die Preise bei Lebensmitteln, Energie oder Baukonjunktur geht. Wenn die Zinsen angepasst werden müssten, haben wir gleich ordentliche Mehrausgaben beim Bund. Steigende Zinslasten würden den Handlungsspielraum künftiger Regierungen einengen. Daher spricht alles dafür, die Schuldenregel einzuhalten und eher weniger über Kredite zu finanzieren.

Im Koalitionsvertrag werden auch Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) als mögliches Instrument für die Finanzierung von Projekten genannt. Der Rechnungshof hat sich in vergangenen Gutachten dazu immer recht skeptisch geäußert. Wie sehen Sie diese Idee?
ÖPP kann ein Weg sein, wenn die Wirtschaftlichkeit solcher Projekte zweifelsfrei nachgewiesen ist. Allerdings entlasten ÖPP-Projekte den Haushalt nur kurzfristig. Die große Investition am Anfang entfällt zwar, dafür muss der Staat über einen längeren Zeitraum die beteiligten Privatunternehmen bezahlen, dazu mit einem Renditeaufschlag. Am Ende zahlt der Bund also so oder so. Ebenfalls angedacht ist, öffentlichen Unternehmen mehr Spielraum zu geben, indem der Staat ihnen mehr Schulden gewährt oder sie mit mehr Eigenkapital versorgt, was beides nicht auf die Schuldenbremse angerechnet würde.

Ist das nicht Augenwischerei, weil das Risiko so oder so der Steuerzahler trägt?
Die Gefahr besteht. Schon heute ist etwa die Bahn bei 32 Milliarden Euro Schulden angelangt. Die Frage wird am Ende sein, ob bei solchen Transaktionen ein Bundesinteresse besteht, ob und wie das Risiko auf den Eigentümer durchschlägt und welche Garantien es gibt. Hierzu enthält der Koalitionsvertrag keine konkreten Aussagen. Wichtig ist aber, dass nicht irgendwelche Nebenhaushalte entstehen und der Haushaltsgesetzgeber eingebunden ist.

Die Ampel will das Rentenniveau stabilisieren, gleichzeitig aber den Rentenbeitrag relativ stabil halten. Wie soll das gehen?
Während die Beschlüsse der Ampel bei den Einsparungen relativ vage sind, sind sie bei den Ausgaben und im Sozialbereich sehr konkret. Das gilt auch für die Rente. Wenn die Stellschrauben Beitragssatz, Rentenniveau und Eintrittsalter unverändert bleiben sollen, wird das Geld dafür aus dem Bundeshaushalt kommen müssen, der Steuerzahlerzuschuss ins Rentensystem wird noch stärker steigen. Wir sehen das kritisch, weil dies den Handlungsspielraum für künftige Generationen einengt. Es gibt bei den Rentenbeschlüssen aber auch einen positiven Aspekt.

Und der wäre?
Die neue Koalition will den sogenannten Nachholfaktor wieder in Kraft treten lassen, der nach gesunkenen Löhnen den Rentenanstieg dämpft, damit ein Gleichlauf zwischen Renten und Löhnen wieder erreicht wird. Das ist sehr sinnvoll und war eine Forderung, auf die wir als Rechnungshof schon lange drängen. Das dürfte bis zum Jahr 2025 grob gerechnet fünf Milliarden Euro an Ausgaben einsparen.

Nicht angerührt hat die Koalition den Solidaritätszuschlag. Der Restsoli für die zehn Prozent Topverdiener bleibt. Hätten Sie eine Abschaffung befürwortet?
Die Ampel geht mit der Beibehaltung des Solidaritätszuschlags ein Risiko ein. Kommt Karlsruhe zu dem Schluss, der Soli ist verfassungswidrig, fehlen dem Bund auf einen Schlag zehn Milliarden Euro im Jahr. Vielleicht sogar mehr, wenn das Urteil rückwirkend gilt. Es wäre deshalb besser gewesen, das Problem anzugehen, indem man den Soli perspektivisch ganz abschafft.

Mehr: Wie die Wirtschaft die Ampel-Pläne bewertet

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1 Kommentar zu "Interview mit Kay Scheller: Bundesrechnungshof-Präsident kritisiert Haushaltspläne der Ampel: „Verfassungsrechtlich problematisch“"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Die Corona Notfall Budgets sollten wirklich nicht in ein Sondervermögen gesteckt werden – das wäre so, als würde ein Häuslebauer seinen Hauskredit hernehmen, um sich ein schickes neues Auto zu kaufen. Das wäre nicht in Ordnung ja kriminell, selbst wenn das neue Auto weniger verbraucht.

    Davor, dass der Bund zu wenig z.B. für die Rente einnimmt, sollte man keine Angst haben. Schließlich wird die Rente versteuert und alle auch Rentner dürfen aufgrund der kalten Progression und der massiven Inflation deutlich mehr Steuern zahlen als bisher.

    Ein guter Ansatz zum Sparen wäre, lieber Herr Scheller, die Anzahl der Bundestagsabgeordneten drastisch zu reduzieren, 300 wären schön, 500 genug, aber 739 sind viel zu viel!

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